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Review aus The Film Music Journal No. 20, 1999

Die Musik zum neuesten Cronenberg-Film verzichtet auf die rigiden Experimente vergangener Projekte der beiden Avantgardisten. Keine ausufernden E-Gitarren wie in CRASH, kein Aufbrechen der gewohnten Klangfelder und musiksprachlichen Floskeln wie in NAKED LUNCH, keine elektronischen Eigenmächtigkeiten wie in VIDEODROME.

Beim ersten Hörvorgang war ich daher vergleichsweise enttäuscht, weil die Musik zu beliebig und urieigenständig erschien. EXISTENZ ist unauffälliger und weniger aggressiv als Shores SEVEN, nicht so traurig wie BEFORE AND AFTER, bietet keine herbstliche Elegik wie DEAD RINGERS. Vielmehr treffen sich hier verschiedene Elemente der genannten Kompositionen wie auf einem Marktplatz, von dem mehrere Straßen in die unterschiedlichsten Richtungen, auch künstlerische, abzweigen. Mit COP LAND vereint diese Partitur die sehr starke Raumempfindung und den motivischen Minimalismus: wenige Segmente machen sich in den einzelnen Abschnitten selbständig, kehren später in neuem Anstrich wieder.

EXISTENZ bedarf erst recht wiederholter, aufmerksamer Hörvorgänge, gibt sein Geheimnis -nach und nach Preis, wenn auch nie ganz, wie meistens bei Shore. Hier dominiert filmunabhängig die Empfindung, als müsse man auf etwas warten, von dem man nicht sicher sein kann, was das ist und ob es überhaupt eintrifft. So ist die Musik zu allen Seiten hin offen.

Etwas diffuses Klangbild, vermutlich beabsichtigt. EXISTENZ gehört nicht ins obere Drittel des Gesamtwerkes von Shore, doch sind seine fahlen Farben beizeiten gerade die richtigen.

Matthias  |  1999

EXISTENZ
Howard Shore
RCA Victor
46:39 | 20 Tracks