La Bicyclette Bleue

Review aus The Film Music Journal No. 25, 2001

In den letzten Jahren hat sich Frankreichs Altmeister Michel Legrand im aktuellen Filmmusikzirkus eher rar gemacht. Er hat sich hauptsächlich auf Neueinspielungen seiner altbekannten Themen in sinfonischer oder jazziger Manier spezialisiert und daneben nur noch wenig neue Filme vertont. Nun hat er sich aber mit seinem besten Score seit langem zurückgemeldet, den er ausgerechnet für eine TV-Serie nach einem französischen Bestseller geschrieben hat. Ganz auf Frankreichs Starmodell Laetitia Casta zugeschnitten, wird die Liebesgeschichte der jungen Lea während der Besatzungszeit und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wohl in ziemlicher Seifenoperntradition dargeboten.

Mit großer Einfühlungsgabe hat sich Legrand jedoch in das Sujet hineinversetzt und einen wunderbaren romantischen Score vorgelegt, den das immerhin 85-köpfige Bratislava Sinfonieorchester sauber und elegant interpretiert. Für die Hauptfigur Lia fand Legrand ein melodisch inspiriertes, lyrisches und bezauberndes Thema, das im ersten Track «La Chanson de Lia» in einer von Liane Foly gesungenen Vokalversion ausgebreitet wird. Es ist der gute alte Legrand-Stil, den man von den Jacques Demy-Filmen LES PARAPLUIES DE CHERBOURG (1963) oder LES DEMOISELLES DE ROCHEFORT (1966) oder auch vom Barbra Streisand-Musical YENTL (1983) her im Ohr hat. Was melodische Endungskraft angeht, können auch heutzutage nur wenige in Europa Legrand das Wasser reichen. Und wer den Komponisten kennt, der weiß, daß er sein einmal gefundenes Thema in mannigfacher Weise über die Spielzeit des jeweiligen Scores variiert, wobei ihm das mal mehr, mal weniger gelingt.

Bei LA BICYCLETTE BLEUE funktioniert dies deshalb hervorragend, weil das feinfühlig-nostalgische und sehnsüchtige Thema innerhalb kurzer Zeit zu einem absoluten Ohrwurm avanciert, den man immer wieder gerne hören will. Die Melodie fließt zärtlich dahin, schwillt an und wieder ab, verliert aber nie ihre Kontur aus den Augen und schweift nicht in fremde Gefilde ab. Geschickt hält Legrand die Balance zwischen Streichern und Holzbläsern, und selbst wenn erstere sich leidenschaftlich aufschwingend aussingen, wird der opulente Klang bald wieder zurückgenommen und das Thema verschiedenen Solo-Instrumenten zur weiteren Entfaltung anheimgegeben, wie zum Beispiel dem Klavier in «L’amour d’une femme» oder dem einsamen Englischhorn in «Sur les routes de France». Besonders schön spielen sich Streicher und Hörner in «La Bicyclette Bleue» die Karten zu, und ein zweites tragisches Thema wird, von sanfter Begleitung gedeckt, in den Tracks «La Lettre à Laurent» und «Retour à Montillac» vom Englischhorn voll fatalistisch ausgekostet.

So ergibt sich eine tragisch gestimmte, gleichzeitig aber melodiöse und entspannte Tonschöpfung, die gerade durch ihren zurückhaltenden und transparenten Orchestersatz überzeugt. Wohlig überläßt man sich solch beseelten Melodielinien und lehnt sich genießerisch im Sessel zurück. Nur an wenigen Stellen, die mit Bedacht gewählt sind, reizt Legrand das volle Orchester mit massiven Blechbläsern und eindrucksvollen Choreinsätzen aus, wenn die Historie ins richtige musikalische Blickfeld gerückt werden soll («Paris libéré») oder dramatische Ereignisse die Oberhand gewinnen («La mort du père»).

Ansonsten gibt es außer zwei Tracks mit jazzbetonter Source-Musik einen wahrlich empfindsamen, nie langweilig werdenden Melodienreigen zu hören, dem sich jeder anvertrauen sollte, der den sinfonischen Legrand-Sound mag. Mit anderen Worten: Legrand is back!

Stefan  |  2001

LA BICYLETTE BLEUE

Michel Legrand

Universal

54:28 | 22 Tracks