Review aus The Film Music Journal No. 28, 2002
Ein Vierteljahrhundert nach Humphrey Bogarts unsterblicher Verkörperung des Philip Marlowe begann in Hollywood ein Revival von ChandlerVerfilmungen, deren Qualität gemessen an den früheren Adaptionen jedoch recht unterschiedlich ausfielen. Robert Altmans THE LONG GOODBYE schneidet diesbezüglich, dank Elliot Goulds zeitgemässer Interpretation als zwiespältiger und kontroverser Marlowe, am besten ab, während die konventioneller gestrickten FAREWELL, MY LOVELY und THE BIG SLEEP mit Robert Mitchum weniger überzeugen. In musikalischer Hinsicht hingegen gibt es an letzteren beiden Filmen nichts herumzumäkeln. Die LP zu FAREWELL, MY LOVELY gilt sogar als eines der am besten konzipierten Filmmusik-Alben der 70erJahre. Eine Wiederveröffentlichung war deshalb längst überfällig, und FSM hat dies nun in die Tat umgesetzt.
Jazz spielt eine wichtige Rolle in FAREWELL, MY LOVELY. Retrospektiver Natur ist dieser bei Marlowes Theme, das den Detektiv auf seinen Streifzügen durch LA begleitet; Klavier, Soloposaune und Saxophone beschwören die Atmosphäre der 40er-Jahre wieder herauf. In Richtung Freejazz und Avantgarde hingegen bewegen sich die Spannungstracks, die durch Synthesizer und ungewohnte Schlaginstrumente wie Töpfe und Pfannen teilweise eine irreale Qualität besitzen, wie etwa im drogenumnebelten «Marlowe’s Trip». Nie fehlen darf bei Chandler die Femme fatale, hier heisst sie «Mrs. Grayle» (Charlotte Rampling), verführerisch skizziert von lasziven Streichern, Flöte und Saxophonen.
Es ist nicht selbstverständlich, aus diesen Ingredienzen einen in sich geschlossenen, wohl ausgewogenen Score zu erstellen. David Shire ist es vorzüglich gelungen. Nie verliert er sein Grundkonzept aus den Augen, seine Arrangements sind sehr geschmackvoll und verfallen nie ins Extreme. Der Synthesizer etwa, der in der Filmmusik der Siebziger oft entsetzlich aufdringlich wirkt, ist hier wunderbar in den Gesamtklang eingebettet. Das alles macht FAREWELL, MY LOVELY zu einem Werk, das alterslos wirkt und heute noch genauso attraktiv anzuhören ist wie zur Zeit seiner Entstehung.
George A. Romero, bekannt für seine nicht gerade zimperlichen Horrorstreifen, schuf mit MONKEY SHINES-AN EXPERIMENT IN FEAR einen vergleichsweise unspektakulären Film, der als Anklage gegen Tierversuche und deren unabsehbare Folgen verstanden werden kann. Die Story ist schnell erzählt: Der junge Allan Mann gerät unter einen Lastwagen und wird zum Tetraplegiker, worauf er von seinem besten Freund, der mit Tieren experimentiert, ein Kapuzineräffchen namens Ella geschenkt bekommt, das für ihn einfache Arbeiten im Haushalt erledigt. Bald schon wächst in ihm die Gewissheit, dass er in telepathischer Verbindung mit dem Tier steht, denn dieses setzt seine bösen Gedanken einigen Mitmenschen gegenüber meuchelnderweise in die Tat um. Als die kleine Helferin immer eigensinniger und dominanter wird, kommt es schliesslich zum Showdown zwischen den beiden.
Auch ohne Kenntnis des Filmes lässt sich dieser Plot anhand von Shires Musik gut nachvollziehen. Nach einem kurzen, bedrohlichen Intro präsentiert «Main Title» Allan’s Thema, das vom Klavier und pastoralen Holzbläsern auf das volle Orchester übergeht; der breite, romantische Fluss der Streicher lässt an rein gar nichts Böses denken, dann bricht jäh, es ist der Moment des Unfalls, Dissonanz herein. «Enter Melanie/Enter Ella» stellt die zwei weiblichen Wesen vor, die einen wichtigen Platz in Allan’s neuem Leben einnehmen: Die Tiertrainerin Melanie und – richtig – das Affenfräuein Ella. Interessanterweise vertraut Shire beide Themen der Flöte an. Melodiös getragen und von sanfter Gitarre begleitet erklingt sie bei Melanie und geht dann nahtlos über zu Ellas Vierton-Motiv, wo sie ihre Lieblichkeit verliert. Da sich das Tier zu Beginn possierlich und folgsam präsentiert, erklingt danach eine Art Zirkusmusik mit gestopften Trompeten und Basstuba. Nach diesen zwei im Grossen und Ganzen wohlklingenden Tracks ist dann aber vorerst Schluss mit der Idylle und die Konfrontation zwischen Mensch und Tier spitzt sich zu. Rasch kristallisiert sich heraus, wie die Machtverhältnisse liegen.
Das Allan-Thema vermag demjenigen von Ella nicht lange zu trotzen und gerät vorerst ins Hintertreffen. Die wachsende Bosheit des Affen äussert sich auch in seiner primitiven Gefühlswelt. Dies zu demonstrieren bietet Shire Steve Kujala auf, der manch sonderbare Flötentöne zu produzieren in der Lage ist, sowie drei verschiedene Marimbas, Xylophon und ein afrikanisches Perkussions-Ensemble, die gemeinsam ein wahres Dschungel-Feuerwerk zündet. Trotz all dieser effektvollen Rohheit lässt der Komponist immer wieder durchscheinen, dass er Sympathie und Verständnis für die kleine Ella hat, die ja nichts anderes ist als das Opfer skrupelloser Wissenschaft. Den letzten Beweis hierfür erbringt er im «End Title», wo er enthüllt, welches die eigentliche Liebesbeziehung des Films ist.
Es ist erfreulich, dass FSM erkannt hat, dass es da draussen noch mehr gibt als die Herren Goldsmith und Williams. David Shire ist eine weniger bekannte, aber wichtige Stimme der Filmmusik, und es ist kaum zu begreifen, dass das Oeuvre dieses hochbegabten Künstlers erst jetzt allmählich erschlossen wird. Denn eines wird bei dieser CD offensichtlich: Neben aller Raffinesse hat Shire auch hochkarätige Melodien zu bieten, die man nicht so schnell wieder aus dem Kopf rauskriegt. Bitte mehr davon.
MONKEY SHINES erhielt 2018 eine Veröffentlichung von über 60 Minuten Dauer bei Music Box Records.
Andi | 2022
(oder – je nach Stimmung – umgekehrt…)
FAREWELL, MY LOVELY / MONKEY SHINES
David Shire
Film Score Monthly
73:48 | 24 Tracks