kurz und knapp 33: Lightyear, Mimic, Spider-Man, Freaky, Claret, Polar Bear, The Sicilian Clan u.a.

MIMIC: The Deluxe Edition
Marco Beltrami, Varèse Sarabande Club

Dies ist das zweite Release der Langversion von Marco Beltramis Score zu Guillermo del Toros MIMIC (1997) aus dem Jahr 1997 – wer das 2011er Release damals verpasste, kann nun also erneut zugreifen. 2011 erschien die CD mit anderem Cover, aber gleichem Inhalt wie diese 2022er Edition. Beide erweitern die originale Varèse Scheibe (31 Minuten) signifikant und zeigen vom Hörgefühl her beinahe anderen Score. Lohnen tut es sich allemal, MIMIC ist Beltramis bester Scores aus seiner Anfangszeit und sorgte gemeinsam mit dem grossen Boxoffice-Erfolg von SCREAM (1996), für den Durchbruch des Komponisten, der heute oft mit kleinen, feinen Musiken für Furore sorgt.
Beltrami verwendet Chor, Knabensopran, Orchester, donnernde Perkussion und Synthesizer um für die passende Stimmung zu sorgen. Ausserdem bildetet der dramatisch packende, manchmal fast Young’schen Bombast annehmender und gar nicht immer «atonal typsiche» Horrorscore den Beginn einer leider allzu kurzen Zusammenarbeit mit Del Toro (BLADE II, HELLBOY) – von der man sich vielleicht mehr gewünscht hätte, insbesondere was die doch eher enttäuschenden Arbeiten Djawadis und Alexandre Desplats für Del Toro anbelangen.

Phil


FREAKY
Bear McCreary, Back Lot Music

McCrearys Comedy-Action-Horror Vertonung FREAKY ist das, was ich mir seit langem mal wieder wünschte: ein narrativer Score; so unterhaltsam wie eingängig. In den Action-Passagen prollt der Score wie seinerzeit Brian Tylers «Decimation Proclamation» (ALIENS VS PREDATOR: REQUIEM, 2007), bietet aber dank Zwischentöne Harmonie und versteht es den Hörer bei Laune zu halten, ohne dass man sich genervt abwendet. Die Actionpassagen klingen nicht schrammelig oder künstlich und sind stets präsent. Die genreüblichen Mixturen aus Blechbläserglissandi und Streicherstaccato wechseln sich ab mit romantischen Einschüben, die sich schleichend in Suspensemomente verwandeln. Ein schönes Beispiel hierfür ist «Easy To Talk To». Zu den actionlastigen Höhepunkten gehören «Knife Heist», «Kitchen Combat» oder auch «Ice Cold».
McCrearys vorliegende Vertonung erfindet das Rad nicht neu, aber er versteht es Versatzstücke stimmig zu montieren. Dass der Komponist sich in allen Genres wohlfühlt und keinen wiedererkennbaren Personalstil hat, ist eben sein Personalstil. Scoretipp, gerne auch in Schleife.

Oliver


SPIDER-MAN (20th Anniversary Edition)
Danny Elfman, La-La Land Records

Die Zeiten waren andere. Elfman stand ganz hoch im Kurs und Comic-Helden tauchten (noch) nur sporadisch auf. Sam Raimis Grosserfolg mit SPIDER-MAN (2002) und SPIDER-MAN 2 (2004) ebneten gewissermassen erst den Weg der grossen Superheldenwelle, die uns seither begleitet. Selbst der misslungene SPIDER-MAN 3 (2007) konnte den Siegeszug eines neuen Genres nur kurzzeitig aufhalten. Und da Raimi mit Elfman bei DARKMAN (1990) und A SIMPLE PLAN (1998) bestens zuammenarbeitete, stand der BATMAN(1989)-Komponist für den ersten wirklich ernsthaften Versuch, Spider-Man auf die Leinwand zu bringen, parat. Die 2002er CD enthielt 45 Minuten Musik, diese 20th Anniversary Ausgabe nun enthält den ganzen 78 Minuten dauernden Score (and more…). Man hört die Gewichtung auf Peter Parkers love interest und mehr und mehr Actionmaterial, je länger der Score dauert. Drei Discs stark ist die Ausgabe, die ausserdem die alte Präsentation und natürlich so einiges an «additional music» enthält. Wahrhaftig eine feiste Geburtstagspräsentation also. Mir sind die Momente mit der Green Goblin Musik die willkomensten. Hier ist die «düstere Seite» des Komponisten untrüglich zu vernehmen – und auch der Komponist selbst vertritt die Ansicht, dass ihm diese Momente die liebsten in seiner Komposition für SPIDER-MAN waren. An den tollen JUSTICE LEAGUE (2017) von Elfman kommt SPIDER-MAN allerdings nicht heran. Dennoch: Tolles Paket für Elfman- und/oder Spidey-Fans mit den gewohnt guten Liner Notes des Labels.

Phil


DISNEYNATURE’S POLAR BEAR
Harry Gregson-Williams, Disney

Die Disneynature-Filme haben punkto Filmmusik bis dato eher selten wirklich aufhorchen lassen, trotz prominenter Komponistenbesetzung. Der bisher interessanteste Beitrag dieser Reihe ist Ramin Djawadi für ELEPHANT (2020) gelungen. Auch Harry Gregson-Williams ist kein Unbekannter bei Disneynature – er vertonte bereits MONKEY KINGDOM (2015), PENGUINS (2019) und nun jüngst POLAR BEAR (2022). Stets lieferte er leicht anzuhörende Orchestermusik, doch wirklich aufhorchen lassen sie einem nicht. Daher verblasst auch die Musik zu POLAR BEAR nach dem Hördurchgang recht schnell. Keine der melancholischen Klavierpassagen oder der verspielten Holzbläser-Momente setzt sich nachhaltig im Ohr fest – es fehlt eine eigene musikalische Identität. Dabei hätten die schönen wie beunruhigenden Bilder von POLAR BEAR sowie auch die eingestreuten Informationen zu dramatischen globalen Klimaherausforderungen – die nicht nur den porträtierten Polarbären zu schaffen machen – gerade auch von etwas schwermütigeren, bedrückenderen Klängen abseits des „Disney-Wohlfühl-Sounds“ profitieren können. Solche gibt es am ehesten im ersten und letzten Stück, «We Are Ice Bears» und «Great Survivors», zu hören. Zwischen diesen beiden sich stark ähnelnden Stücken spielt sich nicht allzu viel Auffälliges ab – stets gefällig, aber selten markant.

Was bleibt, ist eine mehrheitlich routinierte, «gemütliche» Filmmusik, die während den ruhigeren Passagen immer Mal wieder an Steven Prices Musik für DAVID ATTENBOROUGH: A LIFE ON OUR PLANET (2020) erinnert, jedoch ohne deren ergreifendere Melancholie zu erreichen. Das ist nicht schlecht, aber dennoch hätte man sich etwas mehr Eigenständigkeit gewünscht.

Basil


THE QUINN MARTIN COLLECTION VOLUME 4:
TWELVE O’ CLOCK HIGH
Dominic Frontiere, La-La Land Records

Bereits ist die Nummer 4 in der QUINN MARTIN-Reihe von La-La Land erschienen. Diese ist gänzlich der TV-Serie 12 O’CLOCK HIGH (1964 – 1967) und Dominic Frontiere gewidmet. Frontiere passte, , selbst leidenschaftlicher Pilot, wie die Faust aufs Auge zu dieser Serie über ein Geschwader (mit Robert Lansing), das im 2. Weltkrieg kämpft. Unter anderem Richard Donner (SUPERMAN-THE MOVIE) verdiente sich mit 4 Episoden hier seine Sporen ab. Frontiere zeichnete mit Ausnahme weniger Episoden für die gesamte Serie verantwortlich. Hauptangelpunkt ist die Titelmusik, nicht etwa, wie man hätte erwarten können, ein Marsch, sondern eine Hymne für die Helden der Lüfte, die Frontiere gerne verwendet und anpasst. Geschrieben für ein Orchester von dreissig bis vierzig Musiker unterhalten die zwei CDs mit Musiken zu 17 Episoden durchgehend gut. Im Programm von CD 2 fällt einem ein Motiv mit einer erstaunlichen Verwandtschaft zur gleichzeitig entstandenen STAR TREK Titelmusik auf – obschon Frontiere für die Serie nicht komponierte. Eine weitere schöne Beigabe zu den bestehenden QUINN MARTIN Alben.

Phil


LIGHTYEAR
Michael Giacchino, Disney

LIGHTYEAR von Regisseur Angus MacLane erzählt die Vorgeschichte von Buzz Lightyear – also jene Geschichte, von der dieser in all den TOY STORY-Filmen stets rumprahlte. In LIGHTYEAR wird das grossmäulige «Spielzeug» als waschechter Science-Fiction-Kinoheld in Szene gesetzt. Das ist unterhaltsam und visuell schön gemacht, wie von Pixar zu erwarten. Den Charme und die verspielten Zwischentöne von TOY STORY sucht man hier indes vergebens – im Film wie auch in der Filmmusik von Michael Giacchino. Dieser liess sämtliche Filmmusik-Ideen von Randy Newman, der die TOY STORY-Filme vertonte und damit auch bereits ein Thema für Buzz Lightyear lieferte, hinter sich und schrieb dem Titelhelden eine mehrheitlich bombastische Filmmusik auf den Leib. Das Ergebnis ist kurzweilig, wenn auch thematisch repetitiv – wie bereits bei THE BATMAN (2022) dominiert auch hier das Hauptthema fast jedes Stück.

Besagtes Hauptthema ist eine schnörkellose Heldenfanfare für Buzz Lightyear mit ausgeprägtem Ohrwurmcharakter in gewohnter Giacchino-Manier. Das Thema eröffnet die Filmmusik mit den ersten Tönen und ist im Anschluss beinahe pausenlos und in verschiedensten Ausprägungen im Einsatz. Dazu gesellt sich ein herrlich überzogenes Thema für den Bösewicht Zurg – mit Chor und Orchester irgendwo zwischen dem «Imperial March» von Williams und epischer Rózsa-Musik angesiedelt. Für die paar wenigen ruhigeren Momente wartet Giacchino zudem mit romantischen und melancholischen Kompositionen auf. Diese gelangen zwischen den Lightyear- und Zurg-Themenstatements indes leider schnell in Vergessenheit. Ein besser balanciertes Nebeneinander all dieser Themen präsentiert die abschliessende 12-minütige Suite «One Suite Buzz». Die vorausgehenden 64 Minuten sind indes primär dem Wechselspiel zwischen dem Lightyear- und dem Zurg-Thema gewidmet, eingebettet in funktionale jedoch austauschbare Action-Musik.

Basil


CLARET
Óscar M. Leanizbarrutia, Kronos

Leaniz…wie? Ja, der Name ist ein ziemlicher Zungenbrecher und fordert das Senioren-Namensgedächtnis. Leanizbarrutia hat in seiner Heimatstadt Klarinette studiert und war danach vier Jahre am Real Conservatorio Superior de Música de Madrid. 2013 begann er mit dem Komponieren Von Musiken für Serien oder Dokumentationen, sein erster Filmscore war POVEDA (2016). CLARET (2020) ist ein Film über einen Professor, der die Geschichte von Antonio Claret, Ordensgründer und späterer Bischof, erforscht. Die Musik ist ein prima Beispiel dafür, dass es da draussen, in der grossen weiten, sehr gesättigten (Streaming und Co.) Filmwelt, Musiken gibt, von denen man nur per Zufall oder dank eines Labels, in diesem Fall Kronos, erfährt. Leanizbarrutia ist ein manchmal zerbrechlicher, äusserst melodischer und fein aufgebauter Score, der an vergangene (und bessere) Filmmusikzeiten erinnert. Für mich war diese CD die Überraschung des Jahres, ein wundervolles, ergreifendes Werk voller musikalischer Ideen für ein Streicherorchester plus Solisten, einige Teile wie Blechbläser und Chor stammen von Samples. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. CLARET ist eine unbedingte Kaufempfehlung.

Phil


GODS OF WAR: RAGNARÖK
Bear McCreary, Sony Interactive

Ist ein Gamescore ein Filmscore? Darüber streitet man sich derzeit desöfteren. Meiner Meinung sind es zwei Paar Schuhe. Immer noch. Die dramturgische Entwicklung einer (guten) Filmkomposition kann ein Gamescore alleine des Mediums wegen so nicht oder nur schwierig durchmachen, auch wenn Narrative durchaus seit langem Einzug in Games erhalten haben. So sind diese Musiken mehr und mehr im Kommen und viele sind erhältlich, zumeist als Downloads oder auf Streamingplattformen.
Bear McCrearys GODS OF WAR: RAGNARÖK ist eine kraftvolle, ja sagen wir mal so, sehr maskuline Musik. Chorgesänge, pfundige Perkussion und ein stets präsentes Orchester, aber auch ethnisches Instrumentarium (wie das Hurdy Gurdy) und Sologesänge bestimmen diesen Score, der 2022 den Game Award für «Best Score and Music» gewann. Die Kompositionen sind durchaus vergleichbar zu McCrearys hervorragenden RINGS OF POWER (2022) Arbeiten, minus den gefühlvolleren Momenten und Ausnahmen wie «Raeb’s Lament» oder der ersten Hälfte von «Letting Go». Wer also eine Begegnung der kräftigen musikalischen Art nicht scheut, der dürfte trotz der überaus satten Länge von 2 Stunden seine Freude an diesem Score haben. Schon stark was McCreary hier wieder gestaltet hat.

Phil


THE SICILIAN CLAN
Ennio Morricone, Quartet Records

Vor THE GODFAHTER war THE SICILIAN CLAN (1969) – oder im Original LES CLANS DES SICILIENS – wenn auch weit weniger «monumental» und weitgreifend, aber auch mit einem Aufsehen erregenden Staraufgebot: Jean Gabin, Alain Delon, Lino Ventura spielen in Henri Verneuils recht erfolgreichen Gangsterdrama.

Wer könnte für die Musik geeigneter sein als ein Italiener? Vorhang auf für Ennio Morricone, der im gleichen Jahre gerade knapp 21 weitere Filme zu vertonen hatte (ja, 21!). Die Quartet Ausgabe premiert mit einer erweiterten 55 Minuten Fassung, wer also bisher nichts von THE SICILIAN CLAN gehört hat, liegt mit einem Kauf durchaus richtig (so noch Exemplare dieser limitierten Edition zu haben sind). Der Score ist eine Mischung aus Spaghetti-Western-Morricone mit nur wenig wehmütigen Klängen, Melancholie und Lamenti im Sinne eines Nino Rota für den eingangs erwähnten Coppola sollte man hier nicht erwarten. Vielmehr klingt THE SICILIAN CLAN also eher nach Italowestern und das passt ja auch irgendwie. Maultrommel, Pfeifen, Keyboard, Streicher, Soloinstrumente, E-Gitarre, Fender Bass, aber auch unverwechselbare Morricone Themen und Motive zeichnen diesen «Mafiascore» aus. Kein Meisterwerk, für Morricone Fans jedoch durchaus ein Muss.

Phil


31.01.2023