Caldera Records – Stephan Eicke im Gespräch

von Phil

Caldera Records hat sich seit seinem Bestehen zu einem feinen, sympathischen Label mit einem besonderen Geschmack für gute Filmmusik entwickelt. Heute darf man mit Fug und Recht behaupten mit Vorfreude auf eine kommende, neue CD des Labels zu warten – eben hat Caldera die Veröffentlichung von THE MIRROR CRACK’D (1980) von John Cameron verkündet.
Längst Zeit um mit Stephan Eicke ein Interview zu führen.

Was war der Antrieb, wer hatte die Idee ein neues Filmmusik-Label zu starten in einer Zeit, in der immer mehr Scores nur digital, als Download oder Streaming erhältlich sind?

Die Idee kam uns, wenn ich mich richtig erinnere, 2012. Ich hatte zu der Zeit einige Booklet-Texte für Johns Label Alhambra Records verfasst und John auf diese Weise kennen und schätzen gelernt. Ich war zu der Zeit öfter in London und eines Abends Gast im Barbican, wo Musik von Dimitri Tiomkin aufgeführt wurde. Auf der Aftershow-Party habe ich Guy Farley kennen gelernt, und der Rest des Abends bestand aus einem angeregten Gespräch mit Guy. Er erwähnte, gerade eine neue Musik aufgenommen zu haben für einen italienischen Fernsehfilm. Ein paar Tage später lud er mich in sein Studio ein, um mir ausgewählte Tracks vorzuspielen. Mir gefiel die Musik auf Anhieb und ich schlug ihm vor, eine Veröffentlichung anzustoßen. Guy war zu der Zeit enttäuscht, dass ein anderes Label an einem Release gescheitert war. Der ursprüngliche Plan war, die Komposition auf Alhambra zu veröffentlichen, doch John und ich entschlossen, dass ein aktueller Soundtrack zu einer internationalen TV-Produktion kaum ins Portfolio passt. So entstand die Idee, Caldera zu gründen. Streaming hat uns dabei nie interessiert, uns war die Haptik wichtig. Mein Vorbild waren Boutique Blu-ray Labels wie die Criterion Collection, die aus jeder Veröffentlichung ein besonderes Erlebnis machen und mit vielen Extras sowie einem außergewöhnlichen Design aufwarten. Nun geschah es, dass wir knapp drei Jahre brauchten, um Guys Soundtrack herauszubringen: MARIA DI NAZARET. In der Zwischenzeit hatte er SECRET SHARER komponiert. Der Score wurde unsere erste Veröffentlichung.

Ihr habt inzwischen über 60 CDs veröffentlicht. Wie wichtig ist für euch dabei das Festhalten an diesem Tonträger?

Caldera war immer ein Passionsprojekt, und ich denke, auch für John sprechen zu können, wenn ich sage, dass niemand erwartete, mit einem Soundtrack-Label reich zu werden. Wir wollten von Anfang an machen, was uns gefiel. Und uns gefallen CDs. John und ich bevorzugen physische Produkte, die nicht vergehen, die vor allem auch dem Design als Kunstform Raum geben. Wir haben mit Luis Miguel Rojas einen außerordentlich talentierten Designer an unserer Seite, den wir nicht missen möchten. Unsere Idealvorstellung ist, dass Menschen sich dem Müßiggang ergeben, indem sie unsere CD auspacken, in den Player legen, und durch das Booklet blättern. Das Hören einer Filmmusik sollte ein Erlebnis sein, kein Nebenher-Konsumieren. Wir sind offen gegenüber LP-Produktionen, allerdings war der Kostenpunkt hier ein Problem.

LPs haben ein wahres Revival auch in der Filmmusik erlebt, es scheint, dass, wie Du erwähnt hast damit nebst dem einmaligen Klangerlebnis vom Plattenteller auch die Haptik gegenüber den nackten digitalen Downloads ein erstaunliches Aufleben durchmacht… tolle Cover, manchmal knallige LP-Farben. Also ist, wie Du sagst, die Herstellung einer LP kostspieliger?

Ja, LP-Produktionen sind für uns finanziell zu riskant. Es geht uns nicht darum, Profit zu machen, aber wir mögen es, wenn sich unsere Produktionen selber finanzieren.

Habt ihr Lieblingsprojekte/Scores eures Labels? 

Ich weiß, dass Johns Frau «Chronicle» von Ernst Reijseger liebt. Das ist das Wichtigste. Es ist tatsächlich auch eine meiner Lieblingsproduktionen. Ich mag alles, was wir gemacht haben. Mit vielen Veröffentlichungen sind besondere Erinnerungen verbunden. Für die Andrew Dickson-CDs habe ich eng mit Mike Leigh zusammengearbeitet und war mit ihm und Andrew Dickson in Bridport. Nachdem wir durch Manuskripte gewühlt haben, waren wir an der Küste Fischsuppe essen. Mit Guy Farley verbindet mich seit über zehn Jahren eine enge Freundschaft, und er war ein wichtiger Begleiter und eine große Unterstützung, als ich 2015 nach London gezogen bin. (Seine Schwester hat das Cover-Foto für mein erstes Buch, «The Struggle Behind the Soundtrack», geschossen, und mit Guys Rezeptionistin habe ich in meiner ersten Londoner Wohnung zusammengewohnt.) Unsere Roy Budd-Veröffentlichungen sind mir sehr wichtig, nicht nur weil er ein brillanter Komponist war, sondern weil ich eng mit seiner Witwe befreundet war und nun ihren sowie Roys Nachlass verwalte. Zbigniew Preisners LOST AND LOVE ist ein Favorit von mir aufgrund der betörenden Melodien. Jede David Shire-Veröffentlichung ist etwas Besonderes, da wir eng mit David arbeiten und immer Schätze heben können, die die Zeit überlebt haben.

Und irgendwie hat man das Gefühl, dass ihr Schätze hebt, die anderer Labels entweder nicht finden oder nicht heben wollen…

Einer der Unterschiede zu anderen Labels mag sein, dass weder John noch ich Caldera hauptberuflich betreiben. Wir sind also nicht auf Einnahmen von unseren CD-Produktionen angewiesen, um die Miete zu bezahlen. Das gibt uns eine Freiheit, Projekte anzugehen, die anderen eventuell zu riskant sind. Unser Motto war immer: Wenn uns die Musik gefällt und wir mit den Komponist:innen gut auskommen, bringen wir das Album gerne heraus.

Welches der Projekte war das bisher Schwierigste und weshalb?

Die schwierigsten waren die, die nicht zustanden gekommen sind. MARIA DI NAZARET hat drei Jahre gedauert und es hat nur geklappt, weil Guy zu der Zeit eine italienische Rezeptionistin hatte, die mit dem Rechteinhaber RAI in Rom kommuniziert hat. Es hat Ewigkeiten gedauert, den Vertrag zu bekommen. Ich verstehe bis heute nicht, warum das so eine Sisyphos-Aufgabe sein musste. Es gibt immer mal wieder Projekte, die schwierig sind, weil die Komponist:innen schwierig sind. Manchmal stellt sich im Laufe der Arbeit heraus, dass wir nicht kompatibel sind. Dann heißt es Augen zu und durch.

Es gibt Labels, nicht Caldera natürlich, die Scores herausbringen ohne Einwilligung entweder des Filmstudios oder ohne, dass das Estate eines verstorbenen Komponisten angefragt wurde. Wie steht ihr dazu? 

Ich habe mich vor einigen Jahren darüber noch furchtbar aufgeregt. Ich wünsche noch immer, dass Labels das nicht tun würden, aber ich bin etwas milder geworden; beziehungsweise hat sich meine Wut verlagert. Tatsache ist, dass Studios auf Rechten sitzen, damit aber nichts machen. Sie möchten nicht lizenzieren oder nur zu einem exorbitanten Preis. Es geht hier um reine Verwaltung. Sie haben die Aufnahme vor Ewigkeiten bezahlt und sitzen nun wie dicke Katzen darauf. Sie haben nichts geleistet dafür. Die Musik ist im Film, sie haben also bekommen, was sie wollten. Jetzt lasst andere diese Komposition verwerten, damit sich andere daran erfreuen können. Tut den Komponist:innen einen Gefallen, die die wirkliche Arbeit geleistet haben. Für die Studios ist es zu viel Aufwand, die Papiere herauszusuchen und ein Geschäft einzugehen. Das lohnt sich für sie nicht. Chokepoint Capitalism, nichts anderes ist es. Die Komponist:innen sind ihnen egal, die Musik ist ihnen egal. Es geht nur ums Geld und Profit und Wachstum. 

Ihr scheint gute Beziehungen zu Komponisten wie Guy Farley, Zbigniew Preisner, David Shire, Gerald Fried oder Gabriel Yared zu haben. Wie nah seid ihr da an den Komponisten dran, wenn ihr ein neues Projekt angeht? 

Sehr nah. Kaum eine Entscheidung wird ohne intensive Gespräche und die Erlaubnis der Komponist:innen getroffen. Das betrifft auch die Auswahl der jeweiligen Stücke.

Peter Fudakowski, Guy Farley und Stephan Eicke in den Abbey Road Studios

Stosst ihr auch auf verschlossene Türen?

Ständig. Viele Studios wollen nicht mit uns arbeiten aus verschiedenen Gründen. Wir sind aus Europa, wir sind zu klein, es ist zu viel Aufwand, etc. etc. Ich bedauere, dass wir Christopher Youngs NOSFERATU nicht veröffentlichen konnten. Wir hatten gute Gespräche mit Chris, bevor Warner Interesse angemeldet hat, die natürlich größer sind und entsprechend den Zuschlag bekommen haben. Gerne hätte ich Dario Marianellis IN THIS WORLD veröffentlicht, aber seine Agentin hatte leider andere Pläne. Gabriel Yareds THE PROPHET wäre eine tolle Veröffentlichung gewesen, doch die Rechtelage ist zu kompliziert und wir konnten die Auswertungs-Lizenz für eine CD nicht bekommen. Ich hätte gerne mehr Musik von Christopher Gunning veröffentlicht, doch er ist verstorben und zur gleichen Zeit sind die Lizenzierungskosten von ITV explodiert. Einige Scores von Roy Budd sind nicht möglich, da die Bänder fehlen oder die Rechte nicht verfügbar sind. Es gibt viele Projekte, die nicht zustande gekommen sind, aber Gott sei Dank habe ich die meisten vergessen.

Interessant, das mit NOSFERATU, ich hätte Euch den Release dazu gewünscht.

Danke, ich uns auch.

Wenn man in Foren einige Beiträge liest, sind immer Voten wie: «Warum veröffentlicht niemand endlich diesen oder jenen Score…!?» und dabei die Zusammenhänge und Bedingungen, die dazu nötig sind, überhaupt nicht kennen oder goutieren.

Das müssen die «Fans» auch nicht. Ich finde es legitim, Wünsche zu äußern. Nicht jeder kann sich mit den Feinheiten der Alben-Produktion auskennen. Ich habe mir – beziehungsweise Produzent:innen – auch die Frage gestellt, warum kein Blu-ray Label Filme wie THE RULING CLASS herausbringt.

Nehmt uns mit auf die Reise von der Idee eines Scores bis zum Verkaufspunkt der CD auf dem Markt…

Entweder ein:e Komponist:in spricht uns an oder wir sprechen sie/ihn an. Wenn die Aufnahmen bzw. Bänder da sind, lassen wir sie von unserem großartigen Engineer Richard Moore digitalisieren. Zu diesem Zeitpunkt beginnt auch die Arbeit an der Lizenzierung. Wir müssen herausfinden, wem die Rechte gehören und eine Vereinbarung mit der Partei erreichen. Mit den Komponist:innen arbeiten wir eng an der Trackliste, auf die wir uns einigen. Sobald wir Bildmaterial haben und die Liner Notes geschrieben sind, beginnt Luis mit seiner Arbeit am Artwork. Richard mastert die CD. Alles wird von den Komponist:innen abgesegnet und geprüft, bevor es ins Presswerk geht. Dann müssen die Lizenzpartner bezahlt und Belegexemplare verschickt werden. John ist in Kontakt mit unseren Händlern, die die CD dann in ihre Shops setzen. John verschickt die Bestellungen und regelt grundsätzlich alles, sobald das Material im Presswerk ist.

Darf man fragen, welches die bisher erfolgreichste CD von Caldera Records war? Oder von welchem ihr diesbezüglich angenehm überrascht wart?

Das lässt sich nicht einfach sagen. Was wir gelernt haben: Nichts und niemand kann den Erfolg einer Veröffentlichung vorhersagen. Es ist egal, wie viel Marketing du betreibst oder welche Orakel oder Statistiken du bemühst. Als Beispiel: Wir haben TRANSSIBERIAN herausgebracht, die Musik zu einem erfolgreichen Thriller mit Woody Harrelson, Ben Kingsley, Emily Mortimer. Rein kommerziell war das Album eine große Enttäuschung. KING OF DEVIL’S ISLAND mit Stellan Skarsgard war auf Filmfestivals ein Hit und die CD hat sich rasant schnell ausverkauft. ABEL KORZENIOWSKI: EARLY WORKS war ebenfalls ein Topseller, obwohl es sich um Theater-Musik handelt. VALLEY OF SHADOWS war bereits digital seit einiger Zeit erhältlich und trotzdem mussten wir unsere CD schnell nachpressen. Einige Alben von Zbigniew Preisner verkaufen sich wie geschnitten Brot, andere sind deutlich weniger beliebt. NAKED war ein Slow Seller, aber es wurden immer wieder – slow but steady – Exemplare bestellt. John und ich erkennen hier zu unserer Faszination kein Muster.

Gibt es einen Komponisten von dem ihr unbedingt eine Score CD verwirklichen würdet?

Ich würde wahnsinnig gerne einen Delerue veröffentlichen; andererseits wird er von Music Box Records sehr gut bedient, die auch eine enge Verbindung zu Delerues Witwe Colette haben. Die Arbeit von unseren französischen Kollegen ist fantastisch und ich kaufe jedes Delerue-Album von ihnen. Ich würde gerne auch Musik von Nicola Piovani veröffentlichen, aber die Arbeit mit italienischen Rechteinhabern ist schwierig. Zum einen kenne ich mich mit/in Italien nicht aus, zum anderen ist die Sprache eine Barriere – siehe MARIA DI NAZARET.

Der Trend scheint leider dazu zu gehen, sich eine CD zu kaufen, sie zu rippen und die CD dann weiter zu veräussern. Wie steht ihr dazu?

Solange die Menschen unsere CDs kaufen und die Musik genießen, können sie damit machen, was sie wollen.

Gibt es kommende Releases, von denen ihr ein bisschen verraten könnt? 

Es geht fröhlich weiter mit David Shire, Roy Budd, Zbigniew Preisner und vielen weiteren. Die nächsten Monate werden eine kunterbunte, aufregende Reise.

Lest ihr die Reviews einschlägiger Filmmusik-Seiten?

Ich kann nicht für John sprechen, aber ich lese Reviews allgemein nicht. Sollte ich zufällig auf ein Caldera-Review stoßen, klicke ich natürlich mit Neugier. 

Wo siehst Du die Filmmusik in, sagen wir 10 Jahren, in Sachen Veröffentlichungen? Und werden wir dereinst nochmals ein Revival zu richtig guter Blockbustermusik erleben – oder ist es schlicht eine Frage der Generationen bei Hörern und den Machern?

Es ist schwer zu sagen, weil ich nicht einmal weiß, ob die Welt in zehn Jahren noch existiert. Ich kann es nicht belegen, bin mir aber sicher, dass die CD ein Revival erleben wird. Ähnlich wie LPs. Die CD hat Vorzüge gegenüber LPs. Man muss zum Beispiel nicht alle 15 Minuten die Seite wechseln, und CDs sind weniger fragil. Es ist gut möglich, dass immer mehr Menschen, je älter sie werden, die Vorzüge von physischen Produkten wieder zu schätzen wissen. Wir sehen es bei einigen Filmen: Aus rechtlichen Gründen verschwinden sie ohne Vorwarnung von Streaming-Plattformen, und selbst ein Kunde, der einen Film erworben hat, hat plötzlich keinen Zugriff mehr auf seinen Stream oder Download. Ohnehin gibt es so viel Auswahl, dass es überwältigend ist. Werden Menschen eine Kuratierung unter anderem durch liebevolle CD- oder Blu-ray-Produktionen wieder zu schätzen wissen?

Besten Dank für das Gespräch!