Nahaufnahme: Die Eröffnungsszene aus Dirty Harry

von Phil Blumenthal

Mit DIRTY HARRY (1971) katapultierte sich Clint Eastwood, der Schauspieler, in die Topliste der Hollywood-Schauspielerei. Die Rolle des wortkargen, schnörkellosen, zielgenauen und schnell handelnden Polizeiinspektors Harry Calahan war Eastwood, der hier nebenbei als Executive Producer für seine eigene Malpaso Produktionsfirma amtierte, quasi auf den Leib geschrieben. Für Regieveteran Don Siegel hat der lange Mime zuvor bei COOGAN’S BLUFF (1968), TWO MULES FOR SISTER SARA (1970) und dem unterschätzten THE BEGUILDED (1971) vor der Kamera gestanden.

DIRTY HARRY war der Auslöser einer ganzen Reihe von knallharten Copfilmen und Siegels Film zog mehrere Sequels, natürlich mit Eastwood in der Hauptrolle, nach sich: MAGNUM FORCE (1973), THE ENFORCER (1976) und die schwächeren SUDDEN IMPACT (1983) sowie THE DEAD POOL (1988). Bekannt wurde mit der Filmreihe auch die Waffe, die Calahan mit sich trug und mit viel Zielwasser einzusetzen wusste, eine Smith & Wesson Model 29 mit dem zerstörerischen Kaliber .44 Magnum. «The most powerful handgun in the world…», wie Calahan einem am Boden liegenden Bankräuber in einer frühen, unvergesslichen und oft zitierten Sequenz beibringt.

Einleitung

San Francisco wird von einem psychopathischen Killer, der sich selber Scorpio nennt, heimgesucht. Eben erst hat er eine auf einem Dachpool schwimmende junge Frau mit einem mit Zielfernrohr ausgestatteten Gewehr erschossen und erpresst nun die Stadt mit Drohungen weiterer Morde. Aufgrund der Erpressungsbriefe schliesst die Polizei, dass Scorpios nächstes Opfer ein katholischer Priester sein dürfte und man schafft es tatsächlich dem Killer aufzulauern. Dieser erschiesst auf seiner Flucht einen Polizisten und entkommt. Am nächsten Tag erhält die Polizei einen weiteren Brief von Scorpio, in dem er behauptet eine Teenagerin entführt zu haben und $200’000 fordert, ansonsten werde sie sterben. Die Stadt lenkt unter Protest Calahans ein, doch erklärt er sich bereit dem Erpresser das Geld selber zu überbringen. Beim darauffolgenden Katz und Maus-Spiel schliesslich verletzt Calahan Scorpio mit einem Messer und kann ihn schliesslich, da dieser ein Spital aufsuchen musste, in Footballstadion der 49ers dingfest machen. Doch Scorpio kommt frei und bezahlt einem Typen 200 Dollar, um von diesem zusammengeschlagen zu werden und es Calahan öffentlich anzuhängen. Scorpio schliesslich kidnappt einen Schulbus und verlangt erneut Lösegeld, doch davon will Calahan nichts wissen und stellt den verrückten Killer schliesslich – dieses Mal hat er anders als in der Bankraubszene zu Beginn des Films eine Kugel in der Kammer übrig und erschiesst Scorpio. Eher als Zeichen erdacht, wir wissen es ja besser, schmeisst Harry zum Schluss seine Dienstmarke weg.

Harry Calahans erster beeindruckender Einsatz im Film…

Die Story zu DIRTY HARRY stammt vom Ehepaar Harry Julian und Rita M. Fink und ist zunächst eigentlich einem knallharten New York Cop angedacht. Es dauerte schliesslich fünf weitere Ausarbeitungen, ehe Harry Calahans Geschichte in San Francisco landete. Interessanterweise war die Hauptrolle zunächst Frank Sinatra und John Wayne zugeschrieben worden, weitere mögliche Darsteller für den Inspektor sollen Burt Lancaster, Robert Mitchum und Steve McQueen gewesen sein. Tatsächlich wurde die Rolle Sinatra auch offeriert mit Sydney Pollack oder Irvin Kershner als mögliche Regisseure. Schliesslich stieg Sinatra aus und Jennings Langs offerierte den Part Clint Eastwood als dieser an seinem Erstling PLAY MISTY FOR ME (1971) arbeitete. Mit Sinatra sollte James Caan als Scorpio spielen, auch Audie Murphy war für die Rolle geplant, starb jedoch während eines Flugzeugabsturzes. Dass Andy Robinson für die Rolle gewonnen werden konnte, war sicherlich ein Glücksgriff, passte er doch schon rein äusserlich wie die Faust aufs Auge – natürlich ebenso wie Clint Eastwood als Dirty Harry.  

DIRTY HARRY war damals Grund mehrerer heftiger Kontroversen um Polizeibrutalität und Waffen affinem Verhalten (es sollte mit den Sequels schliesslich auf die Spitze getrieben werden), abschätzigen Kommentaren gegenüber Homosexualität und dem Zeitgeschehen der Flower Power-Bewegung. Trotzdem oder vielleicht gerade deswegen ist Harry Calahan bis heute eine der imposantesten, unvergesslichsten und zweifellos markantesten Filmfiguren, die für unzählige Nachahmer nicht minder brutalen Cop- und Selbstjustizfilmen wie etwa DEATH WISH (1974) sorgte. Trotz der Problematik, die DIRTY HARRY umgab, ist der Film ein Zeichen seiner Zeit und eine konsequente Weiterentwicklung der Charaktere, die Eastwood bis zu jenem Zeitpunkt oftmals verkörperte. Der Film spielte in den Staaten $36 Mio. US-Dollar bei einem Budget von $4 Mio. ein, während die Kritik geteilter Meinung war.

Film und Musik

Manchmal passt sie einfach, die Wahl eines Komponisten. Lalo Schifrin für DIRTY HARRY gewinnen zu können war ein regelrechter Griff in die Schatztruhe. Der 1932 in Buenos Aires geborene Musiker begann bereits im Alter von sechs Jahren mit dem Klavierunterricht. In seiner Jugend begann auch sein Interesse am Jazz. Mit 20 ging Schifrin ans «Conservatoire national de musique et de danse de Paris» und finanzierte sich sein Studium mit Auftritten in Jazzclubs. Mitte der 1950er Jahre lernte er Dizzie Gillespie kennen und trat später dessen Quintett bei. Schifrin komponierte seine erste Filmmusik 1963 für den Film RHINO! Es folgten Kompositionen zu CINCINATTI KID (1965), COOL HAND LUKE (1967) und eine seiner berühmtesten und meistgeschätzten Arbeiten: BULLITT (1968) mit Steve McQueen. Zum ersten Mal in Kontakt mit Clint Eastwood kam Schifrin 1968 und 1970 respektive bei COOGAN’S BLUFF und dem satirischen Kriegsfilm KELLY’S HEROES. 1971 komponierte er die avantgardistische Musik zu George Lucas Zukunftsutopie THX 1138 und 1973 den Score für den Bruce Lee Film ENTER THE DRAGON. Pech hatte er im selben Jahr mit seiner Komposition zum Horrorhit THE EXORCIST (1973), die abgelehnt wurde. Unvergessen ist natürlich das Titelthema für die TV-Serie MISSION: IMPOSSIBLE (1966), das seither in den Kinofilmen mit Tom Cruise Verwendung fand. Fünf Mal wurde Schifrin für einen Oscar nominiert: COOL HAND LUKE, THE FOX (1967), VOYAGE OF THE DAMNED (1976), AMITYVILLE HORROR (1980) und THE STING II (1984). Seine letzte Musik für einen Kinofilm schrieb er 2007 für RUSH HOUR 3 – Schifrin komponierte bereits die Scores der beiden Vorgänger. Auch DIRTY HARRY blieb er treu mit den Sequels MAGNUM FORCE, THE DEAD POOL und SUDDEN IMPACT.

In der Eröffnungssequenz ist Scorpio nur schemenhaft von vorne und hinten zu sehen.

Für DIRTY HARRY schrieb Lalo Schifrin einen seiner markanten Jazzscores, die so unnachahmlich und bis heute eine Zeit repräsentieren, in der Jazz und später Funk deutlichen Einfluss auf die Filmmusik nahmen, insbesondere im Krimi- bzw. Copfilmgenre. Harry Calahan verleiht Schifrin ein eigenes, elegantes und ruhiges Motiv, das wir in «Main Title» zum ersten Mal hören. Einen weiteren markigen Moment stellt Scorpios Thema dar, das wir gleich anfangs des Films und auf der Aleph Records CD an fünfter Stelle in «Scorpio’s View» zu hören kriegen. Bemerkenswert ist hier der Einsatz einer weiblichen, wortlosen Stimme, die dem Thema etwas Verrücktes und Bedrohliches verleiht, passend zum Wesen des von Andrew Robinson gespielten Killers. In einem Anflug von BULLITT, in dem Schifrin die fantastische Autoverfolgungsjagd «unscored» liess bzw. die Musik vorher stoppte, belassen er und Regisseur Siegel die nächtliche Hetzjagd, wenn Harry von Telefonkabine zu Telefonkabine eilen muss, um Scorpio das Lösegeld zu überreichen ebenfalls ohne Musik bis zum vorgezogenen ersten Showdown, wenn Harry und der Killer aufeinandertreffen. Daraufhin folgt das toll gemachte «Goodbye, Calahan», als Scorpio den wehrlosen Cop verprügelt. Zum vorerst letzten Mal im Film hören wir Calahans Thema, als die Leiche der entführten Mary Ann Deacon entdeckt wird, erst im Filmfinale und im Schlussstück «End Titles», als Harry seinen Dienst scheinbar quittiert, taucht dieses wieder auf. Augenfällig ist auch der Gebrauch elektronischer Klänge, die Schifrin in seinem Score unüberhörbar verarbeitete. Noch markanter ist übrigens Schifrins Sequelmusik zu MAGNUM FORCE ausgefallen. Beil Teil 3, THE ENFORCER, kam Jerry Fielding zum Zug.

Nahaufnahme

Nun zum eigentlichen Grund, der zu diesem Artikel geführt hat. Es ist das erste Stück Musik, das im Film nach dem Prolog mit den im Dienst getöteten Namen auftaucht, die erste Tat von Scorpio und schliesslich Harry Calahan bei seinen Nachforschungen begleitet. Klug durchdachte, verhalten eingesetzte Filmmusik. Der Film beginnt mit dem alten Warner Bros. Logo, ehe die angesprochene Aufnahme der Steintafel von Glockenklängen beigesellt erscheint. Erste verfremdete, elektronische Klänge tauchen im Übergang zum Bild eines Schalldämpfers und schliesslich dem Blick durch das Zielfernrohr auf, das eine junge Dame zeigt, die es sich gemütlich macht und in den Swimming Pool auf dem Dach eines Hochhauses taucht – ob es sich um ein Hoch- oder ein Wohnhaus handelt, wird nicht aufgelöst. Ein stockendes, kurzzeitig wieder pausierendes und wieder einsetzendes Schlagzeug begleitet die Szenerie, fast improvisierend. Bei der zweiten Aufnahme durch das Zielfernrohr ist zum ersten Mal das von einer Frauenstimme gehaucht gesungene Thema Scorpios zu hören. Ein kurzes crescendo untermalt den Schuss beziehungsweise den Treffer, der die Badende tödlich trifft. Es erfolgt ein weiterer Schnitt und mit diesem beginnt die Titelmusik, sobald sich die Türe öffnet und Harry Calahan unter dem Titel «Clint Eastwood» auf dem Tatort erscheint. Harry beginnt sofort mit den Untersuchungen und erblickt ein noch höher gelegenes Haus. Das Tempo der Musik nimmt Fahrt auf und begleitet Harry mit Schlagzeug, Bongos, E-Bass und beim Anblick des Wolkenkratzers (Vertikalschwenk) mit sich steigernden Holzbläsern, Streichern und zurückhaltend Blech. Als Calahan auf das Dach des Hauses gelangt, ist ein Klaviermotiv zu hören, das Schifrin in seinem Score als spannungssteigerndes Motiv einsetzen wird. Kurz setzt die Musik aus, als Harry die Leiter emporklimmt um den höchsten Punkt des Hauses zu erreichen. Oben angelangt und mit Blick auf San Francisco sowie die Bucht setzt die Musik wieder ein. Hier sind es die Streicher, die begleitet von Drums, Perkussion und E-Bass die Führung übernehmen, im Hintergrund ist das Spannungsthema zu hören. Mit dem Blick Harrys auf den Swimmingpool und den Abtransport der Leiche sind Celli und Bässe federführend. Als Harry sich bückt und eine Patronenhülse erblickt, erklingt kurz und äusserst zurückhaltend sein Thema, gespielt von einem E-Piano. Harry erblickt daraufhin einen Zettel, der an einer Antenne angeheftet ist und beendet die Sequenz mit einem «Jesus!». Diese letzten Momente sind schliesslich nur noch von den Celli und Bässen begleitet.

05.09.2021