Heaven’s Gate / Wild Wild West / The Comancheros

Review aus The Film Music Journal No. 20, 1999

In den dreißig Jahren seit THE WILD BUNCH (1969) hat sich nur ein einziger Western angeschickt, das ausgedörrte Genre vollkommen zu renovieren, anstatt in purer Unterhaltung oder schwadronierenden Zeitgeistpredigten sein Heil zu suchen. Doch mißriet Michael Ciminos HEAVEN’S GATE (1980) zu einem der größten kommerziellen Reinfälle der Hollywood-Geschichte, flog schon nach einem Tag aus den Kinos, wurde um siebzig Minuten gekürzt und ist erst seit jüngster Zeit auf einer phantastischen Laserdisc wieder in seiner ursprünglichen Länge (219 Minuten) erhältlich. 1980 wollte man eben den ultrareaktionären Ronald Reagan als Cowboy-Politiker im Weißen Haus haben; da war kein Platz für einen „linken» Western als Identifikationsvehikel.

Künstlerisch lag zweifellos einiges im Argen: HEAVEN’S GATE ist sehr langsam, konstruiert und prätentiös, gewalttätig, nachlässig in etlichen Inszenierungsdetails —und bei all seinen Mängeln doch ein singuläres Ereignis der Westernfilmgeschichte, längst nicht so peinlich wie DANCES WITH WOLVES mit seiner Primitivbotschaft. Der Kamerablick verharrt in erlesenen Einstellungen und Panoramaschwenks, flaniert durch üppige Kulissen, die ständig in warme Brauntöne getunkt oder neblig verdüstert werden. Wyoming wird zum Nabel der Welt. Der Filmmusik ist all dies kaum anzuhören. Weder erleidet man den hypertrophen Stumpfsinn eines John Barry, noch läßt Mansfields Musik den Stil des Top-Westernkomponisten der achtziger und neunziger Jahre —Bruce Broughton —auch nur entfernt ahnen.

Während es mehrfach filmmotivierte Gelegenheiten für Musikeinlagen gibt, hält sich die Untermalung extrem zurück und strebt eher den introvertierten Kommentar als die überbordende, mitreißende Eigendynamik der besten Westernscores von Moross, Tiomkin oder eben Broughton an, von Morricones mal experimentierender, dann wieder opernhaft ausschwärmender Musiksprache ganz zu schweigen. Auf sich gestellt, muß Mansfields Beitrag daher genretypische Erwartungen enttäuschen, so lange man nicht dankbar nachvollzieht, daß diese uneitle Musikkulisse den denkbaren Kardinalfehler so mancher epischer Filmmusikpartitur vermieden hat und die überlebensgrosse, pathetische Bildinszenierung nicht noch auf musikalischem Wege rechts überholt. Indem man sich das künstlerische Desaster vorstellt, das hier mancherKollege hätte anrichten können, lauscht man den Gitarrenklängen in entspannter Zurücklehnung und freut sich auf den nächsten existentiellen Fernsehtrip.

Wer aber je die Chance erhält, HEAVEN’S GATE in der Langfassung auf der örtlichen Leinwand zu sehen, lade seinen gesamten Bekanntenkreis ein und überlasse sich einem gescheiterten, aber immerhin grandios gescheiterten Hauptwerk der jüngeren Filmgeschichte.

Von wem aber kann man in den nächsten Jahren einen guten Western erhoffen? Und wie würde der aussehen? John Sturges, Regisseur klassischer Pferdeopern wie GUNFIGHT AT THE O.K. CORRAL und THE MAGNIFICENT SEVEN, hat die abstrakte These geliefert: «Am Western wie am Ballett ist es die Disziplin, die den Leuten gefällt. Ein Western muß wie der andere aussehen. Ein Western ist ein formal wohlkontrolliertes Divertissement. Es ist völlig unnütz, «andere Western» machen zu wollen. Nötig ist, immer denselben Western noch einmal zu machen, jedesmal besser und anders.» Mit anderen Worten: der Ausgangspunkt hat der Gleiche zu bleiben, innerhalb des klassischen Konzepts liegen genug Varianten am Wegesrand. Leider wurde diesem §1 des Westerngesetzbuches zuletzt weder Genüge getan noch mit einleuchtenden Argumenten widersprochen.

WILD WILD WEST stützt sich in vielem auf die traditionellen Ingredienzien, fängt aber nichts

damit an. Trotz aller fotografischen Kunst gelingt es nicht, dieser Abfolge von mehr oder weniger lustigen Possen wirklich Leben einzuhauchen. Elmer Bernstein wurde offensichtlich als Relikt des alten Westernstils engagiert und versuchte auch, seinem schmissigen Hauptthema die entsprechende Aura zu verleihen. Typisch für alte Vorspannmusik war ihre Dreiteiligkeit mit kontrastierendem Mittelabschnitt. Bernstein nimmt das zum Anlaß, um die

«hippe» Figur Mr. West mit einem in zeitgenössische Popgefilde ausbrechenden Segment vorwegzunehmen. Vor dem Hintergrund des Films nicht ohne Sinn, erschöpft sich der Reiz nach wenigen Umdrehungen. Im weiteren Verlauf der gottlob von Will Smiths eigenen Gesangsversuchen verschonten Varèse-CD wechselt Bernstein zwischen unangekränkelten Western-Elementen und einer ironisierenden Ebene. Wie bei praktisch sämtlicher Komödienfilmmusik kommt dabei nicht allzuviel heraus. Die Lieblosigkeit nicht etwa des Filmschurken Dr. Loveless, sondern des über das erträgliche Maß hinaus kommerztriefenden Projekts hat leider auch Bernsteins Score davon abgehalten, noch einmal an die durchglühten Momente seiner alten, mittlerweile sehr weit zurückliegenden Tage anzuknüpfen, DRANGO (1956), THE TIN STAR (1957) oder THE MAGNIFICENT SEVEN (1960) vor allem.

Doch auch in den Sechzigern war bei ihm nicht alles vom Feinsten, und THE COMANCHEROS, in Lukas Kendalls FSM-Reihe erschienen, bietet über das prächtige Hauptthema hinaus allzu wenig, was den Mythos vom Wildwestmusikrevoluzer Bernstein stützen könnte; am ehesten noch dort, wo man sich gar nichts erwartet hat: in den leisen, sorgfältig ausorchestrierten Momenten musikalischer Lyrik, neben viriler Rhythmik vielleicht doch die eigentliche Stärke des mittlerweile ziemlich altherrenhaft komponierenden Amerikaners.

Zu HEAVEN’S GATE gibt es einen Artikel von Phil mit einem Interview mit David Mansfield.

Matthias | 1999

Heaven’s Gate
Wild Wild West
The Comancheros
HEAVEN’S GATE
David Mansfield
Rykodisc
54:38 | 25 Tracks

 

 

 

 

WILD WILD WEST
Elmer Bernstein
Varèse Sarabande
39:39 | 10 Tracks

 

 

 

 

THE COMANCHEROS
Elmer Bernstein
FSM Film Score Monthly
47:45 | 23 Tracks