The Girl in the Spider’s Web

Von Komödie bis Thriller; vom spanischen Film über internationales Arthouse bis hin zu grossen Hollywood-Kisten – der spanische Komponist Roque Baños war 2018 mit einer unglaublich breiten Palette beachtlicher Filmmusik in den Kinosälen vertreten: THE COMMUTER, SIN RODEO, THE MIRACLE SEASON, THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE, YUCATAN und abschliessend THE GIRL IN THE SPIDER’S WEB. Im CD-Booklet zu letzterem schreibt Baños denn auch von «schlaflosen Nächten», wobei vermutet werden kann, dass das bei ihm letztes Jahr ein Dauerzustand hätte gewesen sein können. Wie dem auch sei, der Qualität seiner Arbeit tat dies keinen Abbruch. Gerade auch in Bezug auf die Filmmusik zu THE GIRL IN THE SPIDER’S WEB, die zwar keine leichte Kost geworden ist, aber bei der sich nach mehrmaligem Hören viele schöne, dramatische Momente aus der dunklen Grundstimmung herausschälen.

Zugegeben, nach erstmaligem Hören habe ich diese Arbeit von Roque Baños vorschnell weggelegt. Ausgebreitet auf ein Album mit fast 78-minütiger Laufzeit dominieren hier bedrückende Stimmungen und teils harsche Elektronik – das fordert einen Liebhaber der dramatischen, sinfonischen Kompositionen zuweilen. Dazu haben mich Baños’ Worte im CD-Booklet wohl zusätzlich «skeptisch» gestimmt: «the music needed to drip with the malice of unstoppable evil», «hungry for experimentation», «Hitchcock and the Machine», «mixture of digital and analog», «uncomfortable and oppressive atmosphere»… doch zusammen mit den Bildern entwickelt die Musik viel Kraft und so legte ich die CD nach dem Kinobesuch wieder in den CD-Player. Interessanterweise eröffneten sich mir nun die dunkel-dramatischen, thematischen Passagen, welche die beiden Hauptfiguren Lisbeth und Camilla charakterisieren, viel klarer. Sowie diese beiden Frauen im Film blutsverwandt sind, so sind auch deren Musikthemen aus ähnlichem Holz geschnitzt.

Auf dem Album sind beide Themen als Klaviersolo-Stücke zu hören, wobei «Lisbeth’s Theme» von Regisseur Fede Alvarez und «Camilla’s Theme» von Roque Baños eingespielt wurden. Sich diese Themen ein paar Mal anzuhören und damit zu verinnerlichen, hilft, deren häufige Präsenz während der gesamten Filmmusik – nicht selten auch nur fragmentarisch oder unterschwellig – besser ausmachen zu können. Sowie sich die Geschichte in THE GIRL IN THE SPIDER’S WEB um diese beiden Schwestern herum mehr und mehr offenzulegen beginnt, so durchlaufen auch deren Musikthemen eine ausgeprägte Entwicklung. Beide Themen werden im Stück «Prologue – Lisbeth’s Childhood» angespielt – zart, verblasst. In der zweiten Hälfte dieses Stücks übernehmen jedoch harsche Elektronik den Lead und es wird offensichtlich, dass die Kindheit dieser beiden Schwestern sehr dunkle Momente gehabt haben muss. Film und Filmmusik machen danach einen Sprung und mit «Main Title – The Birth of a Dragon» wird Lisbeths Thema prächtig vom ganzen Orchester vorgetragen – nicht heroisch, aber getrieben, entschlossen, kraftvoll, leidenschaftlich.

Ganz um Lisbeths Thema dreht sich auch das Stück «Lisbeth’s Lair», nun weniger mächtig, dafür mit mehr Tempo. In «You Have a Sister» mischt sich Camillas Thema fein und leise hinzu. Camillas Charakter wird im Laufe der Erzählung immer wichtiger und zunehmend ausgeleuchtet. So lässt Baños auch ihr Thema immer häufiger und prominenter in seiner Musik aufspielen, bis dieses ab dem Action-Finale mit «Invading Family Home» von der Kraft und Intensität her dem Thema für Lisbeth ebenbürtig wird und die beiden Themen immer stärker ineinandergreifen. Der emotionale Abschluss «You Can’t Blame Me» und «Burning the Past» lässt nach viel Actionmusik berührende und mitreissende Dramatik erklingen – opulent und tragisch.

Neben diesem kurz skizzierten, eindrücklichen Themen-Zusammenspiel bietet die Filmmusik zu THE GIRL IN THE SPIDER’S WEB auch viel rasante Actionmusik, geprägt von schnellen Streicherfiguren, harscher Elektronik und nicht selten auch fremd klingenden Soundeffekten. Dass diese Stücke – darunter Tour-de-Force-Kracher wie «NSA Attack», «Home Invasion», «Motorcycle Chase», «Chasing August» und «Masks Fight» – nicht gänzlich in forderndes Chaos ausarten, dafür sorgt die stetige Präsenz von Lisbeths Thema, das immer wieder heroisch aufblitzt – schliesslich ist sie in all diesen Sequenzen als Rächerin treibende Kraft. Fazit: Mit THE GIRL IN THE SPIDER’S WEB hat Roque Baños erneute eine beeindruckende, facettenreiche und ausgeklügelte Filmmusik vorgelegt. Diese erschliesst sich einem nicht beim ersten Hören und die Albumlaufzeit ist etwas zu generös ausgefallen, weshalb man sich das Album allenfalls nicht wiederholt anhört, was schade ist, denn mehrmaliges Hören legt viele klangschöne Momente frei. Die Musik hätte dabei gänzlich anonym ausfallen können, doch wartet Baños mit starken Themen und krachender Action auf. Hie und da wird man an die dunklen, dramatischen Momente von John Powells BOURNE-Arbeiten erinnert, aber diese Reminiszenzen entschärfen sich mit zunehmender Vertrautheit mit den Musikthemen.

Da der Film leider weder die Kritiker noch die Zuschauer überzeugen konnte, wird wohl auch die beachtliche Musik nicht die breiten Massen erreichen (selbiges Schicksal dürfte auch THE MAN WHO KILLED DON QUIXOTE ereilen). Dennoch bleibt zu hoffen, dass Baños auch in Zukunft seine innovative Musik dem Blockbuster-Kino prominent zur Seite stellen darf.

 Basil, 10.4.2019

THE GIRL IN THE SPIDER’S WEB

Roque Baños

Sony

78 Min.
25 Tracks