Endlich wieder eine Filmmusik von John Corigliano! Oder doch nicht? Music From The Edge wird uns von den Händlern verkauft als die abgewiesene Arbeit von Corigliano zu Edge Of Darkness, den letzten Endes Howard Shore vertonen durfte. Im Booklet dieser CD jedoch ist davon keine Rede. Hier will man uns Coriglianos Musik als Konzertsuite zu einem nicht gemachten Film erklären.
Tatsächlich gab es nach den Testvorführungen wohl umfangreiche Änderungen am Film, denen auch Coriglianos Musik zum Opfer fiel. Das erklärt die blumige Umschreibung der ursprünglichen Fassung als nicht gemachter Film… Wie unterschiedlich die beiden Scores von Corigliano und Shore tatsächlich sind, wird übrigens in einem separaten Artikel hier beim Filmmusic Journal behandelt.
Was auch immer die Hintergründe dafür sind, dass Corigliano seine Musik letztlich als Suite und nicht als Filmscore bezeichnet, ist vielleicht gar nicht wichtig. Wichtiger ist viel mehr, dass dem geneigten Hörer die Möglichkeit geboten wird, diese Musik überhaupt zu genießen. Denn das lohnt sich. Insgesamt ist der Score eine gelungene Melange aus zeitgenössischer Komposition und traditioneller Melodik. Corigliano erschafft ein wandlungsfähiges und trotzdem eingängiges Hauptthema, dass er gleich am Anfang vorsichtig ausbreitet. Im Verlaufe des Scores kommt es immer wieder in Variationen zum Einsatz und wird auch bei den dramatischen Sequenzen hier und da sehr effektiv angepasst. Nach dem kurzen melancholisch-melodischen Einstieg folgt ein düster-heftiges Intermezzo (der Moment, in dem die Tochter der Hauptfigur getötet wird), das mit grummelnden Kontrabässen und harten Bläserattacken eine musikalische Richtungsänderung einleitet. Danach geht es denn auch erst einmal mit einer Mischung aus Elegie, Drama und Dissonanz weiter, um die Spaltung des Hauptcharakters in Trauer einerseits und Rachsucht andererseits herauszuarbeiten.
Ein erster echter Höhepunkt folgt dann mit Pursuit. Nach einem spannungsgeladenen Einstieg schwenkt die Musik auf actionreiche Staccato-Tonfolgen, die sich bis zum Einsatz des gesamten Orchesters steigern und durch ihre ständigen Rhythmuswechsel auffallen. Das hält nicht nur den Hörer in Atem, sondern scheinbar auch das Orchester – immerhin das London Metropolitan – das hier in einigen wenigen Momenten etwas unkonturiert erscheint. Man muss allerdings auch die sehr anspruchsvolle Komposition als Begründung hervorheben.
Weiter geht es sowohl mit hervorragend arrangierten, Corigliano-typischen Atonalitäten als auch mit melodischen Momenten, die entweder dem Gedenken an die verlorene Tochter oder der Trauer der Hauptfigur gewidmet scheinen, bis man sich dem dramatischen Finale der Geschichte nähert. Hier bildet Revenge einen weiteren Höhepunkt, der die Geschichte mit intensiver, vollorchestraler aber nicht dissonanter Dramatik zum vorläufigen Ende bringt. Erst dann, im eigenen Tod und der damit verbundenen, nur angedeuteten Wiedervereinigung mit der Tochter im Jenseits kehrt friedliche Stimmung ein. Denn im letzten und mit Abstand längsten Stück des Scores, Reunification, breitet Corigliano das Hauptthema zu seinem vollen Potenzial aus. Erst zart und erleichternd, dann schon fast erlösend bis hin zum ariengleichen Gesang wird man von der vollen Wucht der musikalischen Schönheit des Themas erfasst und ist gleichsam erstaunt, wie melodisch Corigliano klingen kann, wenn er möchte.
Sofern man bei seiner erst vierten Filmarbeit überhaupt von einer typischen Handschrift reden kann, zeigt Corigliano diese hier sehr deutlich, wenn er kantige Passagen mit feinfühligen Melodieläufen paart. Insbesondere, wenn er das Hauptthema durch Solovioline erklingen lässt, fühlt man sich an Red Violin erinnert. Freilich werden Anhänger der reinen Melodik mit diesem Werk ihre Probleme haben. Aber für diese Veröffentlichung muss man nichtsdestotrotz dankbar sein. Denn obwohl Corigliano bei Edge Of Darkness letztlich nicht zum Zuge kam, haben wir nun zwei hervorragende Scores zum (un)gleichen Film, an denen wir uns erfreuen können.
MUSIC FROM THE EDGE John Corigliano Preservance Records PRD055 38:13 Min. / 11 Tracks
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