Eye of the Needle (Varèse Club)

Angesichts der Tatsache, dass fast die Hälfte der Musik unverwendet blieb und für das Soundtrackalbum vom Komponisten überarbeitet und aus Kostengründen neu eingespielt wurde, kann man bei dieser Weltpremiere der Filmversion von EYE OF THE NEEDLE von einem weitgehend noch unbekannten Score Miklós Rózsas sprechen.

Richard Marquand verfilmte 1981 den Ken-Follett-Bestseller um Nazi-Spion Henry «Die Nadel» Faber (Donald Sutherland), der kriegsentscheidende Fotos quer durch England einem an der schottischen Küste wartenden, deutschen U-Boot überbringen soll. Dabei hinterlässt er eine Blutspur und entwischt dem britischen Geheimdienst um Godliman (Ian Bannen) stets um Haaresbreite. Auf Storm Island kommt es zur schicksalhaften Begegnung mit Lucy Rose (Kate Nelligan), die dort mit ihrem verbitterten, an den Rollstuhl gefesselten Mann David (Christopher Cazenove) und ihrem kleinen Sohn lebt und emotional dahinvegetiert.

Miklós Rózsa, der 1979 mit seinem Score zu TIME AFTER TIME für Aufmerksamkeit sorgte und danach eine kleine Renaissance erlebte, war bestens gewappnet für EYE OF THE NEEDLE, konnte er doch auf seine Film-Noir-Erfahrung und überhaupt die Dramatik und Romantik der 1940er-Jahre, die diesen soliden und von Alan Hume stimmungsvoll fotografierten Thriller prägen, zurückgreifen. Davon zeugen seine aggressiven, bedrohlichen und angemessen militärischen Klänge für Faber und das leidenschaftlich-tragische, von Cello und Violine getragene Liebesthema, das locker mit seinen besten mithalten kann. Und es gibt noch ein weiteres, im Grunde genommen wichtiges Thema für Lucy und David, das durch seine sanfte Natürlichkeit einen erfrischenden Kontrast bietet, aus unerklärlichen Gründen jedoch gänzlich unbenutzt blieb. Auch ein paar dem Spannungsaufbau zur Verfügung stehende, kurze Motive zeigen einen routinierten Könner bei der Arbeit. Sein Kompositionsstil mag überholt sein, aber letztendlich lieber einen meisterhaften, altmodischen Score als einen dem Zeitgeist angepassten, jedoch missglückten.

Die Filmeinspielung überzeugt vollends. Man entdeckt unzählige, manchmal kleine Details, die auf dem Album fehlen. Seien es orchestrale Finessen wie bei den dramatischen Zuspitzungen auf Storm Island, wo Rózsa Elemente wie Wind und Wasser, denen die karge Landschaft ausgeliefert ist, viel stärker mit einbezieht, oder sein Spiel mit verschiedenen Orchestergrössen. Da muss sich das auf dieser Veröffentlichung ebenfalls mitgelieferte, auf seine Art auch sehr ansprechende Re-Recording mit den Nürnberger Symphonikern eindeutig hinten anstellen. Wohingegen das mit dem Royal Philharmonic Orchestra eingespielte Original die erste Filmmusik ist, die in den legendären Abbey Road Studios aufgenommen wurde.

Eine Laune des Schicksals wollte es, dass die Ankündigung dieser Doppel-CD auf den selben Tag fiel wie die Todesnachricht Donald Sutherlands. Henry Faber gehört zu den Paraderollen des kanadischen Schauspielers, dessen unverkennbares Gesicht das internationale Kino während rund 60 Jahren bereicherte. Diese limitierte Edition mit einem etwas sonderbar gestalteten, aber tolle Liner Notes von Frank K. DeWald aufweisende Booklet ist also nicht nur eine wertvolle Bereicherung für die Rózsa-Sammlung, sondern auch ein schönes Andenken an Donald Sutherland.

Andi  |  18.08.2024

EYE OF THE NEEDLE
Miklós Rózsa
Varèse Sarabande VSD 00797
CD 1: 61 Min. | 23 Tracks
CD 2: 41 Min. | 13 Tracks
Limitiert auf 2000 Stk.