Ennio Morricone: Chamber Music

Review aus The Film Music Journal No. 4, 1995

1988 brachte Virgin die CD «Chamber Music» auf den Markt. Eine Besonderheit, denn erstmals wurden auf CD frühe Arbeiten des italienischen Komponisten veröffentlicht, aus den Jahren 1955-58 stammend, sowie einer Arbeit von 1969. Werke, die vor Morricones eigentlicher Filmmusik-Karriere entstanden sind. Für das Fernsehen, bzw. den Film begann er zu Beginn der 60er, Jahre zu schreiben.

Der Begriff Kammermusik umfasst Werke, die für eine kleine Gruppe von Soloinstrumenten geschrieben werden. Bezeichnend ist, dass Morricone in den hier eingespielten Frühwerken Instrumente verwendet, die auch später immer wieder in seinen Filmmusiken zu finden sind: Flöte, Oboe, Fagott, Gitarre sowie Streichinstrumente (Violine, Viola und Violoncello). Einige der hier vorgestellten Kompositionen entstanden während Morricones Studienzeit am Konservatorium Santa Cecilia (1945-56). Nebenbei sei erwähnt, dass Ennio Morricone die Ausbildung u.a. auf der Trompete abschloss. Goffredo Petrassi war einer seiner Lehrer, welcher auf den jungen (Film)Musiker einen grossen Einfluss ausübte.

Morricone war 17jährig, als «Sestetto per Flauto, Oboe, Fagotto, Violino, Viola e Violoncelle» (1955) entstand. Das Werk ist in kleine Abschnitte unterteilt Die einzelnen Stimmen sind gleichwertig gesetzt und kein Instrument erfährt eine Bevorzugung. Wie wohl bei allen Kompositionen auf dieser CD, erfordert es mehrmaliges Anhören, bis das eine oder andere Stück Gefallen findet: Keine Konsummusik, sondern Werke die der Gewöhnung bedürfen. Am ehesten dürfte diese Musik der experimentellen, der avantgardistischen Art zugeordnet werden.

In «Sestetto» vernehme ich erste Morricone-typische Streicherklänge (3:20), ein andermal webt der angehende Maestro in einen Klangteppich der Streicher ein Motiv, dass von der Flöte, dann vom Fagott und der Oboe weitergetragen wird (4:05). Den in der Musik Morricones so typischen Effekt von unisono geführten Stimmen, meine ich auch wahrzunehmen: Flöte/Oboe (8:40) Nach manchmal verwirrend wirkenden Klängen, endet «Sestetto»mit einem feinen, wohltuenden Schlussakkord.

«Musica per il Violini» (1958) beginnt schwirrend und flimmernd, es folgen auf- und abschwellende Wogen, gezupfte Akzente, immer wieder von heftigen Einsätzen durchbrochen, gleich wieder verhallend. «Musica» kommt nie zur Ruhe. Das Streicherwerk endet unruhig, aber verhalten, von einem rhythmischen leisen Zupfen begleitet. Die Unruhe, die synkopenartigen Einwürfe, teils heftige Akzente in diesen eingespielten Werken, sind auch im späteren Schaffen des Italieners immer wieder präsent. Einflüsse von Bach und Strawinsky sind zu vernehmen, was Morricone auch nie bestreitet.

1956 entstand «Invenzione, Canone e Ricercare per Pianoforte», wobei auf der vorliegenden CD lediglich das «Ricercare» (= eine Vorform der Fuge) eingespielt worden ist. Das Klavier legt zu Beginn eine getragene Melodie vor, die fugenartig weitergeführt wird (28:40). Im Mittelteil bäumt sich die Musik kraftvoll auf. Hart angeschlagene und ausklingende Akkorde beenden dieses Werk.

Für Solo-Gitarre wurde «4 Pezzi per Chitarre» (1957) geschrieben. Der Gitarrist Bruno Battisti D’Amario (IL MIO NOME E’ NESSUNO) interpretiert das Werk in subtiler Spielweise. Behutsam der Schluss (39:20), wenn Morricone die Gitarre – mit leise angeschlagenen, subtil gesetzten Tönen – ausklingen lässt.

Mit «Suoni per Dino (Per Viola e Nastri Magnetici)» habe ich mich noch nicht recht angefreundet. Das 1969 entstandene Stück wird von Dino Asciolla (Viola) interpretiert, dem das Werk auch gewidmet ist. Effektvoll verfremdete Klänge mischen sich mit dem Spiel der Bratsche. Die CD endet mit «Distanze (Per Violino, Violoncello e Pianoforte)» (1958). In diesem Werk entsteht keine Einigkeit, man hat immer wieder das Gefühl, die einzelnen Instrumente spielen gegeneinander. Trotz kurzen Iyrischen Stellen (Cello, 54.40) – die jedoch immer wieder unterbrochen werden – findet das Werk kein Gleichgewicht. Die Violine endet in schwindeinder Höhe. Unschlüssig und distanziert.

Eine interessante, wenn auch wohl nur einen kleinen Kreis von Hörern ansprechende Veröffentlichung. Doch in einer Morricone-Sammlung sollte diese Scheibe meiner Meinung nach nicht fehlen. Wehrmutstropfen: Das Textheft liefert das absolute Minimum an Infos: Nur gerade die Titel samt Spieldauer sind aufgelistet.

Andreas Schweizer  |  1995

CHAMBER MUSIC
Ennio Morricone
Virgin CDVE24
56:35