Colette

Review aus The Film Music Journal No. 33/34, 2005

Bei aller Bewunderung für seine Filmmusiken: Ein skurriler Kauz ist dieser geliebte Philippe Sarde schon. So langsam keimt nämlich die Frage auf, ob er überhaupt noch zum Komponieren neuer Werke Lust hat oder ob er zum bloßen Zyniker mutiert ist, der den Regisseuren musikalisches Material aus seinem eigenen Fundus vor den Latz knallt. Das Witzige daran ist, daß sowohl diese als auch sämtliche ausländische Filmmusikinteressierte der Sache auf den Leim gehen.

Hatte er im vergangenen Jahr für André Techinés LES EGARÉS auf das alte Album zu L’ADOLESCENTE (1977) zurückgegriffen, so geht es jetzt beim Fernseh-Zweiteiler COLETTE, einer Biographie der französischen Schriftstellerin mit der im letzten Jahr verstorbenen Marie Trintignant in der Titelrolle, geradewegs so weiter. Zu vermelden gibt es jedenfalls, daß Sarde sich seine bisher unveröffentlichte Partitur zum in der arabischen Wüste spielenden Liebesdrama HAREM (mit Ben Kingsley und Nastassja Kinski) aus dem Jahr 1985 vorgeknöpft und sie im Juni 2003 in den ehrwürdigen Londoner Abbey Road Studios vermutlich mit dem London Symphony Orchestra (das im Booklet nicht angegeben ist) neu eingespielt hat. Welch Freude für die Regisseurin Nadine Trintignant, die Mutter von Marie, daß der Soundtrack daher schon gleich nach Ende der Dreharbeiten direkt bei der Montage vorlag und man so ganze Szenen nach der Musik ausrichten konnte.

Ein direkter Vergleich der COLETTE-CD mit der Musik, wie sie im HAREM-Film auftaucht, ergab, daß sechs Tracks (2, 3, 6, 7, 9, 11) in derselben Instrumentierung und mit nur leicht schnelleren Tempi im alten Film auftauchen. Bei den restlichen Stücken – der aus dem Hauptthema abgeleitete Song «Hey Stranger» im HAREM-End Title erscheint auf der CD ebenfalls nicht – dürfte es sich wohl um Cues handeln, die zwar ursprünglich für HAREM geschrieben worden waren, aber dann doch nicht verwendet worden sind. Sieht man einmal von diesem recht dreisten Recycling ab, über das natürlich im Booklet auch von Mitproduzent Stéphane Lerouge der Mantel des Schweigens gebreitet wird, so kann man als Sarde-Fan auf der anderen Seite wiederum doch sehr froh sein, daß die wunderbar lyrische, nach wie vor sehr frisch wirkende HAREM-Musik auf diese etwas seltsame Art und Weise doch noch zur Veröffentlichung gekommen ist und damit eine kuriose Ehrenrettung erfahren durfte.

Auch wenn man es nicht wüßte, weist der Score in seiner Faktur eindeutig auf die frühen 80er Jahre hin, da im schimmernden Streicherglanz, in der sehr apart und weich gehaltenen Instrumentierung sowie in der sehr sinnlich verführerischen Melodik immer wieder Reminiszenzen an andere Sarde-Scores aus dieser Zeit wach werden: FORT SAGANNE (1984), LE CHOIX DES ARMES (1981) oder TESS (1979).

Abgesehen von dem orientalischen Kolorit, das mit arabischem Schlagwerk in zwei oder drei Tracks ausgefahren wird, ist der überwiegende Teil des Scores durchtränkt von einer nostalgischen Melancholie und einer klanglichen Delikatesse, deren betörendem Charme man sich nur schwerlich entziehen kann. Wie meisterhaft etwa im ersten Track «Tu souriras, peut-être…» das leicht bluesig angehauchte Hauptthema zwischen verspieltem Solo-Klavier und gefühlvoll hochgezogenen Streichern hin- und hergereicht wird, wie sanfte Holzbläser-Soli oder ein wortloser Chor das zweite romantische Thema umschmeicheln und umgarnen, wie tänzerisch elegant sich die Streicher aussingen dürfen – all das ist Sarde pur und von einfach entzückend filigraner Machart.

Ein besonders schönes Highlight findet sich in Track 7 («La fenêtre ouverte»), wenn sich Viola und Harfe vor einem üppigen Streicherteppich des romantischen Themas annehmen. Wirklich großartig, wie es Sarde schafft, die Melodie in klanglicher Transparenz dahinfließen zu lassen und seiner Musik dadurch eine erhabene Ruhe zu verleihen.

COLETTE bzw. HAREM bietet verhalten gedämpfte Sinfonik, die sich unweigerlich das Herz des aufmerksam zuhörenden Romantikers erobert.

Stefan  |  2005

COLETTE
Philippe Sarde
Warner 256461479 2
40:57 | 11 Tracks