Bandes originales des films de Yves Boisset

Review aus The Film Music Journal No. 31/32, 2004

Was bei vielen amerikanischen Filmkomponisten nur schwerlich vorstellbar wäre, erweist sich im Hinblick auf das umfangreiche Oeuvre Philippe Sardes als recht brauchbares Konzept: Sampler auf der Basis einer langfristigen Partnerschaft zwischen Regisseur und Komponist zusammenzustellen. Für insgesamt acht Filme des Regisseurs Yves Boisset hat Sarde zwischen 1975 und 1990 die Musik beigesteuert, von denen Universals neuester CD-Sampler sechs in unterschiedlich langen Suiten vorstellt, wobei dem mysteriösen Intrigenspiel

UN TAXI MAUVE (1977) mit Charlotte Rampling, Philippe Noiret, Fred Astaire und Peter Ustinov der Löwenanteil mit einer Länge von 20 Minuten zufällt – im Prinzip handelt es sich dabei um den kompletten, jedoch etwas anders sequenzierten, Sarde-Anteil, der auf der alten Vogue-LP 1977 veröffentlicht worden war.

Der frühere Filmkritiker Yves Boisset gehört sicherlich nicht zu Frankreichs bedeutendsten Filmschöpfern, und auch dem Lager der Nouvelle Vague stand er eher fern. Vielmehr ist er der Repräsentant eines vor allem im französischen Kino der 70er und frühen 80er Jahre recht häufig anzutreffenden Mittelmasses, das handwerklich solide Arbeiten – zumeist im Krimifach – in konventioneller Inszenierung ohne jedweden Anflug von Genialität abgeliefert hat. Fast alle Filme, die sich auf dieser CD befinden, sind in deutschen Kinos nie zu sehen gewesen und wenn sie überhaupt irgendwo aufgetaucht sind, dann nur im Fernsehen zu mitternächtlicher Zeit.

Was die Musik anbetrifft, so wird durchweg ein farbiges, sehr individuelles und vielseitiges Programm aufgeboten, wie man es von einem Könner wie Sarde erwarten darf. Das Highlight der CD stellt natürlich die subtile UN TAXI MAUVE-Partitur dar, die durch ein betörend schönes wehmütiges Hauptthema so außerordentlich für sich einnimmt. Da der Film in Irland spielt, hat Sarde die irischen Klänge der Chieftains-Band ins sinfonische Geschehen (das London Symphony Orchestra beeindruckt hierbei mit seiner glanzvollen Streichersektion) eingebunden, wodurch ein besonders faszinierender Klangzauber entsteht.

Die Verwendung von irischem Kolorit ist in der heutigen Filmmusik ja völlig zum Klischee verkommen und wird meist nur noch ohne Sinn und Verstand an den unpassendsten Stellen eingesetzt, um für Retorten-Atmosphäre zu sorgen. 1977 hingegen war dies noch etwas völlig Neues, und außerdem versteht es Sarde brillant, die beiden verschiedenen musikalischen Ebenen so aneinander zu reiben, daß die Funken auf den Hörer überspringen und der irische Tonfall doch nie zum Selbstzweck entartet, sondern als zusätzliche suggestive Klangfarbe fungiert. Ein überaus gelungener kompositorischer Drahtseilakt, der durchgehend zu überzeugen weiß.

Der Score zum 1976 entstandenen Thriller LE JUGE FAYARD DI «LE SHERIFF» in dem ein von Patrick Dewaere gespielter junger Richter sich gegen eine korrumpierte französische Justiz auflehnt, bringt dagegen im «Générique» ganz andere Saiten zum Klingen: Harte und pulsierende Percussion-Klänge nebst ungewöhnlicher Instrumentierung (unter anderem die Bombarde, ein selten gebrauchtes Holzblasinstrument) vermitteln geradezu plastisch das Klima der Bedrohung und der Aggression, wohingegen in «L’Usine» die unverkennbare elegische Sarde-Streicherlyrik den Hörer in ihren Bann schlägt.

Wunderschön auch das von Sarde selbst gespielte gefühlvolle Klavierthema in LA CLÉ SUR LA PORTE (1978), der sanfte Dialog zwischen Saxophon und Streichquartett in LA FEMME FLIC  (1980) oder der erhabene Bläserchoral in ALLONS Z’ENFANTS (1981), dem sich echoartig satt sich ausschwingende Streicher anschließen. Virtuos arbeitet Sarde mit den diversen Instrumentengruppen und überrascht stets aufs Neue mit feinfühlig ausgeloteten Details und einem klug austarierten Wechsel von satten Orchesterklängen und nuancenreichen Solopartien.

Wer sich im Sarde-Reich einigermaßen auskennt, wird unterwegs vielen alten Bekannten in leicht veränderter Instrumentierung wiederbegegnen: L’ADOSLESCENTE (1978), LE CHOC (1982), FORT SAGANNE (1984), DEVIL IN THE FLESH (1986) und POUR SACHA (1992) geben sich allesamt auf diesem Sampler ein merkwürdiges Stelldichein und lassenerkennen, daß Sarde offenbar Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre von der melodischen Inspiration schier überrollt wurde. Hier nämlich wurde der Grundstein gelegt für viele Themen, die Jahre später bei ihm in veränderter Gestalt wieder auftauchen sollten.

Stefan  |  2004

BANDES ORIGINALES DES FILMS DE YVES BOISSET
Philippe Sarde
Universal 038 565-2
59:41 | 16 Tracks