GORKY PARK
James Horner, La-La Land Records
Dritte Neu-Wieder-Anders-Auflage nach der Pseudo-Neuveröffentlichung von Kritzerland (die nur die alten Albumtracks nahm und so etwas wie eine chronologische Reihenfolge damit versuchte) und der ausführlichen Intrada CD von 2014. La-La Land Records nun bringt eine neue Version von Horners tollem Actioner auf zwei CDs heraus. CD 1 enthält den 45:24 Minuten langen Score sowie 11:28 Source Cues und 19:48 Minuten Additional Cues. CD 2 präsentiert zwei Mal das alte Album, in der Urform und schliesslich aufgefrischt – inwiefern das nötig war, sei dahingestellt. Neu ist zweifellos das fein geschriebene 28-Seiten Booklet mit Text von Deniz Cordell. Ob auch der stein- und beinharte Horner-Fan, so er das alte Album und die Intrada Veröffentlichung besitzt, kaufen sollte, muss jeder selbst wissen. So oder so, GORKY PARK (1983) zählt zu den besten der frühen actionbetonten Werken von James Horner und so ist sicher: In jeder Sammlung sollte sich wenigstens eine Ausgabe davon finden.
| Phil
BOYS ON THE RUN
Bill Conti, Music Box Records
BOYS ON THE RUN ist ein mir bis anhin völlig unbekannter Film aus dem Jahr 2003 des mir ebenfalls nicht bekannten luxemburgischen Filmemachers Pol Grutchen. Für BOYS ON THE RUN konnte das Produzententeam einerseits Ron Perlman und andererseits – das war vielleicht der noch grössere Wurf – Bill Conti gewinnen. Der Film spielt teilweise in den Blue Ridge Mountains in Virginia und erzählt von Jungs, die aus einer strammen Erziehungsanstalt ausbrechen, um in den Bergen einen Ort zu finden, in dem es keine Erwachsenen geben soll. Conti versammelte ein mittelgrosses Streichorchester und erweiterte dieses mit Klavier, Perkussion, Synthesizer, aber vor allem diversen Gitarren (Banjo, Mandoline, Akustikgitarre, E-Gitarre). Melancholische Klänge und Themen mischen sich mit brutalen Einschüben von Perkussion und E-Gitarre für den Bösewicht (Perlman) und seine Truppe. Insgesamt ein erstaunlich leichtfüssiger, erfrischender Score mit etwas Americana-, Südstaaten- und gar ethnischem Feeling von Conti, herausgebracht vom tollen Music Box Records Team mit einem Booklet mit Liner Notes von Daniel Schweiger.
| Phil
VISIONS
Philippe Rombi, Music Box Records
Dieser Thriller aus dem Jahr 2023 von Yann Gozlan mit Diane Krueger und Mathieu Kassovitz ist das zweite Teamwork von Regisseur und Komponist nach BOÎTE NOIR (2021). Rombi startet furios mit dem an Bernard Herrmann erinnernden «Visions» mit seinen kurzen, repetierenden Motiven für Streicher und Harfe, später Chor und Blech dazusetzend (ein Motiv, das er im Verlauf des Scores («Jalousies») gerne wieder verwendet). Im Weiteren Verlauf behilft sich Rombi dann und wann modernerer Stilmittel, also Rhythmen aus der Elektronikkiste (Track 3), aber auch rauchig-erotischen Stücken wie «Tu te souviens» oder fast horrormässigen Klangcollagen wie in «Les méduses» oder einer in den Streichern eingebetteten Bassflöte im packenden «Révélation (Théme d’Ana)». Abzüglich der etwas gar hipp rüberkommenden Stücke bekommen wir hier mit 56 Minuten Laufzeit einen starken Rombi in einem Genre geboten, in dem der Komponist öfters Bestes aus sich heraushören kann. Einige verehrte Ami-Kollegen könnten sich hier mal eine Scheibe von abschneiden von diesem mitunter besten Thrillerscore des Jahres.
| Phil
OPPENHEIMER
Ludwig Göransson, Mondo Records
Einer der mit grosser Spannung erwarteten Filme dieses Jahres war sicherlich Christopher Nolans OPPENHEIMER – trotz des frühen Starts dürfte der Film einer der grossen Favoriten der Award Saison werden. Ludwig Göransson und Nolan, zweiellos einer der innovativsten und spannendsten Regisseure unserer Zeit, arbeiteten zum ersten Mal bei TENET (2020) zusammen, das Resultat in Sachen Score war eher so lala. Die Herausforderung bei OPPENHEIMER (2023) war sicher nicht kleiner. Hört man sich den Beginn des beim Label Mondo Records erschienenen Doppelalbums an, werden sicher Erinnerungen an Minimal Music à la Philip Glass («Quantum Mechanics» etwa) wach. Göransson verwendet hier hauptsächlich Streicher (Ensemble und Solo) in verschiedenen Spielweisen, Harfe, Klavier und mischt manchmal vermehrt, dann wieder etwas weniger elektronische Beigaben. 94 Minuten sind viel Score, wenn man sich nicht an starken Themen und Motiven orientieren kann und so bezweifle ich, dass OPPENHEIMER zu einem Dauerbrenner im CD-Player wird. Wer aber Minimal Music und schiftende Fragmente mit kurzen Motiveinschüben mag und beklemmende Atmosphäre über Melodie stellt, der wird hier gut aufgehoben sein. Und eines ist sicher: Besser als TENET ist OPPENHEIMER allemal.
| Phil
MEG 2: THE TRENCH
Harry Gregson-Williams, Watertower
Ein wenig überraschend war es schon, als ich damals erfuhr, wer den Score zu THE MEG (2018) komponieren würde. Nicht, dass Harry Gregson-Williams sich im Actiongenre, mit «grossen» (pardon the pun) Geschehnissen und tierischen Animositäten nicht auskennen würde (THE EQUALIZER, THE MARTIAN, POLAR BEAR). Bisher sind beide Scores, Original und Sequel, nur als Download, letzterer mit 52 Minuten Musik, erhältlich und ob sich dereinst eines der CD-Speziallabels diesem annimmt, muss abgewartet werden. Der 130 Millionen teure Vorgänger war ein weltweiter Erfolg, klar musste ein Sequel her. Der Komponist holt sich ohne Zweifel Selbstinspiration aus THE MEG (der ein klein wenig mehr Ruhe ausstrahlten durfte). MEG 2: THE TRENCH ist also laut, oft ungemein (über)geschäftig, von unnachlässig treibenden Rhythmen bestimmt und so auch ein bisschen viel, manchmal zu viel für die Ohren – Gregson-Williams mischt wie im Vorgänger Synthesizer in die orchestrale Landschaft. Ach ja, und den letzten Track «Chomp (Bankey Ojo Remix)» kann man getrost auslassen. MEG 2 ist weit vom besten Gregson-Williams entfernt, aber die bombastische Actionrolle musikalischerseits im Film zweifellos erfüllend. Gefragt nach dem besseren MEG Score, würde ich jenen für Teil 1 nennen, da wie erwähnt mehr Platz für wenigstens ein bisschen Emotion blieb. Das Gelbe vom Ei sind aber beide Musiken nicht.
| Phil
THE BOY AND THE HERON
Joe Hisaishi, Tokuma
Puristen mögen es mir verzeihen, dass ich bei den Filmen von Hayao Miyazaki und Joe Hisaishi den englischen Filmtitel verwende. Hisaishi und Miyazaki gehen zurück bis in die 80er Jahre, seither beglücken sie Fans japanischer Zeichentrickfilme mit Werken wie PRINCESS MONONOKE (1997) oder HOWL’S MOVING CASTLE (2004) gleichermassen wie uns Filmmusikhörer. THE BOY AND THE HERON (2023) ist der neuste Streich von Studio Ghibli und seit SOUL SEARCHER (2020) das erste Filmwerk Hiaishis.
Der 73jährige Hisiashi eröffnet mit Klavier und Streichern, sowie leisem Schlagwerk, nur zwischendurch sind später Holzbläser und vermehrt Harfe zu hören. Ab und an mischt Hisaishi japanische Klänge bei (zum Beispiel Track 17). Bis zu Track 10 bleibt THE BOY AND THE HERON eher fein und leise, manchmal verspiel, melancholisch und nachdenklich, ehe jener Track für einmal ein wenig «wilder» wird, was in den 69 Minuten und 37 Tracks – somit teilen sich viele Stücke die Laufzeit – jedoch selten der Fall ist. Beendet wird der eher stille und für einmal etwas mit Melodien geizende THE BOY AND THE HERON mit einem gelungenen Song. Dankenswerterweise ist beim Label Tokuma eine CD erschienen.
| Phil
THE LITTLE THINGS
Thomas Newman, Watertower
Der Film von John Lee Hancock (SAVING MR. BANKS, 2013; THE FOUNDER, 2016) aus dem Jahr 2021 versammelt drei grosse Mimen: Denzel Washington, Remi Malek und Jared Leto spielen stark in diesem schön langsam gestalteten Thriller über einen Serienmörder und was das mit den beteiligten Cops macht – wenn auch das Drehbuch nicht immer wasserdicht erscheint, so ist es doch einer der besseren Genrefilme der letzten Jahre. Am Boxoffice wenig erfolgreich, da nur mit begrenztem Kinoangebot im Corona-Jahr aufgeführt, zählte THE LITTLE THINGS zu den damals erfolgreichsten Streamingfilmen. Thomas Newman und Hancock arbeiteten zuvor bei SAVING MR. BANKS (2013) und THE HIGHWAYMEN (2019) zusammen. Newmans Musik ist atmosphärisch dicht, enthält Spannungspassagen ebenso wie fast etherisch schwebende Momente («Musica Latina» mit den Stimmensamples) und Besonderheiten wie «Gentlemen’s Club». Hauptsächlich verwendet er Klavier und Elektronik. Wer Newmans eigenen, unverkennbaren Stil, eine bisweilen brodelnde Stimmung und auf thematische Führung verzichten mag, der wird mit THE LITTLE THINGS durchaus zufrieden sein. Noch besser wirken die 56 Minuten Musik, nachdem bzw. wenn man den Film gesehen hat.
| Phil
HEART OF STONE
Steven Price, Netflix Music
Schaut man sich die Filme von Regisseur Tom Harper an, verwundert es wenig, dass auch HEART OF STONE (2023) mit Gal Gadot und Jamie Dornan nicht mehr als gemischte Filmgefühle hinterlässt: Price und Harper trafen kurz zuvor bei THE AERONAUTS (2019) zusammen, auch nicht ein Ausbund an filmischer Topleistung. Nicht nur deswegen, sondern auch weil HEART OF STONE (2023) ein ausgemachter Actionflick (mit wenig erbaulichen, ja manchmal hanebüchenen Ideen) ist, sass die Erwartungsschwelle beim Score ganz tief. Und selbst über die ist der Score von Price kaum rüber gekrochen. Im Film beinahe wall-to-wall, ungemein laut – erstaunlich laut für einen heutigen Genrefilm – mit einem immer wieder auftauchenden aber wenig gescheit variierten Hauptmotiv. Nicht besser ergeht es dem Hörer nach den 91 Minuten Musik, die Netflix wie so oft nur als Download (Streaming ist, wir wissen es, keine Musik) bereitstellte. Da meldet sich der Tinnitus im Ohr und man ist irgendwie froh, wenn Film und Musik vorüber sind. Vielleicht finden beide begeisterte Zuseher und Hinhörer, wer weiss?
| Phil
AHSOKA VOL. 1 & VOL. 2
Kevin Kiner, Disney
Wie bei den vorhergehenden STAR WARS-Serien für Disney+ ist die Musik leider auch zu AHSOKA (2023) nur als Download erhältlich. Die Serie, für einige STAR WARS-Fans der einzig richtige Nachfolger nach THE RETURN OF THE JEDI (1983), gehört mit THE MANDALORIAN (2019-2023) zum Besten was die Maus bisher auf ihrem eigenen Kanal zum Thema Krieg der Sterne geboten hat. Viel besser als das leidige THE BOOK OF BOBA FETT (2021), gelungener als OBI-WAN KENOBI (2022) und die durchaus nicht schlechte Serie ANDOR (2022). Wenn man die animierten STAR WARS: REBELS und STAR WARS: CLONE WARS kennt, flutscht man mir nichts dir nichts in die AHSOKA Serie. Und das Schöne dabei: Kevin Kiner wurde als Komponist engagiert, der auch die soeben erwähnten beiden Reihen musikalisch vertonte.
Bei AHSOKA nun durfte Kiner in die Vollen greifen und einen orchestralen Score schreiben, den ich den anderen musikalischen Werken zu den D+ Serien vorziehe. Und so ist Kiners Musik die «starwars-igste», trotz pseudoethnischer Momente, aller D+ live action Serien zum Thema und ehrlich, das tat richtig gut. Aber noch wichtiger, es kommt auch AHSOKA gut zu stehen. Kiner greift Teile aus seinen REBELS und CLONE WARS Musiken auf, hat hier die Gelegenheit diese neu zu interpretieren und feine STAR WARS Momente (ja, sogar etwas RAIDERS OF THE LOST ARK) mit einem Orchester erklingen zu lassen. Das macht richtig Spass, wenn auch insgesamt, Volume 1 und 2 zusammengezählt, satte fünf Stunden plus anzuhören sind. Das in einem Aufguss durchzuhören wird kaum machbar sein – und wahrscheinlich ist es auch besser so.
Phil
15.10.2023