Bereits ist über ein Jahrzehnt vergangen, seit Christopher Gordon mit seinem grossartigen Orchesterscore zu Moby Dick für Aufsehen sorgte und die berechtigten Hoffnungen auf einen vielversprechenden neuen Stern am Filmmusikhimmel zwei Jahre später mit On The Beach bestätigte. Leider hat Gordon die Qualität dieser beiden TV-Arbeiten für mich in den Folgejahren nicht mehr erreicht, wobei zu sagen ist, dass er aus welchen Gründen auch immer zumindest im Bereich der Film- und Fernsehmusik kein allzu produktiver Komponist zu sein scheint, sind doch auf imdb innerhalb eines Vierteljahrhunderts gerade mal 16 Titel aufgeführt. Eine auffällig grosse Lücke gibt es nach Salem’s Lot (2004), folgen doch erst 2009 die nächsten Einträge. Während mir Daybreakers nicht bekannt ist, schafft Gordon mit Mao’s Last Dancer einen attraktiven, facettenreichen und im positiven Sinne vorwiegend altmodischen Score, der zu den überzeugendsten des Jahres gehört und von mir deshalb zum SCOTY 09 gewählt wurde.
Der auf Tatsachen beruhende Film von Bruce Beresford erzählt die Lebensgeschichte von Li Cunxin, der aus seinem Bauerndorf an die Tanzakademie von Peking geholt wird, später als Austauschstudent nach Houston geht und dort eine amerikanische Kollegin heiratet. Als er beginnt, die Kommunistische Partei seiner Heimat zu hinterfragen, wird er zum Politikum.
Gordon arbeitete mit Unterbrüchen ein Jahr an diesem Film, einige seiner Stücke entstanden bereits während der Präproduktion, damit die Ballettszenen der Musik angepasst werden konnten. Ausserdem bearbeitete er eigens ein paar Klassiker der Ballettliteratur wie Giselleoder Schwanensee. Eingespielt wurde der Score mit dem Sidney Scoring Orchestra, diversen Solisten sowie einem kleinen Ensemble mit traditionellen chinesischen Instrumenten. Bemerkenswert ist, wie bedacht Gordon auf die Ausgewogenheit von Ost und West achtet und damit eine hervorragende Fusion der Kulturen erschafft. Vor nerviger Dauerberieselung ungewohnter Klänge wie in manchem Chinarestaurant braucht sich also niemand zu fürchten.
Das energievolle Thema für Li’s Heimatdorf wird – mit dezenter Orchesterbegleitung – vom chinesischen Ensemble in Out of the Well eingeführt, die folgenden Tracks werden dann wie Buchkapitel in Örtlichkeiten oder Ereignisse zusammengefasst. Besagtes Dorfmotiv ist aber nur das erste von mehreren reizvollen Themen, die diese abwechslungsreiche Filmmusik ebenso auszeichnen wie die Durchmischung von Lebensfreude, Liebe, Melancholie und Trauer.
Eine betörende chinesische Melodie, begleitet vom Orchester, hören wir in The Archer, in Pas De Deux macht uns ein Soloklavier mit dem wunderbaren Liebesthema bekannt. Sirhc Nodrog’s Book of Ballet Exercises for the Pianoforte, eine Folge lieblicher Motive, ist selbsterklärend. Das von Klavier, Kontrabass und Percussion bestrittene Free Dance bezeichnet der Komponist als Pseudo-Jazz. Beim imperialistischen Klang von Madame’s Model Ballet denkt man sowohl an China als auch an Grossbritannien. Das tieftraurige Dance of Longing, geprägt von einer kummervollen Solovioline, sollte man sich bei depressiver Stimmung besser nicht anhören. Break Up and Reunion setzt einen emotionalen Schlusspunkt, der in Village Dance and Finalefortgeführt wird, und da die gebündelte Orchesterkraft das letzte Wort hat, gibt’s endlich wieder einmal ein Finale, das diese Bezeichnung auch wirklich verdient.
Mao’s Last Dancer bietet alles, was man in der heutigen Filmmusik vor allem aus Hollywood so schmerzlich vermisst: Eindrückliche Themen, wahre Gefühle, Menschlichkeit, Tiefe und die Gewissheit, dass sich der Komponist mit der Hauptfigur und deren Lebensumständen auseinandergesetzt hat. Bleibt zu hoffen, dass wir von Christopher Gordon künftig noch einige Scores dieses Kalibers erwarten dürfen.
MAO'S LAST DANCER Christopher Gordon Sony Classical 88697602412 65:15 Min. / 23 Tracks
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