Review aus The Film Music Journal No. 22/23, 2000
Sein oder Nichtsein? Diese Floskel gehört zum unerbittlich aufgehäuften Bildungsschutt der letzten Jahrhunderte. Spannender als die ausgebliebene Antwort wäre freilich, wenn jemand imstande wäre, den Rest von Hamlets berühmtestem Monolog aufzusagen oder wenigstens zusammenzufassen – das lohnt sich übrigens täglich, sobald der Bürokoller heraufzieht. Es besteht immerhin Anlaß zur Hoffnung, da Shakespeares Hamlet nicht nur ständig verfilmt, sondern auch in anderen Werken herbeizitiert wird: So stammt der Titel des Robin Williams-Kitschdramas WHAT DREAMS MAY COME ja geradewegs aus besagter Reflexion über Diesseits und Jenseits, der HAMLET sich noch schaudernd entzog.
Den herausragenden HAMLET-Verfilmungen von Laurence Olivier (1848), Grigori Kozintsev (1964) und Kenneth Branagh (1996) sowie diversen weniger eindrücklichen Versionen folgt nun eine Variante mit Ethan Hawke in der Titelrolle. Die US-Strategen vermarkten die auf „zeitgenössisch» getrimmte Adaption aber etwas voreilig als genialen Schachzug, denn schon Helmut Käutners DER REST IST SCHWEIGEN (1959) und Aki Kaurismäkis HAMLET GOES BUSINESS (1987) nahmen sich des Themas in vergegenwärtigten Dekors an – waren aber Euro-Produktionen, also kein Thema für die Sternenbanner-Landkarte.
Glücklicherweise wurde diesmal keiner der Fun-Komponisten aus Hollywood verpflichtet, um die angesichts der nachdenklichen Dialoge überaus heikle Filmmusik zu schreiben. Carter Burwells Vorzug liegt ja stets darin, weder sich selbst noch seine thematischen Einfälle in den Vordergrund zu drängen. Stattdessen hängt er einen Schleier über seine für kleine Orchesterbesetzung geschriebene Komposition. Es ist kaum möglich, hier einzelne Elemente herauszugreifen -eher schon gilt eine dem seienden Nichtsein adäquate Esoterikphrase unbedingt: der Weg ist das Ziel. Man muß sich abseits des Films auf die kleinen Modulationsvorgänge, die minimalen Klangfarbenverschiebungen einlassen. Und das meistens im dynamischen piano-Bereich. Filmmusik für den aufmerksamen Zuhörer.
Matthias | 2000
HAMLET
Carter Burwell
Varèse Sarabande
39:14 | 13 Tracks