Les Âmes Fortes

Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002

So manch wunderschöne Blume blüht am Wegesrand, derweil das Auge der großen Masse nur noch das wahrnimmt, was ihm mit dreister Propaganda und Penetranz sowieso vor die Nase gesetzt wird. Genauso stellt sich heutzutage dem genauen Beobachter das Bild der Filmmusik-Szene das, wo jeder Jungkomponist aus den USA, hat er nur mal einen handfesten Horror- oder SciFi-Score für irgendein B-Produkt abgeliefert, gleich mal einen Lorbeerkranz übergestülpt bekommt, wogegen irgendwelche Veröffentlichungen von bekannten (geschweige denn eher unbekannten) französischen Komponisten einer totalen Ignoranz ausgesetzt sind.

Nicht anders läßt es sich in solch düsteren Zeiten überhaupt erklären, daß ein funkelndes Juwel wie der vorliegende Score weder auf einer Soundtrack-Website im Internet noch in irgendeiner Fachzeitschrift nur auch mit einem einzigen Wort erwähnt wird, während belangloser und kruder Trash von amerikanischen Nachtgestalten – mögen diese nun Trevor Rabin, Graeme Revell, Mark Mancina oder wie auch immer heißen – immer wieder gern als Polarisierungsgegenstand für zum Teil heftig geführte Diskussionen hergenommen wird. Hört man hingegen eine derart bezaubernde Musk wie die auf der vorliegenden CD, die die meisten Scores des Jahres ganz einfach abhängt, so kann man wahrlich nicht umhin, solcherlei kuriose Schlammschlachten nur noch als albernes und kindisches Getue abzutun, dem inzwischen jedweder Sinn für musikalische Qualitätsmaßstäbe sowie der Weitblick über den amerikanischen Tellerrand hinaus abhandengekommen ist.

Obwohl der Komponist Jorge Arriagada eigentlich ein gebürtiger Chilene ist, der seit einigen Jahren in Frankreich arbeitet, besitzt seine Partitur zu LES ÂMES FORTES jenen unverkennbaren französischen Touch, der sich sofort in der durchgehend transparenten Instrumentierung (fast nur Holzbläser und Streicher), dem Einsatz von Soloinstrumenten, dem unverwechselbaren Charme des Streichergewands und der aparten, fast kammermusikalischen Melodieführung dingfest machen läßt.

LES ÂMES FORTES ist in der Tat eine der absoluten poetischen Soundtrack-Entdeckungen des Jahres, was umso überraschender erscheint, als Arriagadas vorhergehende Zusammenarbeit mit demselben Regisseur Raoul Ruiz bei der Marcel Proust-Verfilmung LE TEMPS RETROUVÉ (1999) längst nicht ein so hohes musikalisches Niveau erreichte und sich eher – natürlich filmbedingt – mit der Zulieferung von mehreren Salonmusikstücken begnügen mußte.

Leider kann man sich in Deutschland vom zugrundeliegenden Film, der Adaption eines Romans von Jean Giono mit Laetitia Casta, Arielle Dombasle und John Malkovich in den Hauptrollen, mal wieder kein genaueres Bild machen, da selbst in Frankreich beim Filmstart im Mai sich kein allzu großes Publikum für das Historienepos einfand und auch die Kritiker überwiegend negativ reagierten.

Die in mehreren Rückblenden erzählte mysteriöse Geschichte spielt in der Provence des ausgehenden 19. Jahrhunderts und handelt von einem jungen Bauernmädchen, das vom Land in die Stadt zieht und dort Liebesbeziehungen mit drei sehr unterschiedlichen Männern unterhält, bis es plötzlich in den Verdacht gerät, für den Mord an einem von ihnen die Schuld zu tragen. Arriagadas Score scheint sich hingegen weniger der dramatischen Konfliktsituation anzunehmen als vielmehr die pastorale musikalische Landschaftsbeschreibung des Provence-Gebirgslandes in den Mittelpunkt zu rücken.

Besondere Ohrwurmqualitäten hat dabei das sowohl in einer instrumentalen wie vokalen (gesungen von Beatrice Uria-Monzon) Version erklingende melancholisch-getragene und sehr stimmungsvolle Hauptthema «Les âmes fortes», das deutlich inspiriert ist von den berühmten «Chants d’Auvergne» von Joseph Canteloube. Einer der klangschönsten und warmherzigsten melodischen Einfälle, die ich im abgelaufenen Jahr kennengelernt habe. Allein dieses herrliche Thema sollte schon fast Kaufanreiz genug sein für diese CD, aber Arriagada breitet zudem noch ein zweites eher beschwingtes und fröhliches Thema in «La Saint-Jean» aus, das wiederum instrumental als auch vokal vertreten ist: Ein quirliges und spritziges Treiben, bei dem sich ein ganzes Arsenal von solistisch auftretenden Holzbläsern virtuos die Hand reicht, um die Melodie mit reizvollen Verzierungen auszuschmücken, bis am Ende des Tracks das volle Orchester das Thema wieder an sich reißt. Da kann man nur sagen: hier wird raffiniertes Zuckergebäck vom Allerfeinsten geboten!

Etwas andere und herbere Töne schlagen das archaische, ebenfalls von Béatrice Uria-Monzon gesungene «L’Aube», düstere Kammermusikeinlagen, bei denen hauptsächlich Bratsche und Cello für dissonante Spannungen sorgen, sowie diverse reizvolle Volkstänze wie etwa die Gigue («Rigodon») an. Doch im Prinzip dominiert der impressionistisch angelegte elegische Streicherklang, der sich im Nu mit lyrischen Aufwallungen wie in «Parfum de Chypre» oder «Le Village Nègre» das Herz des Zuhörers erobert.

Mag man als kleine Einschränkung zugeben, daß vielleicht ein oder zwei zu sehr filmbezogene atmosphärische Tracks auf der CD sind, so besticht doch der ganze Rest durch eine äußerst subtile Ausgestaltung und durch den herrlichen Melodienfluß, der manchmal auch eine enge Verwandtschaft zu den Arbeiten eines Patrick Doyle durchscheinen läßt.

Als Fazit bleibt nur noch zu sagen: Diese CD ist tatsächlich der Soundtrack-Geheimtip des Jahres – und den Namen Jorge Arriagada wird man sich von nun an merken müssen. Man darf gespannt sein, ob er das hier abgegebene kompositorische Versprechen bei seinen nächsten Aufträgen einhalten kann.

Stefan  |  2002

LES ÂMES FORTES
Jorge Arriagada
Sony
40:11 | 18 Tracks