L’armée des ombres

Review aus The Film Music Journal No. 26/27, 2001

Éric Demarsan gehört zu jener Gruppe von französischen Komponisten wie Francois De Roubaix oder Vladimir Cosma, die Ende der 60er ihr Soundtrackdebüt gaben und frischen filmmusikalischen Wind in das französische Kino um 1968 herum bringen wollten. Gemeinsam war dabei allen dreien das bewußte Lavieren zwischen Jazz, Pop und Sinfonik, sozusagen das Aufsprengen der Grenzen zwischen stark divergierenden musikalischen Genres. Dieser damals modische Eklektizismus hat verständlicherweise die Zeitläufte nicht allzu gut überstanden, und so ist etwa von den zwei Demarsan-CDs, die im letzten Herbst auf dem Universal-Label in Frankreich erschienen sind, auch nur L’ARMÉE DES OMBRES (1969) als gewichtig einzustufen. Die zweite CD, LE CERCLE ROUGE (1970), ebenfalls ein Score zu einem Film von Jean-Pierre Melville, kann man auf Grund der durchgehenden Jazz-Improvisation eigentlich nur Freaks dieser Musiksparte so recht ans Herz legen.

Seltsamerweise sind diese beiden Melville-Autorenfilme die bekanntesten in Demarsans Filmographie geblieben. Ein kleines Meisterstück gelang ihm 1977 nur noch mit der sehr sorgfältig und stilsicher ausgearbeiteten Partitur zum Alain Delon-Krimi ATTENTION LES ENFANTS REGARDENT, in dem Kinderchöre und Glasharmonika für ganz besonderes Kolorit sorgen – leider ist diese Arbeit bislang nur auf einer inzwischen schon seltenen französischen LP erhältlich, die damals parallel zum Film erschien. In den 80ern und 90ern verschwand Demarsan hingegen mehr und mehr im Dunstkreis obskurer TV-Produktionen.

Regisseur Melville, von dem die besten und stilisiertesten Gangsterfilme des französischen Kinos der 60er Jahre stammen, galt stets als recht schwierig und heikel, wenn es um die Musik in seinen Filmen ging, was nicht verwundert, wenn man die mit äußerster Strenge, Sparsamkeit und Distanziertheit inszenierten Werke von ihm kennt. Für komponierte Filmmusik bleibt naturgemäß innerhalb eines solch eng gesteckten Rasters wenig Möglichkeit zur Entfaltung, und selbst bei L’ARMÉE DES OMBRES verwarf Melville einen Teil von Demarsans Musik: Der Komponist sollte ein Stück im Stil von Morton Goulds Orchesterwerk «Spirituals for Orchestra» verfassen, das bereits bei den Dreharbeiten als Temp Track für eine Exekutionsszene gedient hatte – unzufrieden mit dem bei Demarsan bestellten Imitat, verwendete der Regisseur schließlich doch das Original. Interessanterweise sind auf der jetzt vorliegenden schönen CD beide Versionen zum Vergleich enthalten.

L’ARMÉE DES OMBRES erzählt die Geschichte einer französischen Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg ohne Heroisierung oder Idealisierung, dafür aber in ruhigen und klaren Bildern von ausdrucksstarker Intensität. Der Ehrenkodex, die Loyalität und die ritualisierten Gesten von Melvilles Gangstern werden in diesem Film übertragen auf die Gruppe der Résistance. Mit Sicherheit eines von Melvilles großen Meisterwerken, dazu von einem glänzenden Darstellerensemble getragen, das sich um Lino Ventura (der den Ingenieur Gerbier spielt, der den Widerstand organisiert) und Simone Signoret herum gruppiert.

Ganz im neobarocken Stil, wie es Demarsan als ehemaliger Orchestrierer bei Michel Magne in den frühen 60ern gelernt hat, hebt das «Thème de Gerbier» an: Eine sehnsüchtig-getragene Melodie, zunächst vom Klavier angestimmt, dann von Unisono-Streichern gespielt und zur Abwechslung auch mal vom Akkordeon übernommen, das auf wunderbare und typisch französische Art und Weise die schwermütige Atmosphäre in Töne umsetzt. Ein weiteres elegisches Thema erscheint im Track 3 Thome de Mathilde, wiederum sehr reizvoll und apart instrumentiert mit barocken Albinoni-Streichern, Klavier und einer elektronischen Orgel, die dezent und wirkungsvoll eingesetzt wird. Vor allem das Lino Ventura zugeordnete Gerbier-Thema zieht sich in mehreren mollschwadigen Varianten durch den Score und entpuppt sich als süffiger melodischer Einfall, der im Ohr hängen bleibt.

Wie meist bei typisch französischen Filmmusiken gibt es keine großen dramatischen Orchesterausbrüche, vielmehr bleibt die Komposition dem Film entsprechend angenehm zurückhaltend, verhalten und unspektakulär. Vielleicht wäre noch darauf hinzuweisen, daß sich in den eher düsteren, spannungsgeladenen Tracks, die zwischen den Hauptthemen liegen, sehr starke italienische Einflüsse bemerkbar machen. So etwa bekannte Morricone-Manierismen wie verstimmte Klavierakkorde und langgezogene hohe Streicher in «La Lettre Anonyme» beziehungsweise E-Gitarre nebst Klavier («La Planque»), während Demarsan in «20 Octobre 1942» und «La Mort de Donnat» unzweifelhaft eine tragische Motivwendung aus Carlo Rustichellis LA RAGAZZA DI BUBE (1963) aufgreift. Eine Hommage an den verehrten Kollegen oder Zufall?

Sicher ist L’ARMÉE DES OMBRES keine große Musik, aber die CD mit mehr als 40 Minuten Scoreanteil ist doch ein kleines Geschenk für Fans des Films und für Liebhaber sanfter und romantischer französischer Orchesterklänge. All jenen darf diese wiederum liebevoll mit Farbfotos und einem Interview mit Demarsan ausgestattete Scheibe ohne Umschweife ans Herz gelegt werden.

Stefan  |  2001

L’ARMÉE DES OMBRES

Éric Demarsan

Universal France

43:50 | 17 Tracks