Man mag es kaum glauben angesichts der Tatsache, dass beide gleichzeitig über viele Jahre hinweg zur Elite Hollywoods gehörten, aber Harrison Ford und Jerry Goldsmith hatten mit AIR FORCE ONE ihr einziges gemeinsames Filmprojekt. Und beinahe wäre nicht einmal dies zustande gekommen, hätte Wolfgang Petersen nicht den schon fertig gestellten Score von Randy Newman geschasst, da die Musik nicht seinem Geschmack entsprach (und dass Newman nicht gerade der Mann fürs diesen Film charakterisierende Überpatriotische ist, respektive diesem mit Ironie begegnet, merkt man vielen Tracks seines Scores an; man höre sich nur mal «The Hijacking» an, dessen zeitweise völlig übertriebene, pompöse Dramatik selbst ein Schostakowitsch nicht regime-getreuer hingekriegt hätte).
Nicht, dass man Goldsmiths Musik nicht auch als «Over the Top» bezeichnen könnte, sie ist es über weite Strecken ebenfalls, wird damit aber immerhin einem hemmungslos patriotischen Film gerecht, der nicht wirklich ernst gemeint sein kann. Und Goldsmith versteht es zumindest, die feine Grenze auszuloten, was es gerade noch leiden mag. Dass er für stolze 96 Minuten Musik bloss drei Wochen Zeit hatte, ruft grossen Respekt hervor, insbesondere wenn man sich vergegenwärtigt, dass er sozusagen auf den letzen Drücker mit dem achtminütigen Kracher «The Hijacking» einen seiner absoluten Vorzeige-Actiontracks aus dem Hut zauberte.
Da Goldsmith diese Aufgabe nicht ganz alleine stemmen konnte, erhielt er Schützenhilfe von Joel McNeely, dessen Aufgabe sich jedoch darauf beschränkte, das thematische Material des Maestros in meist kürzeren, Spannung aufbauenden Tracks aufzubereiten. Da er sich dabei dem Hauptkomponisten selbstlos unterordnete, muss man McNeely schon sehr gut kennen, um ihn in seinen Parts herauszuhören. Am ehesten gelingt einem das bei gewissen Stellen im actionbetonten «The Dogfight», denn selbst der einzige, von ihm selbst erschaffene Track «Fuel’s on its Way» springt einem jetzt nicht direkt als McNeely ins Gesicht.
AIR FORCE ONE entstand in den Jahren, als US-Präsidenten in Hollywood zu Actionhelden hochstilisiert wurden (INDEPENDENCE DAY) oder als durchgeknallte Typen auftraten (MARS ATTACKS!). Kein Zufall vielleicht, war es doch die Amtszeit Bill Clintons, der nicht als der Würdevollste in Erinnerung bleiben wird, sondern eher als Schlitzohr mit allzu menschlichen Regungen. In Petersens Film nun spielt Ford den zum mächtigsten Mann der Welt aufgestiegenen Vietnamveteranen James Marshall, der einer Gruppe von russischen Nationalisten, die sein Flugzeug kapern, um ihren General freizupressen, so richtig in den Arsch tritt. Dabei ist er umgeben von einer illustren Besetzung wie Gary Oldman als charismatischer Terroristenführer, Glenn Close als Vizepräsidentin, Petersens alter Weggefährte Jürgen Prochnow als General Radek oder der damals noch nicht sehr geläufige William H. Macy als Major Caldwell.
Bei dieser Art von Film ist die musikalische Herangehensweise vorprogrammiert, und Goldsmith schöpft denn auch beim präsidentialen Hauptthema mit Blech und Snare-Drums von seiner jahrelangen Erfahrung im militärischen Bereich; dieses Thema ist in all seinen Bearbeitungen zunächst der auffallendste Bestandteil des Scores. Aber auch die Opponenten kriegen mit ihrer dunklen, russischen Musik in jeder Hinsicht viel Spielraum, die Mächte gleichen sich somit ‒ zumindest zunächst ‒ aus. Auch wenn die Action vorherrschend ist, ein Adrenalinschub dem nächsten folgt, kommt die Spannung trotzdem nicht zu kurz. Und da zudem die First Lady samt Tochter ‒ wie könnte es auch anders sein ‒ mit an Bord der Air Force One ist, ergibt sich für Goldsmith die Gelegenheit, als Kontrast ab und zu ein liebevoll-zärtliches Familienthema einzubauen.
Bei den bisher unveröffentlichten Tracks dürstete es die meisten Fans wohl nach den längeren Sequenzen gegen Ende des Films, und hier sind sie nun endlich: «Get Off My Plane!», «The Dogfight», «Air Force One in Trouble» und «Escape from Air Force One». Auch wenn es sich dabei letztlich um reine Routine handelt, die ein Goldsmith im Schlaf beherrscht, ist dies doch mehr als grundsolide Actionkost, von der man gerne mehr als nur ein Ohr voll nimmt. Und auch «Radek’s Release» mit Chorbegleitung wäre auf dem alten Album schon sehr erwünscht gewesen. Die aus bestehenden Cues zusammengesetzten «End Credits» schliesslich runden die Score-Präsentation sehr schön ab. Danach folgen von ein paar Tracks noch Filmversionen und Alternate Takes. Mit AIR FORCE ONE wurde nun ein weiterer Goldsmith-Score, der sicherlich zu den populäreren des Komponisten aus jener Periode zählt, in kompletter Form aufbereitet. Viel zu kritisieren gibt es daran nicht, ausser dass die Ausstattung, wie meist bei Varèse, Luft nach oben hätte. Aber daran hat man sich mittlerweile ja gewöhnt.
Andi, 22.10.2019
AIR FORCE ONE
Jerry Goldsmith, Joel McNeely
Varèse Sarabande VCL 0919 1195
119:42 Min.
46 Tracks
Limitiert auf 4000 Stk.