Mary Shelley’s Frankenstein

Review aus Newsletter No. 3, 1994

To Think Of A Story… Patrick Doyle entführet uns in seiner neuen Arbeit für Kennth Brannaghs pompöser Verfilmung von MARY SHELLEY’S FRANKENSTEIN in eine düstere Welt des Nebels und der Geheimnisse. Bleierne Bläser und Streicher rollen über eine Landschaft nahe dem Epizenter der unglückseligen Figur, welche wir als Frankensteins Monster kennen. Doyle ist hier beinahe ein Meisterwerk gelungen, anders als die sehr pathetische Verfilmung Brannags.

Straff ist hier das Orchester eingesetzt, nur selten kann ein Gedanke des Zuhörers sich zwischen die Noten klemmen. Auch die eher ruhigen Stücke pressen ein tiefes Unwohlsein in uns hinein. Wir beginnen die Stärke dieser Arbeit von Doyle allmählich, dafür umso unaufhaltsamer, zu spüren. Spätestens nach dem dritten oder vierten Mal vollständigen Hörens der CD nimmt das Werk eine Gestalt an, welche mich facettenhaft an frühere Soundtracks von Doyle erinnert; ein wenig MUCH ADO ABOUT NOTHING, ein bisschen NEEDFUL THINGS und eine Prise HENRY V. Viel Tragik von INDOCHINE und eine Präsenz von DEAD AGAIN, welche mich besonders freute. Doyle profitiert von sich selber, seinem bisherigen Können, bedrückende Geschichten in Musik zu verwandeln. Die einzelnen Stücke zu beschreiben wäre zwar möglich, doch gibt der Gesamteindruck der CD am besten wieder, welche Atmosphäre Doyle hier geschaffen hat.

Selbst dort, wo Hoffnung zu spüren ist, ist ein Hauch von bedrückender Dunkelheit, etwas Grossem zu fühlen. Bilder von Gestalten, die surreale Schatten werfen; Gesichter, die sich als Masken entpuppen; Masken, die sich als Gesichter herausstellen. Es ist keine leichte Aufgabe, all die vorhandene Tragik in Noten zu fassen. Nicht mehr Mensch, und doch nicht tot. Zerrissen von seinem eigenen Intellekt, getrieben das Verbotene zutun, alles zu riskieren, was da ist in seinem Herzen. Lassen wir die Wogen der Bläser über uns ziehen und liebkosen uns die Streicher sanft, so sind sie doch musikalische Abbilder des Unglücklichen.

Eine Reise wird hier unternommen. Durch die dunklen Ecken der Musikkammer, die staubigen Dachböden längst vergessener Requisiten. Wir fühlen die Freude, die Leidenschaft, welche aus dieser Arbeit spricht. Schweisstropfen verwandeln sich zu Blut – sind jedoch nichts als Noten. Noten, die mit geballter Kraft über uns hinweg donnern. Ein romantisches Werk der hohen Schule, Dramatik, Tod, Liebe, alles in einer Komposition. Es gibt kein Entrinnen. Der Kurs der Geschichte um Baron von Frankenstein ist genauso unaufhaltbar wie die Musik. Und am Ende, wenn sich die Rauchschwaden verzogen haben, bleiben nur wir selbst zurück. Denn all das, was wir gesehen haben, liegt in unseren eigenen Herzen.

Steve  |  1994

MARY SHELLEY’S FRANKENSTEIN
Patrick Doyle
Epic soundtrax
69:37 | 24 Tracks