Girl with a Pearl Earring

Review aus The Film Music Journal No. 33/34, 2005

Viele Figuren der niederländischen Porträtmalerei sind nicht eindeutig identifizierbar, und je intensiver der abgebildete Reiz, desto größer die Verlockung, sich eine Geschichte über die Beziehung zwischen dem Maler und seinem Modell auszudenken. So geschehen in GIRL WITH A PEARL EARRING, einer Romanze, die sich mit den amourösen Verwicklungen Vermeers und ihrem Niederschlag auf eines seiner berühmtesten Gemälde beschäftigt.

Alexandre Desplat kümmert sich nicht im Mindesten um die historische Entstehungszeit des Bildes und setzt ganz auf die Souveränität der Musik als Teil eines filmischen Gesamtkonzepts. Fast jeder Takt dieser traditionell gefertigten Partitur lässt ihre Vorbilder durchscheinen, manchmal in ganz konkreten Floskeln oder Instrumentationen, dann wieder nur expressiv-atmosphärisch. Zu den einprägsamsten Ideen zählt das in Track 2 eingeführte «Griet’s Theme». Sicher, die Flöte als Widerspiegelung holder Weiblichkeit ist ein abgedroschenes Relikt, aber die weitgespannte Kantilene gehört zu den gelungensten Fertigungen aus Desplats Werkstatt. Über einem bewegten Orchestergrund breitet sie sich aus, und wer etwa das Hauptthema aus Williams’ SEVEN YEARS IN TIBET mag, wird auch mit Desplats melodischer Cousine desselben alsbald Freundschaft geschlossen haben. Davon abgesehen nimmt weniger die melodische Einzelleistung als die Stimmigkeit der Komposition für sich ein.

Ein melancholischer Flor überlagert die Musik, und wenn man das Booklet richtig interpretiert, spielt das in der Londoner Orchesterhierarchie im Mittelfeld angesiedelte Pro Arte Orchestra ohne seine 1. Violingruppe, wodurch sich einige schöne Abschattierungen des etwas strohigen Streicherbildes erklären. Allerdings haben auch die anderen Streichersektionen nur phasenweise zu tun, denn erhebliche Teile der Partitur sind für kleinere Besetzungen orchestriert oder heben Flöten- bzw. Bratschensoli hervor, sofern nicht gerade der Celestaspieler einige silbrige Sterne ins Klangbild einstreut. Und gerade in den mittleren Stücken bricht ein nervöser, rhythmischer Impuls durch, der auch dafür sorgt, dass die dominanten langsamen Tempi nicht zur Ermüdung führen. Die Hauptgedanken sind gegen Ende noch nicht verbraucht, weshalb sich Reprisen der beiden Eröffnungsstücke anschließen, bevor Griets Erinnerungen den Bogen abrunden.

Im Ganzen: keine aufwühlende Musik, aber sehr solide komponiert und allem modischen Tamtam abhold.

Matthias  |  2005

GIRL WITH A PEARL EARRING
Alexandre Desplat
Decca 475537-2
50:32 | 20 Tracks