All this and Heaven too / A Stolen Life

Review aus The Film Music Journal No. 31/32, 2004

Von Bette Davis stammt der berühmte Ausspruch: “Max verstand mehr von Drama als wir alle.” Und der gute Max liebte es besonders, die Musik für die Melodramen der damaligen Warner Brothers-Diva zu komponieren.

Insbesondere ALL THIS AND HEAVEN TOO, entstanden im Jahre 1940, gehört fraglos zu seinen melodisch üppigsten und edelsten Tonschöpfungen überhaupt. Zu Beginn der 40er Jahre stand Steiner auf dem Zenit seiner Karriere: Sein spätromantisch ausgerichteter Stil war nun vollständig ausgereift, und er verstand es zudem vorzüglich, mittels seiner Leitmotivtechnik das filmische Geschehen nicht nur detailfreudig zu illustrieren, sondern es auch großartig zu intensivieren. Gerade ALL THIS AND HEAVEN TOO zeigt, daß Steiner wahrlich ein Melodiker erster Güte war, und so konnte man sich auf die Ankündigung einer mit 45 Minuten recht ausführlichen Neueinspielung dieses Scores – nebst einer 25-minütigen Suite aus dem fünf Jahre später entstandenen Melodram A STOLEN LIFE (mit Davis in einer Doppelrolle), die kompositorisch schwächer geraten ist und teilweise auf andere Steiner-Musiken zurückgreift – durch das erfahrene Team John Morgan und William Stromberg durchaus freuen.

Charles Gerhardt hatte in seiner «Classic Film Scores»-Reihe bereits 1973 auf einem Bette Davis-Album eine achtminütige Suite aus ALL THIS AND HEAVEN TOO vorgelegt, die auch heute noch als Maßstab aller Dinge gelten darf. Und wenn man das jetzt vorliegende Marco Polo-Album vernimmt, muß man ehrlicherweise einfach zugeben, daß über weite Strecken hier weder die Eleganz noch die enorme Klangfülle der Gerhardt-Interpretation erreicht wird. Zwar wird Steiners Komposition nun um einige Facetten erweitert wie etwa im gespenstische Halloween-Atmosphäre verbreitenden Track «All Hallows Eve», doch was nützt das quantitative Mehr, wenn man dabei einen herben Qualitätsverlust verzeichnen muß. Nicht nur klingt die neue Aufnahme sehr verhallt und schummrig gegenüber dem fantastischen, glasklaren Sound bei Gerhardt, sondern Stromberg drosselt dazuhin die Tempi dermaßen, daß die ausladend-schwelgerische Musik gerade in den ruhigen Stücken in die reine Larmoyanz umkippt.

Man gewinnt den Eindruck, daß das Moskauer Orchester zwar die von John Morgan sorgfältig rekonstruierten Noten herunterspielt, aber eigentlich keine Beziehung zu der Komposition aufbauen kann. Wie wäre es ansonsten möglich, daß man romantische Streicherpassagen nicht glutvoll, sondern geradezu ausdruckslos herunterleiert und ein zum Teil fast einschläferndes Tempo vorlegt, das die ganze Aura des Scores zunichte macht. Ein besonders prägnantes Beispiel hierfür ist etwa Track 6 «Mysteries of Life», der auch in der Gerhardt-Suite auftaucht. Während dort die Streicher voller Leidenschaft satt aufspielen, und die Melodielinie mit Legato-Bewegungen herrlich ausgekostet wird, ist dasselbe Stück bei Stromberg zu einer typischen Kaffeekränzchen- Musik verkommen, bei der sich das Orchester – am auffälligsten in den Soli von Streichern und Holzbläsern – nur noch träge und langweilig dahinschleppt.

Es stellt sich bei einem dermaßen enttäuschenden Endergebnis doch die Frage, wie die beiden Steiner-Experten Morgan und Stromberg, die eigentlich wissen sollten, wie Steiner zu klingen hat, eine solch blutleere Aufnahme haben durchgehen lassen, die nur in wenigen Tracks Überzeugungskraft besitzt. Selbst wenn man einräumt, daß die Moskauer nicht besonders gut disponiert waren, muß man es doch auch dem Dirigenten selbst ankreiden, dem Orchester nicht den nötigen Zunder gegeben zu haben. Das Debakel schmerzt einen umso mehr, wenn man an die aufwendige Restaurierung der Partitur und das wie immer bei den Marco Polo-CD sehr liebevoll aufgemachte Booklet denkt.

Eine vertane Chance also – und das ausgerechnet bei einem von Steiners betörendsten Scores. Für A STOLEN LIFE gilt ähnliches, jedoch zählt gerade diese Musik abgesehen vom imposanten Main Title sowieso nicht zu Steiners gelungensten Werken. Die obige Bewertung der CD zielt weniger auf die Qualität der Musik als auf die der Einspielung!

Stefan  |  2004

ALL THIS AND HEAVEN TOO / A STOLEN LIFE
Max Steiner
Marco Polo 8.225218
71:06 | 19 Tracks