Schon mit dem Main Title gibt Shore in etwa die Marschrichtung des Scores vor: ruhig und eher melodisch, was für einen Cronenberg-Film der damaligen Zeit durchaus ungewöhnlich ist. Shore erschafft ein sehr schönes Hauptthema, das zunächst nur zurückhaltend vonCelli und Oboe getragen und dann etwas breiter von den Geigen ausgerollt wird. Für sich genommen eine wundervolle Melodie, der man nur zu gerne lauschen möchte. Aber erst durch das Zusammenwirken mit dem Film entfaltet dieses Thema seine volle Wirkung, denn es erfasst auf Shore-typisch subtile Weise das höchst tragische Element der Handlung, nämlich das Selbstzerstörerische der beiden Zwillingsbrüder (genial als Doppelrolle gespielt von Jeremy Irons), die sich in ihrer Gegensätzlichkeit mit einem gewagten Beziehungsspiel selber zugrunde richten.
Im weiteren Verlauf werden die Stücke nur sehr sporadisch etwas dissonanter, bleiben ansonsten aber ruhig und immer unterschwellig spannungsgeladen. Die ständig mitschwingende Tragik scheint von Anfang an klar machen zu wollen, dass es bei dieser Geschichte auf kein gutes Ende hinauslaufen kann.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Helpless, das zunächst schon mit seinen langgezogenen Streicher-Tonfolgen in Moll eine gewisse Entrücktheit widerspiegelt und dann am Schluss mit eskalierenden und sich immer weiter aufschwingenden Streichern, die sich schließlich selbst abzuwürgen scheinen, nur noch verzweifelte Hilflosigkeit ausdrückt. Ein ähnliches Muster ist auch bei In Delirium wieder zu erkennen.
Mit Birthday Party und Suicide wird gegen Ende des Scores die Musik etwas mehr themenorientiert, lehnt sich an das Hauptthema an und läutet so das tragische Finale des Films ein. Die Musik drückt Resignation aus, wie sie der zuvor erwähnten verzweifelten Hilflosigkeit, in der die Brüder gefangen sind, zwangsläufig folgen muss.
Das Hauptthema wird insgesamt nur wenig zitiert. Dessen Verwendung beschränkt Shore weitgehend auf den Main Title und das Finale. Auch wenn dieses Thema am ehesten und einfachsten im Gedächtnis bleibt und sich bei Kenntnis des Films als regelrecht suizidal präsentiert, wird erst durch den vollständigen Score, der mit dieser Veröffentlichung durch Shores Label erstmals vorliegt, eine unaufdringliche, sensible und dennoch höchst effektive Musikbegleitung geschaffen, die den Zuhörer im mehrfachen Sinne des Wortes mitnimmt und so die perfekte Ergänzung der Handlung darstellt.
Dead Ringers ist sicher keine leichte Kost und schon gar nichts, das man einfach nebenbei laufen lässt. Aber es ist filmisch und musikalisch zweifellos eine der besten und tiefgründigsten Zusammenarbeiten von Cronenberg und Shore.
Klaus, 12.12.2014
DEAD RINGERS Howard Shore HOWE Records HWR-1016 42:21 Min. / 17 Tracks
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