1993 war eine Zeit des Umbruchs für James Horner. Grosse, üppige Musiken à la THE ROCKETEER (1991) oder GLORY (1989) wurden seltener, Horner streckte seine Fühler mehr und mehr nach kleineren Projekten wie SEARCHING FOR BOBBY FISHER und THE MAN WITHOUT A FACE oder speziell ausgerichteten Musiken wie PATRIOT GAMES oder SWING KIDS aus. JACK THE BEAR gehört eindeutig in diese Phase, kann sich aber nicht ganz mit den erwähnten BOBBY FISHER oder dem Mel Gibson Film messen, obwohl er thematisch durchaus zu diesen passen würde. Erzählt wird der Film aus der Perspektive des 12-jähirgen Jack erzählt, der nach dem Tod seiner Mutter alleine mit seinem kleinen Bruder Dylan und dem alkoholabhängigen Vater John, gespielt von Danny DeVito, zusammenlebt. Als gefährlicher als die ganze schwierige Lebenssituation der Kids entpuppt sich Nachbar Norman (Gary Sinise), ein Neonazi, der in Johns TV-Sendung verspottet wird. Daraufhin entführt dieser Dylan und bedroht auch Jack.
Freilich, Horner wäre nicht Horner, würde man nicht auch in JACK THE BEAR seine typischen Melodien (das Hauptthema ist, ob fragmentarisch oder fast 1:1, ein Dauerbrenner bei James Horner, ein unschuldiges, nostalgisch und kindlich naiv angehauchtes Motiv) und natürlich die unverkennbare Instrumentierung finden. Trotz Klavier, Harfen, Flöten (Querflöte, Blockflöte) und Streichern rückt Horner hier dennoch ein wenig von Gewohntem ab. So hören wir eine Bassmundharmonika, die bedrohlich in unschuldige Passagen einschneidet und sich von Jacks Motiv als TV-Präsentator der Monsterfilmabteilung zum markanten Tongeber für den fiesen Norman wandelt, aber auch einiges aus dem Synthesizer und Sampler ist zu finden. Das wiederum war damals nichts Neues oder wirklich Originelles bei Horner, hat er diese doch bei CLASS ACTION (1991), UNLAWFUL ENTRY (1993) und einigen weiteren Musiken – allerdings gekonnter – eingesetzt. In JACK THE BEAR benützt er auf Grund des kleinen Budgets Streichersamples, dies in lieblichen als auch spannenden Passagen, doch diese Samples haben ihr Ablaufdatum überschritten. Interessant ist die Aussage von Regisseur Marshal Herskovitz, heute vor allem als Produzent tätig, dass er im Vorgespräch mit Horner Elmer Bernsteins TO KILL A MOCKINGBIRD erwähnte, was den Komponisten zusätzlich reizte sich des Films anzunehmen, nicht um Bernsteins Meisterwerk zu kopieren, eher um dessen düstereren Verwandten zu fabrizieren. So sind denn auch weniger melodische Ähnlichkeiten zu vernehmen, doch Ideen (das zweite Hauptmotiv, zumeist von den Flöten gespielt, geht in der Ausführung in „Flashbacks“ in der Tat in die Richtung von Bernsteins Komposition) und stilistische Parallelen (die Holzbläser, das Klavier, die Mundharmonika…) sind tatsächlich zu finden. Ein weiteres Horner-Merkmal, im selben Jahr in THE PELICAN BRIEF ebenfalls verwendet, ist das 3-Ton Spannungsmotiv aus „Dead Dog“ und der bereits erwähnte Einsatz des Klaviers als Meldodieträger, Unterstützer und für die bedrückenden, unruhigen Passagen.
JACK THE BEAR ist eine oft beklemmende, manchmal befremdend rohe Filmmusik, der jedoch letzte Zacken Dramatik und Magie abgeht. Eine Erwartung, die man bei Horner irgendwie hat und die sich trotz des gelungenen „Resolution/End Titles“ und charakteristisch langen Horner Stücken wie „Norman Attacks“ (11:21 Min.) nicht einstellen mag. Die Musik ist weniger zugänglich als die erwähnten, im selben Jahr entstandenen BOBBY FISHER oder MAN WITHOUT A FACE, doch kann man bei zehn Scores in diesem unglaublich fleissigen 1993 nicht immer das inspirierte und rundum gelungene Werk erwarten, immerhin waren andere bemerkenswerte Musiken wie A FAR OFF PLACE und SNEAKERS in jenem Jahr zu hören. Wer weiss, hätte Horner hier mit einer Streichersektion arbeiten können, JACK THE BEAR hätte sicherlich davon profitiert, man hätte mehr Tiefe, mehr Emotionen gespürt, wie es die Solovioline in „Norman Attacks“ zeigt.
Gegenüber der Intrada CD von 2001 enthält die La-La Land Veröffentlichung rund 7 Minuten mehr Musik, aufgeteilt in zwei neue („Dad Watches Dylan“, „Apology to Norman“) und einen um rund 4 Minuten erweiterten Track („Crying in Hospital“). Wer sich jetzt fragt, wieso Intrada damals zu diesem Material keinen Zugriff hatte, findet dazu im feinen Booklet von Jeff Bond leider keine Anhaltspunkte. Und zu guter Letzt die Frage aller Fragen: Lohnt sich eine Anschaffung so man die Intrada Scheibe besitzt? Wie so oft die übliche Antwort: Als beinharter Horner-fan kommt man nicht drum herum, ansonsten kann man weiterhin zur alten CD greifen.
Phil, 5.8.2018
JACK THE BEAR James Horner La-La Land Records 55 Min. 14 Tracks Limitiert auf 1500 Stück