Michel Legrand (1932 – 2019)

“To my mind, a beautiful tango is worth more than some works by Wagner” MICHEL LEGRAND

Michel Legrand wurde 1932 als Kind einer musikalischen Familie geboren, sein Vater und sein Onkel waren beide Musiker. Im Alter von 10 Jahren ging er auf das Konservatorium von Paris, ein willkommener Wechsel, denn bis dahin empfand er sein kurzes Leben als sehr langweilig. Er war ein Einzelgänger, konnte stundenlang stillsitzen und keinen Ton von sich geben. Seine Eltern hatten deswegen schon Angst, ihr Sohn sei ernsthaft krank. Er spielte auf einem alten Klavier zu den Chansons und Liedern aus dem Radio.
Das Konservatorium schloss er mit den höchsten Noten in mehreren Fächern ab. Mit Maurice Chevalier ging er fortan auf internationale Tournee und so lernte er die USA kennen und lieben. In dieser Zeit begann er mit eigenen Kompositionen. Seine erste LP «I love Paris» wurde 1954 ein unerwarteter Hit in den Staaten. In Frankreich nahmen ihm die Kritiker seine Nähe zu Amerika (und wohl der damit verbundene Erfolg) oft übel und verspotteten ihn und seine Musik lange Zeit, was ihn freilich nicht davon abhielt mit dem jungen Miles Davis oder Stan Getz zu arbeiten und weiterhin seine eigenen LPs aufzunehmen.

1955 schrieb Legrand seine erste Filmmusik für den Kurzdokumentarfilm VISAGES DE PARIS von François Reichenbach. Es war der Start einer Karriere, die parallel zum Schreiben von Chansons und Arrangements lief. Mit Begründern der nouvelle vague wie Jean-Luc Godard, François Reichenbach, Jacques Demy aber auch Jacques Deray arbeitete er fortan immer wieder zusammen: UNE FEMME EST UNE FEMME (1961), LA BAIE DES AGES (1962), BAND À PART (1964), LA CHINOISE (1967), LA PISCINE (1968), UN HOMME ES MORT (1972) und natürlich sein grosser Hit mit dem etwas anderen Musical LES PARAPLOUIES DE CHERBOURG. Bei Letzterem schwamm Legrand zusammen mit Demy wieder gegen den Strom, denn produzieren wollte dieses spezielle Musical zuerst niemand. Der Erfolg gab ihnen schliesslich recht, der Film wurde ein Hit, gewann diverse Preise und das Chansons «Je ne pourrai jamais vivre sans toi» wurde später von Norman Gimbel, Frank Sinatra, Louis Armstrong und Liza Minelli interpretiert. Drei Jahre danach folgte mit LES DEMOISELLES DE ROCHEFORT (1967) ein weiteres Demy/Legrand Musical.

In den 60er Jahren begann Legrand auch seine eigenen Lieder zu singen. Es war ein Versuch, auch um seine Scheu abzulegen, angestossen von Jacques Brel, den er lange verfolgte.  

Die USA behagten Legrand seit seinen Besuchen zu Beginn seiner Karriere und so verwundert es nicht, dass er dort sehr erfolgreich Filmmusiken schrieb: THE THOMAS CROWN AFFAIR mit dem mit dem Oscar prämierter Song «The Windmills of Your Mind» schlugen 1968 ein wie eine Bombe. Im gleichen Jahr folgten die grossartige Musik zu John Sturges ICE STATION ZEBRA und darauf Filme für Sydney Pollack (CASTLE KEEP), Richard Brooks (THE HAPPY ENDING), Clint Eastwood (BREEZY), Richard Lester (THE THREE MUSKETEERS) und natürlich 1970 Robert Mulligan SUMMER OF ’42 für den er den Filmmusik-Oscar gewann. Legrand: «An Oscar is a gold star, a piece of flattery, the sweet smell of success but, deep down, it doesn’t make you any better or worse as a composer, your strength and weekness remain unchanged». Er kehrte auch immer wieder in seine Heimat zurück wo er u.a. SECTION SPÉCIALE (Costa-Gavras), L’ÉVÉNEMENT LE PLUS IMPORTANT DÉPUIS QUE L’HOMME A MARCHÉ SUR LA LUNE mit Catherine Deneuve und Marcello Mastroianni, LE SAUVAGE und für Claude Lelouch LES UNS ET LES AUTRES vertonte. Interessant übrigens dürfte der Vergleich seines abgelehnten Scores zu THE MAN WHO LOVED CAT DANCING sein, die John Williams Version und Legrands Musik sind auf einer Film Score Monthly CD veröffentlicht worden.

Kindern der 70er und 80er Jahre dürften Legrand eher unbewusst aufgenommen haben, nämlich mit seinen Musiken zur Zeichentrickserie IL ÉTAIT UNE FOIS… L’HOMME (der Udo Jürgens Titelsong «Tausend Jahre sind ein Tag» allerdings stammt nicht von ihm) oder zum schlumpfigen Zeichentrickfilm LA FLÛTE À SIX SCHTROUMPFS.

Auch die 80er Jahre zeichneten sich durch einige Erfolge aus, so schrieb er die Musiken zum umjubelten ATLANTIC CITY von Louis Malle, zu THE HUNTER mit Steve McQueen in seinem letzten Film, Sean Connerys neuerlichem Auftauchen als 007 in NEVER SAY, NEVER AGAIN und YENTL von Barbara Streisand, mit der er über Jahrzehnte eng zusammenarbeitete. Ausserdem tat er sich nochmals mit Norman Jewison für BEST FRIENDS mit Burt Reynolds und Goldie Hawn zusammen.

Bis ins zweite Jahrzehnt der 2000er blieb Legrand der Filmmusik (PRÊT-À-PORTER, LES MISÈRABLES, AND NOW… LADIES AND GENTLEMEN…, LA RANÇON DE LA GLOIRE) und seinem nicht-filmischen Schaffen treu, reiste und tourte durch die Welt. Sein letztes Werk war 2018 die Musik zu Orson Wells unvollendetem Film THE OTHER SIDE OF THE WIND, das bei La-La Land Records kürzlich erschienen ist. Wells schrieb in seinen Notizen: «Call Legrand for the music», was 23 Jahre später von den Produzenten Frank Marshall und Filip J. Rymsza gemacht wurde. Ein spannender Abschluss eines langen musikalischen Lebens, in dem er sich mit Grössen wie Yves Montand, Charles Aznavour, Phil Woods, Gerry Mulligan oder den Textern Alan und Marylin Bergman traf.  

Michel Legrand starb am 26. Januar 2019 in Neuilly-sur-Seine.

Phil, 2.2.2019