Bei Western denkt man nicht in erster Linie an Maurice Jarre, trotzdem gelang es dem Franzosen, dieses Genre mit zwar wenigen, dank seiner unverkennbaren Handschrift jedoch eigenwilligen Beiträgen zu bereichern. Mit einer attraktiven Paarung mexikanisch geprägter Musiken lockt nun diese vorzügliche Scheibe von Universal Music France: der mitreissende Villa Rides!, den wir noch aus LP-Zeiten kennen und der hier seine CD-Premiere feiert, sowie El Condor, eine Erstveröffentlichung, die angesichts ihrer Qualität viel zu lange auf sich warten liess.
In El Condor (1970), John Guillermins einzigem Western, haben es Jim Brown und Lee Van Cleef auf einen riesigen, in einem Fort gebunkerten Goldschatz abgesehen. Obwohl Jarre aus der Musik für diesen Film ein rund 38-minütiges LP-Programm zusammenstellte, kam es zu keiner Veröffentlichung; das Mastertape wurde jetzt aber glücklicherweise wiederentdeckt, und damit kann dieser Score letztlich doch noch der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Wie so oft bei Jarre, ist auch hier die Perkussion eine treibende Kraft, die sich bereits beim ausgedehnten Intro zum Main Title mit landestypischem Schlagwerk in Szene setzt. Jarre orientiert sich bei seinen Themen aus naheliegenden Gründen an Mariachi-Musik, macht sie zum zentralen Element, nutzt sie abseits traditionelleren Spielweisen aber insbesondere als Gerüst für den dramatischen Aufbau seines Scores. So kommt sie in verfremdeten, dissonanten und fragmentarischen, zuweilen auch leicht humorvollen Varianten wesentlich moderner zum Einsatz. Man höre sich als Beispiele die Tracks The Ride, The Fortress und Pure Gold an.
Neben gewohnten Instrumenten wie Trompeten, Gitarren ‒ mit einem stimmungsvollen Auftritt in Ballad for two Guitars ‒ und Mundharmonika (die für ein wenig Blues verantwortlich ist), verwendet Jarre auch das für Western nicht unbedingt gebräuchliche Hackbrett; damit verleiht er dieser engagierten und gut ausgeführten Musik einen weiteren individuellen Tupfer.
Die Prädikate «engagiert» und «gut ausgeführt» lassen sich auch auf Villa Rides! (1968) anwenden. Dies ist eine von zahlreichen Verfilmungen über den mexikanischen Freiheitskämpfer Pancho Villa mit Yul Brynner, Robert Mitchum und Charles Bronson. Zwar verarbeitet Jarre hier die mexikanische Folklore traditioneller, spart dafür aber nicht mit ohrwurmträchtigen Themen. Das gepfiffene, vom Orchester temperamentvoll und ausgelassen begleitete Villa Rides! war oft Bestandteil von Jarre’s Konzertprogrammen. Mit Much more Money fügt sich nahtlos ein weiteres schmissiges und eingängliches Mariachi-Stück an.
Neben der Folklore weist der Score auch tänzerische Qualitäten in Form von Walzerklängen auf, und das sowohl in der Luft mit Waltz in the Clouds, als auch am Boden mit Mexican Suspense oder in Love Theme,bei welchem es sich ausserdem um eine Perle hispanischer Romantik mit Gitarren und eines Sängers wortloser Liebesanbetung handelt.
Hat man während der ersten Hälfte von Villa Rides! meist den Eindruck, dass ein Aufstand selten in friedvollere, lebensfrohere und wohlklingendere Musik gefasst wurde, verarbeitet Jarre danach sein thematisches Material dann doch noch in dramatischeren, suspensevollen und elegischen Tracks und greift gegen Ende auch zu bekannten Melodien wie das ursprüngliche Revoluzionslied «La Cucaracha» und die mexikanische Nationalhymne.
Das LP-Programm wurde mit Mexican Suspense und Pancho on the move um zwei Tracks erweitert, die nicht unwillkommen sind, da sie die Musik um ein paar thematische Variationen bereichern. Noch mehr von diesem Score erwartet uns in Kürze, denn Tadlow hat eine Neuaufnahme des kompletten Scores angekündigt. Ob das nach dieser CD wirklich nötig ist, weiss ich nicht; klanglich wird sie dem Original natürlich überlegen sein, dessen rustikalem Charme aber wohl kaum Paroli bieten können.
Andi, 5.6.2011
EL CONDOR / VILLA RIDES! Maurice Jarre Universal Music France 277 136 2 76:42 Min. / 24 Tracks
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