Review aus The Film Music Journal No. 25, 2001
Giuseppe Tornatores CINEMA PARADISO war 1989 ein Glücksfall fürs Kino gewesen: Ein nostalgischer Film der großen Gefühle, der durch seine wunderbaren Bilder, die liebevolle Charakterisierung der Personen und die kongeniale romantische Morricone-Musik wahrlich begeisterte. Auch der zweite Morricone-Tornatore STANNO TUTTI BENE (1990) berührte noch als feinfühlig erzählte Tragikomödie über die Sehnsucht eines alten Mannes, gespielt von Marcello Mastroianni, nach einer intakten Familie, die in der Realität schon längst nicht mehr existiert. Mit MALÈNA ist das Team Morricone-Tornatore inzwischen beim siebten Film angelangt, und zumindest was die Inszenierung und die seltsam blutleer wirkende Story über die von einem 13jährigen Jungen angehimmelte schöne «Witwe» Malena im Sizilien des Jahres 1941 angeht, regiert hier fast nur noch oberflächliches Kunstgewerbe. Tornatore schafft es nicht, seinem Film eine formale Einheit zu geben, das früher bei ihm bedeutsame Thema der Erinnerung scheint langsam zur reinen Masche verkommen zu sein.
Außer der stilvollen Kameraarbeit ist nur Morricones Score von gewohntem Format, und man hätte ihm doch einen besseren Film zur Untermalung gewünscht. Ein recht schönes elegisches Hauptthema für die von der Kamera ständig voyeuristisch abgefilmte MALÈNA, verkörpert von Italiens Erotik-Star Monica Bellucci, schmeichelt sich ab Track 2 der CD («Malena») in die Gehörgänge ein. In gewohnt perfekter Manier zieht Morricone gefühlvoll die Streicher hoch und läßt das süffige, von einer Viola umgarnte Thema auf- und abschwellen, wie man es von ihm kennt und liebt. Noch eleganter als in diesem Cue wird im End Title («Malena – Titoli di Coda») geschwelgt, wenn sich Viola und Sopran-Saxophon gegenseitig bei diesen emotionsgeladenen Klängen fast den Rang ablaufen. Morricone in nostalgischer Hochform, wie er immer wieder begeistern kann. Viola-Solist Fausto Anzelmo ist ohnehin schon längst professioneller Stammgast im Morricone-Orchester, und ich persönlich mußte beim MALÈNA-Hauptthema doch desöfteren an das Masterpiece I PROMESSI SPOSI (1989) zurückdenken, dem ebenfalls Anzelmo mit seiner Viola den letzten Schliff gegeben hatte. Reminiszenzen werden vor allem an das großartige «La Monaca di Monza»-Stück aus jenem Score wach.
Im Kontrast zum Hauptthema bringt Morricone zum Teil deftiges und burleskes sizilianisches Lokalkolorit ins Spiel, um das komödiantische Element musikalisch umzusetzen: Während «Inchini Ipocriti e Disperazione» mit den seit spätestens IL GATTO (1978) altbewährten instrumentalen Mitteln (Klavier, Gitarre, Mandoline nebst Blechbläsern) für ironisch-skurrile Atmosphäre sorgt, die sich dann in ein ausdrucksvolles zweites Hauptthema mit voller Streicherformation verwandelt, setzt Morricone in «Passeggiata in Paese» und «Bisbigli della Gente» noch eins drauf und bringt einem alten Bekannten und Urvater der klassischen italienischen Filmmusik, nämlich Maestro Carlo Rustichelli, ein nettes Ständchen dar. In diesen beiden Tracks, die die MALÈNA geradezu geifernd anstarrenden sizilianischen Ehemänner charakterisieren, sind die Klavierpassagen, die quirligen Streicher und Holzbläser sowie die aufgeputzte Blaskapelle so nah dran an Rustichellis DIVROZIO ALL’ITALIANA (1961), der ja gleichfalls in Sizilien angesiedelt ist, daß das wirklich kein Zufall mehr sein kann.
Interessant ist Track 15 «Cinema d’Altri Tempi», weil Morricone hier an selbstgesetzte Grenzen stößt. Musikalisch gesehen ist dieses pseudo-heroische Stück mit leerlaufenden Crescendi, Sprüngen und Brüchen nun wahrlich kein hörensweres Glanzstück. Auf der CD sind mehrere Passagen des Films, in denen der 13jährige Renato sich in seinen Tagträumen als Filmheld und Beschützer Malenas imaginiert, in diesem Cue zusammengesetzt worden. und Morricone sah sich hier in die Zwangsjacke versetzt, einen filmmusikalischen Stil zu übernehmen, der der ihm vorangegangenen Komponistengeneration entstammt. Man kann es regelrecht heraushören, wie schwer er sich damit tut, Action und Bombast aufzubauen bzw. die Filmhandlung direkt zu paraphrasieren.
Auch dies also ein negatives Lehrstück über Morricones Stil, der bei seinen Scores geradezu konträr arbeitet, um mit in sich geschlossenen Themen für Distanz und musikalische Kontemplation zu sorgen. Letzteres findet sich in den lyrischen und einfühlsamen Hauptthemen von MALÈNA mal wieder aufs Schönste bestätigt. Man darf gespannt sein, ob es dem nun schon so oft bei Oscarverleihungen leer ausgegangenen Morricone mit seinem nominierten MALÈNA-Score in diesem Jahr zu einer Auszeichnung reicht.
Stefan | 2001
MALÈNA
Ennio Morricone
Image Music
46:49 | 18 Tracks