Frémeaux & Associés hat es sich zur Aufgabe gemacht, Sampler mit mehreren Filmmusiken, ausführlicher oder weniger ausführlich, eines Komponisten verteilt auf meist zwei CDs herauszubringen. GEORGES DELERUE: BANDES ORIGINALES DES FILMS 1959 – 1962 aus dem Jahr 2015 oder AMERICAN MOVIES: THE AWAKENING, CATCH ME A SPY, SILVER BEARS etc. von 2009 aber auch Henry Mancini und Michel Legrand (mit einer 10-CD Box) fanden bei diesem Label Platz zur Veröffentlichung.
Neuster Streich ist die Doppel-CD MAURICE JARRE: BANDES ORIGINALES DE FILMS 1959 – 1962 mit Ausschnitten aus zehn Filmen, die der Franzose in den angegebenen Jahren bearbeitet hat. Neun der hier zu findenden Filmtitel fanden allesamt als 45er EP Herausgabe (und tingeln also um die 10 Minuten Grenze), auch auf anderen Samplern teilweise veröffentlicht – als Bonus ist ein fünfeinhalbminütiges Stück aus L’UNIVERS D’ULTRILLO (1954), dem Album 25 ANS DE MUSIQUE DE CINÉMA entstammend, zu finden. Es sind frühere Werke des französischen Komponisten, kleinere, intimere Kompositionen als die – im besten Sinne gemeinten und von mir geliebten – Musiken zu grossen Schmachtfetzen, die folgten und ihn berühmt machen würden.
CD 1 beginnt mit der Musik zum Kurzfilm LA GÉNÉRATION DU DÉSERT (1959), geschrieben für Holzbläser, Blech, Akkordeon und Perkussion in einem nahöstlich anmutenden Stil. Hier ist Jarres Stil bereits unverkennbar.
Es folgt der erste Kinofilm, den Jarre betreute, LA TÊTE CONTRE LES MURS (1958) von Georges Franju mit Pierre Brasseur (den Titel kennt man auch, allerdings als fulminanteres, orchestrales Arrangement aus der «Suite Georges Franju» der Konzerteinspielung MAURICE JARRE AT ABBEY ROAD). Die aggressiv beginnende, betont atonale Musik (Schlagwerk, Blech) dreht sich alsbald zur Lounge Musik, gefolgt vom verspielten Klavier(und Haupt)motiv. Die tumultartigen Attacken von Blech und Perkussion tauchen in diesem Stück immer wieder kurz auf. «Stéphanie» ist das erwähnte Klaviermotiv in 6/8 und 3/4, hier später von Blasharmonika und Akkordeon gespielt und schliesslich von den Holzbläsern übernommen.
LES DRAGEURS (1959) ist ein Film von Jean-Pierre Mocky u.a. mit Charles Aznavour. Jarres Musik ist wiederum für eher kleine Besetzung geschrieben, Holzbläser, Zither, Spinett, Orgel und Blech. Am eingängigsten ist das im 3/4 Takt gehaltene Hauptthema, in «La femme idéale» zu hören, während Jarre mit «Surboum chez Ghislaine» auf einer jazzigen Note endet.
LA MAIN CHAUDE (1960) von Gérard Oury beginnt mit einem weiteren Walzer, «Chanson de la main chaude», für Saxophon, Akkordeon, Holzbläser, Xylophon, dem locker flockigen «Thème de la main chaude» oder dem verführerischen «Blues d’Yvette», in dem auch eine kleinere Streicherbesetzung zu hören ist.
Die Musik zu RECOURS EN GRÂCE (1960), László Benedeks Drama, wie könnte es anders sein, erklingt als Eingangsstück wiederum als, hier allerdings ausgesprochen klassischer, Walzer. Satte Streicher, Holzbläser und das Akkordeon (Bandoneon?) sowie ein Solo-Horn läuten das Liebesdrama eines italienischen Deserteurs ein («Valse de Platonov»). Einen schwungvolleren und kleiner besetzten 3/4’ler gibt es in «Valse musette» zu hören, «Paysage» und «Dernière valse» beschliessen diese ausgesprochen hübsche Musik.
CD 2 eröffnet mit der Musik zum sicherlich bekanntesten Film dieses Doppelalbums, LE JOUR LE PLUS LONG oder THE LONGEST DAY (1962). Das monumentale, dreistündige international besetzte und von mehreren Regisseuren gedrehte Kriegsdrama über die Invasion in der Normandie des Juni 1944 enthielt nur wenig Score. Markant ist dabei sicherlich das als Morsecode der Alliierten eingearbeitete ta-ta-ta-taaa (übernommen aus Beethovens 5. Sinfonie), das «V» für Victory symbolisierend: «B.B.C drums». Ebenfalls enthalten ist Paul Ankas Marsch «The Longest Day» in der Instrumentalversion und als Mundharmonikasolo.
L’OISEAU DE PARADIS (1962) ist ein mir völlig unbekannter Film von Marcel Camus, der in Kambodscha spielt. Wie zu erwarten, herrschen hier fernöstlich-asiatische Klänge mit Gongs, Tam Tams, Glöckchen, Metallstäben etc. vor. Enthalten ist ausserdem ein Chanson, «Petite sœur», auch dieses im Landeskolorit gehalten.
Für Jacques Bourdons LE SOLEIL DANS L’ŒUIL (1962), einem Liebesdrama mit Dreiecksbeziehung, das unter anderem in Korsika spielt, ertönen in «Thème Frédéric» (mindestens) zwei Harfen, ehe das Hackbrett das simpel gestrickte Hauptthema übernimmt. Auch hier ist ein traditionelles Lied enthalten, das also nicht von Jarre stammt. Ein Tango für Gitarre und die aufregend beginnenden Schlusstitel, führen in ein beschwingtes Ende dieser Musik.
Vor dem eingangs kurz erwähnten Bonustrack ist die Musik zu einem weiteren Georges Franju Film, mit Philippe Noiret und Emanuelle Riva, THÉRÈSE DESQUEYROUX (1962) enthalten. Auch das hier verwendete Thema ist in der Suite von MAURICE JARRE AT ABBEY ROAD verarbeitet und im von Klavier und Streichern geführten «Générique» für einmal nicht im Walzertakt gehalten – aber keine Angst, Jarre findet u.a. in «Thérèse Desqueyroux» in schöner Art und Weise auch zu diesem Weg zurück. Jarre beendet die Musik mit dem beschwingt jazzigen «Guitar pour Thérèse». Für mich sind diese knapp 11 Minuten die Gelungensten dieser durchaus speziellen Doppel-CD, ja man würde sich eigentlich mehr Musik aus THÉRÈSE DESQUEYROUX wünschen.
Worauf sich die Jahre im Titel (1959 – 1962) genau beziehen, ist mir ein wenig schleierhaft, möglicherweise kam die 58er Musik LA TÊTE CONTRE LES MURS aber erst 1959 als EP heraus? Jedenfalls ist dieses Doppelalbum sicher in erster Linie für Fans des Komponisten gedacht, die ihre Sammlung komplettieren und in die frühen Arbeiten von Jarre eintauchen wollen. Die Liner Notes sind leider nur vier Seiten «dick», jeweils zwei in französischer und zwei in englischer Sprache.
Phil | 02.05.2022
MAURICE JARRE: BANDES ORIGINALES DE FILMS 1959 – 1962
Maurcie Jarre
Frémeaux & Associés
2 CD | 99:00 | 40 Tracks