Il Papa buono

Review aus The Film Music Journal No. 30, 2003

Immer wieder kommt man doch regelrecht ins Staunen, mit welch engagiertem Ehrgeiz Morricone an religiös angelegte Projekte herangeht, selbst wenn es sich dabei nur um TV-Produktionen wie im vorliegenden Fall handelt. Bei so manchen Kinofilmen gibt er sich dagegen der uninspirierten Routine anheim und erledigt solche Jobs wie etwa im letzten Jahr den Animationsfilm AIDA DEGLI ALBERI oder das krude Tinto Brass-Machwerk SENSO ‘45 fast teilnahmslos und altersmüde mit der linken Hand. Nach solcherart Enttäuschungen war selbst ich schon nahe dran, den Altmeister abzuschreiben und auf die Seniorenbank zu schieben.

Doch halt, sobald man die ersten Takte dieses neuen TV-Films über Leben und Wirken von Papst Johannes XXIII. vernimmt, wird klar, daß hier ein edles Werk vorliegt. Erinnerungen werden wach an den vor zwei Jahren entstandenen ähnlich melodisch hochkarätigen PADRE PIO-Score, doch war jene Musik weitaus meditativer und getragener angelegt, während beim IL PAPA BUONO beinahe über die ganze Spielzeit der CD hinweg alles in Bewegung ist: Imposant fließen die Melodien wie von einer großen Welle getragen dahin, fortwährend ändern sich die Instrumentierungen und die Rhythmen, und selbst in den bei Morricone gefürchteten und berüchtigten Spannungsmusiken wird nicht wie sonst meist bleierne Statik erzeugt, sondern es wechseln sich darin ständig harsche Dissonanzen mit vorwärtsdrängenden Melodielinien ab. Daraus resultiert eine Vielschichtigkeit der Elemente, die die Partitur trotz ihrer Länge von fast einer Stunde nie langweilig werden läßt. Einen großen Anteil daran hat zudem die für eine Filmmusik-CD geradezu bestechende Tonqualität, die ein brillantes räumliches Klangbild erzeugt, durch das alle Instrumente glasklar zur Geltung kommen.

Imposant ist allein schon der Titeltrack, in dem Morricone ein grandioses, würdevolles Thema von der Solo-Trompete vortragen läßt, in das sich daraufhin der das “Padre Nostro” intonierende Chor samt großem Orchester nahtlos einfügen. Dabei handelt es sich in der Tat um ein sensationelles Opening, das Morricone voll religiöser Inbrunst zelebriert, und das sicherlich mit zum Schönsten gehört, was in diesem Jahr bislang komponiert worden ist. Tre Suoni per Mille Voci läßt dieses Thema mit sonorem Acappella-Chor erklingen, während in Track 14 «Il Papa Buono» eine betörende Solo-Sopran-Vokalise in bester Morricone-Tradition übers Orchester gelegt wird. Im Finale Morte di Giovanni XXIII reißen Violine und Viola das Thema nur in bruchstückhafter Form an, bis sich der Kreis schließt mit der Reprise des erhabenen Themas durch Chor und Orchester.

Ein zweites getragen-gefühlvolles Thema wird in Track 4 Amicizia satt strahlend vom Orchester ausgebreitet und in einer weiteren Version (Track 12: Amicizia Reprise) wunderschön von der Solo-Viola ausgebreitet. Tief empfundene, verklärte Musik, die wahrlich zu Herzen geht und sicherlich zu Morricones schönsten Eingebungen der letzten Jahre zählt. Auch in den zwischengefügten atmosphärischen Stücken wie etwa Istanbul oder La Crisi di Cuba begnügt sich Morricone nicht mit den bei ihm zum Klischee erstarrten Streichertremoli aus der Retortenkiste, sondern überzeugt durchaus durch ein reizvolles Klangbild, bei dem nicht nur Schlagzeug zum Einsatz kommt, sondern auch Klavier und Cembalo als Rhythmus-Instrumente, skandiert von kurzen Blech-Staccati, agieren dürfen. Interessant hierbei, wie er im Mittelteil von La Crisi di Cuba auf das stark synkopierte und perkussiv geprägte Hauptthema aus Elio Petris Politkrimi INDAGINE SU UN CITTADINO AL DI SOPRA DI OGNI SOSPETTO (1969) zurückgreift. Ein weiteres Zitat ist in dem nur einminütigen Stück Preparazione al Conclave herauszuhören, das auf dem Streicherchoral Discesa aus dem bereits 1964 entstandenen EL GRECO-Score basiert. IL PAPA BUONO ist seit langem mal wieder ein echtes Hörerlebnis vom italienischen Maestro voller Vitalität, Dynamik und Intensität.

Stefan  |  2003

IL PAPA BUONO

Ennio Morricone

Image Music

55:42 | 19 Tracks