Gegenüber dem alten Album von 2001, das mit der damals üblichen Varèse Knappheit auskommen musste (sprich alles um die halbe Stunde rum – 34:30 Min.) ist die Varèse Club Edition mit 66 Minuten wahrlich eine Deluxe Edition, wie vom Label unmissverständlich auf der CD festgehalten. Somit ist der obligaten Frage nach dem «Lohnt sich denn das?» eigentlich auch schon Genüge getan. Doch ist das neue Material musikalisch üppig genug für die zusätzlichen 30 Minuten – die Frage aller Fragen und in ALONG CAME A SPIDER kann man sie nicht so klar beantworten wie in anderen Fällen.
Der Film ist eine Fortsetzung von KISS THE GIRLS (die als Triplete bei Quartet Records erschien) aus dem Jahr 1997, in dem Morgan Freeman zum ersten Mal die Rolle des Cops und forensischen Psychologen Dr. Alex Cross übernahm. Damals sorgte Mark Isham, einen Carter Burwell Score ersetzend, für die Musik. Für ALONG CAME A SPIDER holte Regisseur Lee Tamahori (ONCE WERE WARRIORS, 1994) Jerry Goldsmith an Bord, mit dem er bereits bei THE EDGE (1997) erfolgreich zusammenarbeitete. Goldsmith war alles andere als ein Neuling auf dem Gebiet des gepflegten Crime-Thrillers, auch in seiner letzten Schaffensphase, in der Genrewerke wie U.S. MARSHALS (1998), L.A. CONFIDENTIAL (1997) und CITY HALL (1996) entstanden. In SPIDER hat Alex Cross den Verlust seines Kollegen zu verdauen und sich eigentlich zur Ruhe gesetzt, als die Entführung der Tochter eines US-Senators ihn wieder auf den Plan und zurück in den Dienst ruft.
ALONG CAME A SPIDER ist mehr Thriller als actionlastiger Kriminalfilm und so ist auch Goldsmiths Musik ausgefallen, die sich deutlich gedämpfter offenbart als die «jagenden» Rhythmen eines U.S. MARSHALS oder die heroischen Actionpfünder eines AIR FORCE ONE (1997). Parallelen finden wir trotzdem, aber eben eher in «light» Form. Anders als in den meisten Kompositionen aus dieser Zeit, verzichtet Goldsmith auf ein richtig ohrwurmmässig einprägsames Hauptthema (obwohl er es sich nicht nehmen konnte, ein ausgedehntes Hauptmotiv für die Trompete zu schreiben). ALONG CAME A SPIDER ist in erster Linie ein düsterer Thrillerscore, der sich hauptsächlich in diesem Korsett beweget. Synthesizer (die Eröffnung im ersten Track «Night Talk» spricht Bände und erinnert dabei mitunter an ALIEN), Streicher, voranpreschendes Blech und perkussive Elemente spielen zusammen mit einem 4-Noten-Motiv, das in den etwas actionbetonteren Passagen zuhören ist, die tragende Rolle. Dazu gesellen sich eine von Goldsmiths in jener Zeit typische Blechfanfare («Lesling») und als eine Art mystischen Ruhepol eine kleine Melodie wie aus einer Spieluhr erklingend (in «Alone (Lindbergh)». «Megan’s Abduction» ist der erste eigentliche Actiontrack des Scores, unmissverständlich Goldsmith mit den schnell wechselnden Takten, der hämmernden Perkussion, schneidenden Violinen und den verwendeten Ostinati. «Megan Overboard» und «The Ransom Part 1» und «Part 2» sind Actionsupsensestücke, die sich in bekanntem Territorium jener Goldsmith-Phase bewegen – und vielleicht die bemerkenswertesten des Scores mit den pushenden 6/8 und 7/8 Takten darstellen. In ruhigeren Gefilden bewegen sich Spannungstracks wie «Where’s Megan?» und «Not Alone», in denen Goldsmith seine Orchestration beibehält, aber mitunter Pizzicati von den Bässen und Celli, gestopftes Blech, Synthie und Klavier einsetzt.
Neu ist ALONG CAME A SPIDER sicher nicht und der Begriff «Autopilot» wird hie und da im Zusammenhang mit dieser und anderen Goldsmith-Musiken jener Zeit gerne verwendet. Aber volle Pulle aufgedreht, damit auch der liebe Nachbar etwas davon hat, entfaltet sich eine bekannte Klangwelt, die trotzdem mitreissend wirken kann. Die Filmmusik neu definieren war aber auch nie die Intention der Musik zu ALONG CAME A SPIDER, die vor allem und zuallererst die Thrillerstory des Films unterstützen und vorantreiben sollte. Und seien wir ganz ehrlich: Goldsmith auf Autopilot ist oft besser als vieles, was das Genre heutzutage musikalisch zu bieten hat.
Das beiliegende Booklet mit vielen, auch ganzseitigen Fotos, ist leider eine eher traurige Angelegenheit. Richtig viele und vor allem gute Infos zu Film und Musik erhält man hier nicht. Schade.
Phil 13.4.2021
ALONG CAME A SPIDER
Jerry Goldsmith
Varèse Sarabande Club
66:10 Min.
27 Tracks