Ob Frank Morris und die Gebrüder Anglin nach der Flucht von der Gefängnisinsel Alcatraz das rettende Festland erreichten, bleibt bis heute Gegenstand von Spekulationen, weil sie danach wie vom Erdboden verschluckt blieben. Sollten sie überlebt haben, wären sie aber jedenfalls die einzigen, denen dieses Kunststück je gelungen ist. Ihr Ausbruch fand im Juni 1962 statt, und knapp ein Jahr darauf stellte «The Rock» seinen Betrieb für immer ein.
1979 verkörpert Clint Eastwood unter der Regie von Don Siegel Mastermind Harris in einem ebenso sachlichen wie packenden Film, der besonders in der zweiten Hälfte mit der minutiös geplanten und durchgeführten Flucht die Spannungsschraube stetig anzieht. Zur weiteren Besetzung gehören unter anderen Patrick McGoohan als blasierter Gefängnisdirektor und Fred Ward ‒ im Frühstadium seiner Karriere ‒ als John Anglin.
Wurde bei früheren gemeinsamen Projekten von Siegel und Eastwood meist Lalo Schifrin als Komponist herbeigezogen ( Coogan’s Bluff, Dirty Harry, The Beguiled), besteht Eastwood diesmal auf Jerry Fielding, der ihm bei früheren Gelegenheiten bereits gute Dienste geleistet hatte. Und Fielding, der sich selten nach gängigen Konventionen richtet, geht diesmal noch einen Schritt weiter, indem er sich bei Escape from Alcatraz für «Musique concrète» entscheidet.
Bei dieser anfänglich sehr kontroversen, 1943 vom Franzosen Pierre Schaeffer entwickelten, elektroakustischen Musikrichtung ‒ zu deren bekanntesten Vertretern Karlheinz Stockhausen gehört ‒ werden Klänge aus Natur und Umwelt durch verschiedenste Techniken elektronisch manipuliert und verfremdet. In Fieldings Fall heisst dies: er mischte den Klang eines 46-, respektive 39-köpfigen Orchesters mit separat aufgenommenen Perkussions- und (von Ian Underwood eingespielten) Synthesizer-Tracks und änderte dann in seinem eigenen Studio sowohl Geschwindigkeit und Tonhöhe einzelner Instrumente. Zudem erhielt er von Eastwoods Stamm-Toningenieur Alan Murray eine Reihe von Geräuschen wie zuschlagende Zellentüren, Sirenen oder Sicherheitssummer, die er elektronisch bearbeitete.
So entstand ein ganz eigener, praktisch gefühlsneutraler, klaustrophobischer Klangkosmos, wo die Übergänge zwischen Musik und Klangeffekten fliessend sind und Fielding die Grenzen auslotet, was wir (noch) als Musik empfinden. Selbst von aussen eindringende Geräusche wie Schiffshörner und Möwengekreische wirken wie aus einer fernen, fremden und unerreichbaren Welt. Und wie eine Dunstglocke liegt eine permanente Atmosphäre der Spannung und Bedrohung in der Luft.
Als Fazit lässt sich sagen, dass der Fielding-Einsteiger die Finger von diesem Score lassen sollte, denn selbst für mich als grossem Anhänger des Komponisten ist er alles andere als leicht verdaulich, und wer den Film noch nie gesehen hat, dürfte ebenfalls ziemlich aufgeschmissen sein, denn selbst jenen, die mit Escape from Alcatraz gut vertraut sind, bietet die Musik sehr wenig Anhaltspunkte, mit Ausnahmen wie der unheilvollen Snare Drums im Main Title und der schauderhaften Sägemaschinen in Carpenter Shop. Deshalb lässt sich dieser kompromisslose Score, der viel zum realistischen Feeling des Films beiträgt, auf CD nur schwer bewerten.
Im Vergleich dazu mutet Hell is for Heroes ‒ obwohl Leonard Rosenman nun wahrlich auch nicht zu den einfachen Kostgängern gehört ‒ schon fast wie ein Sonntagsspaziergang an. Dieser Kriegsfilm mit Steve McQueen, der an der Siegfried-Linie im Jahre 1944 spielt, entstand 1962 ebenfalls unter der Regie von Don Siegel. Rosenmans sparsamer, nur knapp über viertelstündige Score ist ein kleines Schmankerl für die Liebhaber atonaler Filmmusik. Der Komponist verwendet ein 40-köpfiges Orchester, bei dem er des dunkleren Klanges wegen Violinen und Bratschen weglässt.
Zwar beruft sich Rosenman auf übliche Kriegsfilm-Instrumente wie Marschtrommeln und Blechblasinstrumente, aber auf deren traditionellen Einsatz wartet man vergebens. Im Main Title sind einmal mehr seine bekannten Klangpyramiden zu hören, die Marschtrommeln streben unerbittlich vorwärts, die Trompetenfanfaren wirken gequält, das restliche Blech gibt sich kampflustig. Am Ende vermitteln die Holzbläser dann überraschenderweise noch eine Prise Humor. Die darauf folgenden, kurzen Tracks verharren in gespannter Ungewissheit, das verklärte Homer’s Dissapointment verströmt ein wenig unterdrückte Hoffnung.
Im actionbetonten Back to the Line kehren die Marschtrommeln und Fanfaren zurück, das spannungsgeladene und nervöse The Mine Field, Part 1 wartet mit ein paar Klavierläufen à la Goldsmiths Planet of the Apes auf. Kennedy’s Speech/End Title enthält abermals Trommeln und Fanfaren, aber der Score endet ohne jegliche Spur von Triumph oder Euphorie. Was wahrscheinlich zur Aussage Siegels passt, er würde nie einen Kriegsfilm machen, es sei denn, er wäre äusserst Anti-Krieg.
Da diese Intrada-Scheibe zwei ziemlich unbequeme Komponisten vereint, die nicht gerade sehr massentauglich sind, empfiehlt sie sich wohl vor allem für deren Fans oder den experimentierfreudigen und für alles offenen Sammler. Oder aber auch für jene ‒ falls es sie denn gibt ‒ die es auf kuriose Druckfehler abgesehen haben. Denn bei Escape from Alcatraz ist auf dem Backcover zu lesen: «composed and composed by Jerry Fielding».
Andi, 20.3.2013
Alcatraz: Hell:
ESCAPE FROM ALCATRAZ / HELL IS FOR HEROES Jerry Fielding / Leonard Rosenman Intrada Special Collection Volume 236 70:04 Min. / 29 Tracks
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