Lionheart (The Deluxe Edition)

In A WEEK WITH JERRY – Teil 5 bin ich bereits auf LIONHEART (1987) auf Film und Musik eingegangen, dennoch darf man diese neue Veröffentlichung, die kürzlich bei Varèse Sarabande Club erschienen ist, sicher gesondert und als CD-Ereignis für sich stehend nochmals rekapitulieren.

Der Film war ein eher misslungenes Werk des grossartigen Franklin J. Schaffner, der kurze Zeit später, 1989, verstarb. Erzählt wird die Geschichte der Children’s Crusade auf ihre eigene Art und Weise. Budgetrestriktionen und Finanzierungen, die nie eintrafen, führten dazu, dass einige spektakuläre Sequenzen es nie vom Drehbuch in den fertigen Film schafften. Eric Stoltz und Gabriel Byrne wurden als Antipoden besetzt, doch weder sie noch die teils in Ungarn und Portugal gedrehten Szenerien, konnten dem Film helfen, der schliesslich nur zu einem sehr begrenzten (und als Film gekürzten) Kinospiel in Kanada kam.

Der Einzige, der eigentlich ungeschoren aus diesem Ritterabenteuer kam, war der Komponist. Jerry Goldsmith, mit dem Schaffner u.a. bei PLANET OF THE APES (1968), PATTON (1970) und BOYS FROM BRAZIL (1978) zusammenarbeitete und der Schaffner stets als guten Freund beschrieb, lieferte eine wundervoll abwechslungsreiche, heroische und leitmotivisch geprägte Komposition ab. Heute noch zählt sie bei so einigen Fans zu den beliebtesten Scores des ebenso beliebten Komponisten, was durchaus nachvollziehbar ist.

Eingespielt mit dem ganz anständigen Klangkörper des Hungarian State Symphony Orchestra und später in London, wo Goldsmith die Synthesizer aufnahm, die dann in den Mix integriert wurden, bekommen wir eine ganze Reihe an Themen zu hören. Zuallererst sei das 3-Noten-Motiv genannt, um das Goldsmith so ziemlich die ganze Komposition spannt. Aus diesem tritt auch «Robert’s Theme», zuerst im ausgesprochen schönen, geheimnisvollen und fast traurig klingenden «The Ceremony» zu hören, hervor, dem Goldsmith viele Male und auch in Variationen Platz einräumt (so zum Beispiel gespielt vom Synthesizer im sich nach und nach aufbauenden «Bring Him Back»). Ein wunderbares Thema ist jenes für Robert und Blanche, im gleichgenannten Stück «Robert and Blanche» und auf besonders schöne Art und Weise für Harfe, Querflöte, Oboe und Streicher in «The Lake» zu geniessen. Ein wenig erinnert es in seiner melancholischen Art an Rambos Thema aus FIRST BLOOD (1982) (die Nähe zu Rambo bekommen wir bereits im 7/8 getakteten «Failed Knight» zu hören).

Desweiteren finden wir ein leichtgängiges Motiv für die kämpferische «Mathilda», die Robert in der Fechtkunst in nichts nachsteht. In tiefen Registern der Holzbläser, Posaunen und Trompeten und begleitet von Perkussion schreitet das Motiv des Fieslings, gespielt von Gabriel Byrne, dem schwarzen Prinzen, scheinbar unaufhaltsam voran: «Black Prince» und «Final Fight» (ein umwerfend tolles Stück, das im übrigen ein wenig an Passagen aus KING SOLOMON’S MINES, 1985, erinnert). Für King Richard (eben, The Lionheart), entwickelte Goldsmith ein weiteres, heroisches Motiv, das in seiner Fülle in «King Richard/End Title (Robert’s Theme)» und fragmentarisch da und dort (zum Beispiel in Blanches Traumsequenz am Ende von «The Lake») auftaucht. Für die Kinder, die sich nach Paris aufmachen, stellt Goldsmith ein eigenes Motiv zur Verfügung, das uns in «The Circus» erstmals begegnet.

Die Synthesizer sind wie bei Goldsmith üblich passend, für diese Zeit typisch (LEGEND, 1985), musikalisch toll ausgeführt und gut eingebettet in das Gesamtbild, das Setting des Films bereichernd und nicht störend. Anspielungen an «mittelalterliche Musik» streift Goldsmith höchstens und fügt diese als Mischung für Perkussion, Synthesizer und Holzbläser bei («The Castle»).

Zusätzlich zu den zwei CDs hat Varèse ein 16-seitiges Booklet mit Liner Notes von Tim Grieving spendiert. Mit etwas Verspätung wegen Problemen beim Artwork ist die Doppel-CD nun doch noch in die heimischen Briefkästen geflattert, aber wenn Filmmusik-Liebhaber etwas haben, dann ist es Geduld. Die Musik, die einst auf zwei LPs und zwei längst vergriffenen CDs (ebenfalls Varèse übrigens) veröffentlicht wurde, ist nun wieder vereint – und ein bisschen mehr («Bondage» und «The Black Prince»). Bereits aber ist die Auflage wieder ausverkauft. Doch wer Pech hatte und zu spät kam, kann sicher sein: In ein paar Jahren wird sich ein anderes Label dem Score annehmen. Übrigens erklingt die Komposition nun in chronologischer Reihenfolge, so wie vom Komponisten eigentlich geplant. Und sie klingt nach wie vor ungemein erfrischend und abwechslungsreich, es ist gut zu spüren, welche Absichten Goldsmith hegte und, dass er, besonders er, auch mässige bis nicht besonders gelungene Filme stets mit Respekt und Professionalität betreute. Ein hohes Gut, auf das wir heute, bald 20 Jahre nach seinem Tod, zurückgreifen dürfen. Im fertigen Film übrigens wurde einiges an Musik gekürzt, herumgeschoben oder fand gar nicht den Weg in das filmische Endprodukt. Also nicht enttäuscht sein, sollte jemand mal per Zufall über LIONHEART im TV (eher nicht) oder im Internet stolpern.

Der Leser möge mir diesen Satz verzeihen, aber es ist eine Tatsache: Solche Filmmusiken werden heute nicht mehr gemacht. Selbst «Ritterfilmen» wird oft ein Sound Design, Minimalismus und möglichst viel «musikalische Authentizität» aufgepfropft, aber sicher kein ausführliches Hauptthema und schon gar nicht gleich mehrere Motive. Den Diskurs, wieso und weshalb das so ist, lassen wir hier im Rahmen dieser Rezension bleiben. Immerhin haben wir ja die Möglichkeit, diesen Klängen nach wie vor und halt mit etwas Wehmut «an gute, alte Zeiten erinnernd» zu lauschen. Also, HiFi-Anlage lauf aufdrehen, so ist LIONHEART am besten durch die gute Stube klingend und nicht als auf mp3 runtergerechnetes Sparsamkeitspaket via In-ears zu geniessen.

Phil 06.07.2021

LIONHEART – THE DELUXE EDITION

Jerry Goldsmith

Varèse Sarabande Club

82:38 Min.
22 Tracks
Limitiert auf 1500 Stk.