Frenzy

Nach ein paar durchzogenen Filmen fand Alfred Hitchcock mit FRENZY zu alter Form zurück. In der Adaption des Romans «Goodbye  Picadilly, Farewell Leicester Square» von Arthur La Bern (das Drehbuch verfasste der renommierte Anthony Shaffer) geht es um ein Lieblingsmotiv des Regisseurs. Wieder einmal gerät ein unschuldiger Mann ins Visier der Polizei, weil alle Indizien dafür sprechen, dass er der berüchtigte «Krawatten-Mörder» ist, der London in Angst und Schrecken versetzt, vor allem die Gegend um Covent Garden. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen die dortigen Obst- und Gemüsemärkte, die einerseits Hitchcocks Leidenschaft fürs Essen offenbaren, anderseits einen biografischen Hintergrund haben, war doch sein Vater Obsthändler in Covent Garden gewesen.

Bei den Komponisten, die Hitchcock von verschiedener Seite für FRENZY vorgeschlagen wurden, handelte es sich hauptsächlich um britische, erstaunlicherweise befand sich aber auch Bernard Herrmann darunter. Der Regisseur entschied sich dann aber eher unerwartet für Henry Mancini, der 1971 in einem Interview bekannt hatte, dass er wahnsinnig gerne Gruselfilme vertone. Von daher also ganz sicher keine schlechte Wahl.

Die von Mancini geäusserte Affinität macht sich geradezu exemplarisch in seinem barocken «Prologue» bemerkbar. Eine schicksalsbehangene, ahnungsvolle Kirchenorgel – die von der Royal Albert Hall übrigens – stimmt mit Streicherunterstützung auf das zu Erwartende ein. Danach aber schlägt Mancini einen völlig anderen Kurs ein. Der zum Einsatz kommende Haupt-Klangkörper besteht aus 10 Celli, 10 Bratschen, Bässen, Hörnern, Fagott und Bassflöten. Damit erzeugt er eine themenlose, verharrende, beobachtende Stimmung, wird nur gelegentlich, wie in «Babs Grabs», zupackender. Hat Mancini mit seinen schwer zu durchschauenden Klängen vielleicht die innere Gefühlswelt des empathielosen Mörders im Fokus?

Ein möglicher Ansatz, der aber bei Hitchcock nicht fruchtete. Obwohl der zu Beginn mit Mancini die Spezifikationen der Musik detailliert besprach und ihn auch den gesamten Score aufnehmen liess, funktionierte sie für ihn letzten Endes nicht, und die offizielle Begründung fiel sehr knapp aus: «makaber». Für Mancini bedeutete dies die einzige abgelehnte Filmmusik seiner Laufbahn.

So kam der schon im Vorfeld empfohlene Ron Goodwin zu Ehren, und ihm gegenüber war Hitchcock konkreter mit seinen Wünschen. Zumindest was das Titelthema betraf, wo er «sparkling, early morning music – woodwinds and glockenspiel» forderte. Und so schuf Goodwin das zwar trügerische, aber eingängige, festlich-royale «London Theme», das aber – wie bei Mancini mit seinem «Prologue» – im restlichen Score keine wesentliche Rolle mehr spielt. Denn es übernimmt das ruhelose «Frenzy Theme» das Zepter. Es repräsentiert sowohl den falschen wie auch den echten Mörder. Adrenalinfördernd, aber auch spannungsvoll kommt es daher. Einen morbid-romantischen Anstrich erhält es in «A Spree De Corpse», wo es nach Art eines «Valse Triste» erklingt. Blutgefrierend ist das an WHERE EAGLES DARE erinnernde «Murder Flashback», während das zeitweilig friedvolle «A Talk In The Park» etwas aus dem Rahmen fällt und für den Film nicht verwendet wurde.

Da beide Scores recht kurz sind, gibt’s noch Platz für ein wenig Bonus-Material. Bei Goodwin beispielsweise einen alternativen «End Title», bei dessen Schluss nochmals das «London Theme» anklingt, bei Mancini einen «Prologue», bei dem vor allem das dramatische Intro ins Ohr sticht. Von beiden Komponisten zwei Source-Cues, jeweils einen hübschen Kaffeehaus-Walzer und ein Stück im zeitgenössischen Unterhaltungsstil. Und als Kuriosum die «Descriptions For Alfred Hitchcock», wo Editor John Jympson für den bei Ron Goodwins Aufnahme-Sessions abwesenden Regisseur jede vertonte Sequenz sprachlich kurz zusammenfasst.

Was wir von dieser exzellenten CD von Quartet-Records bekommen, sind nebst der endlichen Gewissheit, dass Henry Mancini seinen Score tatsächlich komplett aufgenommen hat, zwei grundsolide Filmmusiken, die sich erheblich voneinander unterscheiden und im vorbildlichen Booklet-Text als subjektiv (Goodwin) und objektiv (Mancini) beschrieben werden. Er wurde vom Musik-Direktor, Dirigenten und Komponisten Deniz Cordell verfasst und beschäftigt sich ausführlich mit dem Film und seinen beiden Scores. Damit haben wir ein Gesamtpaket, das aus filmmusikalisch-geschichtlicher Sicht als sehr bedeutsam eingestuft werden darf.

Andi, 15.02.2023

FRENZYRon Goodwin | Henry Mancini
Quartet Records QR505
69:21 | 45 Tracks
Limitiert auf 3000 Stk.