Review aus The Film Music Journal No. 9/10, 1997
Der hochinteressante, wenn auch nicht eben kassenträchtige Film LOOKING FOR RICHARD von und mit Al Pacino wartet mit der hübschen Idee auf, Shakespeares Richard Ill. nicht einfach zu verfilmen, sondern Spielszenen mit Bühnenproben und Interviews mit Shakespearekennern, aber auch ganz «normalen» Menschen auf der Strasse zu vermengen.
Für den Komponisten Howard Shore ergab sich dabei eine ganze Reihe von Problemen. Wie soll ein solches Wirrwar von Handlungsebenen (Filmwelt, Theaterbühne, Interview…) und historischen Brüchen (Handlung des Dramas: Spätmittelalter; Entstehung in der Shakespearezeit: um 1600; Gegenwart der sonstigen Szenen) musikalisch verknüpft werden? Mit einem Patchwork, das allen Ebenen gerecht wird? Oder als «freie» Komposition, die sich um den historischen Rahmen nicht weiter schert? Mehrere Varianten sind denkbar.
Shore entschied sich dafür, ein überwiegend statisches, an sich schon «alt» wirkendes Klangbild mit moderner Satztechnik zu verbinden. Insofern erleben wir eine dreiviertelstündige Suite mit sieben längeren Stücken, die jeweils einer Figur des Dramas zugeordnet sind, ohne deshalb als Porträt gelten zu können. Sein Score bemüht sich um Vermittlung, ohne dabei der Gegenwart besonders zu huldigen, wie dies leider vielen anderen Shore-CDs mit dem Ersatz seiner Musik durch zeitgenössische Popsongs widerfahren ist.
Die archaische Komponente entsteht durch die Verwendung bestimmter Intervallsequenzen, Quintparallelen zumal, aber auch choraler Elemente. Dagegen sind die Melodiebögen oft viertaktig, wie dies für modernere Musik charakteristisch ist. Auch werden moderne Instrumente verwendet. An gewissen Punkten aber verschwimmt diese Grenze, und das erst macht diese Musik so faszinierend, wenn sie auch ebenso wenig kommerzorientiert wie der Film ist. Shores typische Neigung zur Betonung der tieferen Register bringt gewollte, bleierne Schwere und tiefen Ernst ein, der wie schon manch frühere Arbeit des Komponisten sicher nicht jedem zugänglich ist.
Doch das Einhören lohnt sich, und die fremde, aus ferner Zeit herüberwehende Klangwelt belegt erneut, warum man Shore zu den inspiriertesten, erfindungsreichsten Hollywood-Komponisten der letzten zehn Jahre zu zählen hat.
Matthias | 1997
LOOKING FOR RICHARD
Howard Shore
Angel
45:08 | 7 Tracks