Le choix des armes/Fort Saganne

Review aus The Film Music Journal No. 26/27, 2001

Nachdem man jahrelang vergeblich auf CD-Reissues älterer Sarde-Scores, die früher auf LP erhältlich waren, warten mußte, entwickelt sich das französische Universal-Label mit der jetzt vierten Sarde-Scheibe in Folge langsam zum heimlichen Sachverwalter des französischen Soundtrack-Individualisten. Mit FORT SAGANNE (1984) und LE CHOIX DES ARMES (1981) liegen nunmehr zwei der allerschönsten und berückendsten Kompositionen, die Sarde je geschrieben hat, auf einem digitalen Tonträger vereint vor. Gerade die Periode Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre darf man mit einigem Fug und Recht als Sardes Glanzzeit bezeichnen, was auch daran liegt, daß er in diesen Jahren mit dem versierten Orchestrierer Peter Knight, der 1985 starb, zusammenarbeitete. Denn gerade diese Partituren, zu denen auch TESS (1979) gehört, verfülgen über einen ganz speziellen Streicherglanz und eine satte und zugleich in allen Farben schimmernde Orchestrierung, wie man sie in späteren Arbeiten nicht mehr auf derart bezwingende Art und Weise von ihm gehört hat.

Gemeinsames Element der beiden Musiken auf dieser CD ist nicht nur der Regisseur Alain Corneau, sondern auch die ungewöhnliche Verbindung von verschiedenen Solo-Instrumenten mit dem ausladend großen Klangkörper des London Symphony Orchestra. Im Falle von LE CHOIX DES ARMES handelt es sich dabei um zwei Kontrabässe, die von den beiden Jazz-Legenden Ron Carter und Buster Williams gespielt werden, bei FORT SAGANNE um ein Cello, das der Partitur eine durchgehende Brahms-artige Aura verleiht. Aus diesen Verbindungen ensteht in beiden Arbeiten ein geradezu einmalig zu nennender hinreißender impressionistischer Klangzauber, eine nur selten erreichte Magie und Perfektion, wodurch beide Scores eben auch absolut gehört eine innere Geschlossenheit erreichen und daher wie aus einem Guß komponiert wirken.

LE CHOIX DES ARMES ist ein sehr spannender, anspruchsvoller und psychologisch subtil nuancierter Krimi, in den Hauptrollen prominent besetzt mit Yves Montand, Gerard Depardieu und Catherine Deneuve, der den Zusammenprall von alten und jungen Gangstern beschreibt. Eine Geschichte um vermeintlichen Verrat, Betrug und Liebe, in der Depardieu als entflohener Sträfling sich am ehemaligen Ganoven Montand, der sich inzwischen zur Ruhe gesetzt hat, rächen will in der Annahme, von ihm verpfiffen worden zu sein. Sarde setzt diesen Sachverhalt in musikalischer Hinsicht derart um, daß er die Jazzebene mit den zwei rauen Kontrabässen, die für die zwei hitzköpfigen Ausbrecher (Depardieus Kumpan stirbt in der ersten Hälfte des Films an einer Schußwunde) stehen, mit der Streichersektion des LSO, die die stoische Ruhe von Montand und dessen Liebe zu Catherine Deneuve in diesem Film ausdrücken, kontrastiert. Das Originelle an dieser Partitur ist daher, wie die dargestellten Beziehungen zwischen zwei verschiedenen Generationen in ein starkes musikalisches Konzept umgewandelt werden. Der Score setzt ein mit dem zunächst von den beiden tiefen Kontrabässen vorgetragenen atemberaubend melancholisch-expressiven Hauptthema, das, einmal gehört, sich sofort im Ohr festsetzt.

Im weiteren Verlauf nehmen die Streicher und vereinzelte Holzbläser das Thema auf, führen es weiter, entwickeln es und üben eine becircende hypnotische Wirkung aus, wobei der besondere Effekt sich daraus ergibt, daß die Kontrabässe mit ihren widerborstigen Einschüben immer wieder aufs Neue dafür sorgen, die allzu glatte Streicherebene aufzubrechen. Sardes Genialität besteht nun darin, die Komposition bis auf den improvisierten Track «Duo» nie ins rein Jazzige abgleiten zu lassen, sondern nur kleine Jazzelemente der Kontrabässe aufzugreifen, um diese ins sinfonische Klangbild einzubinden, wie das meines Erachtens kaum ein anderer Filmkomponist so kunstfertig vollbracht hat. Manche der insgesamt neun Tracks lassen mehr das Orchester zu Wort kommen in raffiniert gestalteten Klangfarben, die manchmal stark von Maurice Ravel beeinflußt sind («En Liberte») oder mit ihren geheimnisvollen Streichern an Bernard Herrmann erinnern, in anderen dagegen versuchen die Kontrabässe zum Teil aufpeitschend gegen die Streicher anzukämpfen («Noir»).

Durch die ganze Partitur zieht sich jedoch wie ein roter Faden ein bezwingend elegischer Gestus, der auf allerhöchstem Niveau realisiert worden ist. Etwas störend, wie schon bei der TESS-CD, ist für den Kenner des alten LP-Albums die jetzt völlig veränderte Reihenfolge der einzelnen Stücke, wodurch der bisherige Anfang mit der fast 8-minütigen Suite «Le Choix des Armes» nun plötzlich ganz am Ende steht. Der zweite Score auf dieser CD ist ein weiterer toller Leckerbissen aus dem Hause Sarde, für mich persönlich sogar neben TESS der absolute Sarde-Favorit.

Das dreistündige mit Staraufgebot (Gérard Depardieu, Sophie Marceau, Philippe Noiret, Catherine Deneuve) lockende Wüstenepos FORT SAGANNE erzählt in wunderschönen Bildern die Geschichte des Offiziers Charles Saganne, der im Jahre 1911 in die Sahara versetzt wird, wo er sich in Madeleine, die Tochter eines Verwaltungsbeamten, verliebt. Nach verschiedenen Kämpfen gegen aufrührerische Stämme kehrt er für eine Weile nach Frankreich zurück und wird dort vom Ersten Weltkrieg überrascht. Leider kam der großangelegte und sehr altmodisch inszenierte beeindruckende Film nie in deutsche Kinos, da er bereits in Frankreich ein gemessen an seinen Herstellungskosten ziemlicher Kassenflop gewesen war.

Erstaunlicherweise finden sich in Sardes Soundtrack fast kaum afrikanische Lokalkolorit-Einfärbungen oder exotische Instrumentierungen, die auf den Schauplatz des Geschehens verweisen würden. Vielmehr ist ein erneut sehr impressionistisch gehaltenes konzertantes Werk entstanden, im Grunde ein großes Cellokonzert, in dem ein wunderbares Spiel mit Klangfarben und solistischen Einsätzen betrieben wird. Auch hier tritt Sarde den Beweis dafür an, wie spätromantische Opulenz mit äußerster klanglicher Transparenz auf brillante Art und Weise in Einklang gebracht werden kann. Der Großteil der Musik steht im Zeichen einer würdevollen, statuarischen Ruhe, die sich bereits im vom Cello intonierten, weitgespannten Hauptthema zu Beginn des ersten Tracks («Fort Saganne») ausbreitet. Eine wahrlich innige, tiefberührende und sehr inspirierte elegische Melodie, die begeistern kann und auch nach mehrmaligem Hören doch immer wieder unter die Haut geht.

Wie bei Sarde üblich, stimmen die warmherzigen Streicher des LSO nebst Harte und diversen Holzbläsern in den anfänglichen Cello-Gesang mit ein, umgarnen das Solo-Instrument, übernehmen in einem schwelgerischen Zwischenteil kurz die Oberhand und ziehen sich zum Schluß wieder vornehm zurück, um der einsamen Wehklage des Cellos den Vortritt zu lassen. Ein absoluter Hörgenuß vom Feinsten, wie er einem wahrlich nicht alle Tage geboten wird. Dieses poetische Hauptthema zieht sich in verschiedenen Variationen und Orchesterbesetzungen durch den ganzen Score: Mal kommt das Cello ganz allein zu Wort («Courette»), dann wieder verstärkt durch Streicher und Orgel, wodurch es einen fast religiösen Charakter erhält («Déserte»), prachtvoll vom ganzen Orchester intoniert («Romanesque») und zum Ende in einer noch meditativeren und verlangsamten Version, die schon den Charakter eines Mahler-Adagios annimmt («L’Erg Chech»).

Ein zweites, nicht minder schönes, sanftes Liebesthema, Sophie Marceau zugeordnet, erklingt etwa in den Stücken Madeleine und Amajar, wo diese verspielt-elegante und charmante Weise vom Klavier, unterstützt von Streichern und immer wieder gern eingesetzten Holzbläsersoli, exquisit zelebriert wird. Selbst bei dramatischen Orchesterausbrüchen und Fanfaren mit gestopften Bläsern wie in «Colonne Dubreuilh», wenn die Militärkolonne durch die Wüste zieht, wird die bombastische Musik gleich wieder durch barocke Streicherwendungen oder fein schattierte Klangfarben zurückgenommen. Der Score zu FORT SAGANNE ist in der Tat ein Fest der Schönheit und Intelligenz, bei dem sich Sarde beinahe selbst übertroffen hat: Abgeklärte, makellose und beseelte Musik von tiefster Empfindung, die in puncto Eindringlichkeit, Könnerschaft und Substanz sehr vieles hinter sich läßt, was ansonsten den Soundtrackmarkt überschwemmt.

Insofern muß gesagt werden, daß die mit einem Interviewtext von Regisseur Alain Corneau versehene CD dieser beiden herrlichen Sarde-Arbeiten im Grunde die Pflicht-Anschaffungs-CD für jeden sein sollte, der sich ernsthaft mit dem Thema Filmmusik auseinandersetzen will. Denn das Motto dieser Scheibe lautet: Besser geht’s nicht!

Stefan  |  2001

LE CHOIX DES ARMES/FORT SAGANNE

Philippe Sarde

Universal

67:55 | 22 Tracks