The Nutcracker and the Four Realms

Von E. T. A. Hoffmann über Alexandre Dumas auf die Theaterbühnen weltweit: vor allem dank Pjotr Iljitsch Tschaikowskys 1892 uraufgeführtem Ballett DER NUSSKNACKER dürfte sich «Nussknacker und Mausekönig» seinen Status als unverwüstlicher Festtagsklassiker erworben haben, und Tschaikowsky erwies sich im Bereich der Weihnachtsmusik als wesentlicher Wegbereiter mit Einfluss bis in die heutige Zeit, erliegen doch Vertreter verschiedenster musikalischer Gattungen nach wie vor der Versuchung, sich vom NUSSKNACKER inspirieren zu lassen oder ihn neu zu interpretieren.

Nun wurde die Geschichte um den vom Mausekönig in einen Nussknacker verwandelten Prinzen, der in der Christnacht den fiesen Nager samt dessen Armee mit Hilfe von Spielzeugsoldaten und seiner Besitzerin Clara vernichtet und dank der Liebe des Mädchens in seine Ursprungsgestalt zurückfindet, von Lasse Hallström mit grosser, teils prominenter Besetzung (Morgan Freeman, Helen Mirren, Keira Knightley) erneut fürs Kino aufbereitet.

Man durfte im Vorfeld gespannt darauf sein, welchen Ansatz James Newton Howard für diesen Film wählen würde. Konzentriert er sich vornehmlich auf die Vorlage Tschaikowskys oder vertraut er eigenen Kompositionen? Nun, er entscheidet sich für einen Mittelweg, wobei im Score letzten Endes mehr Howard als Tschaikowsky steckt. Zwar nimmt er Material aus dem Ballett, gestaltet es dramaturgisch aber oftmals um, verwendet von manchen Themen nur wenige Takte oder reichert sie mit Chören an. Letzteres erleben wir bereits beim Eröffnungstrack «The Nutcracker and the four Realms». Hierbei handelt es sich im Grossen und Ganzen um die «Ouvertüre» des Balletts, allerdings mit Beteiligung eines Kinderchors und Lang Lang am Klavier.

«Presents from Mother» fängt auf zauberhafte Weise die Magie eines Weihnachtsmorgens und die damit einhergehende Spannung auf die Bescherung ein, bevor sich schliesslich eine festliche Atmosphäre ausbreitet. In «Clara’s new World» und «Sugar Plum and Clara» kann man sich nicht nur mit dem mal romantische, mal heroische Züge aufweisenden Thema für Clara vertraut machen, sondern nebst dem «Tanz der Zuckerfee» und der «Verwandlungsmusik» aus dem Ballett (hier möglicherweise als Nussknacker- oder Liebesthema dienend) auch an einer entzückenden Melodie erfreuen, bei der es sich um Howards eigenes Thema für die Zuckerfee handeln mag.

Zeugen bereits in «Mouserinks» und «The fourth Realm» ungemütliche Klänge von ersten Begegnungen mit den vierbeinigen Widersachern, bittet in «The Polichinelles» eine sich dem Tritonus hingebende Violine zu einem diabolischen Tänzchen, und man geht vermutlich nicht fehl, wenn man darin die musikalische Signatur des Mausekönigs vermutet. Dies bildet den Auftakt zum mit recht viel Action und Dramatik aufwartenden zweiten Teil des Scores, wo Howard ganz schön zur Sache geht und viele von ihm auf diesem Gebiet gewohnte Register zieht. Er verliert dabei aber nie die dem Kampf gegen die Mäuse geschuldeten Gefühlsregungen und den damit verbundenen, thematischen Aspekt aus den Augen und lässt auch ‒ etwa durch Lang Lang ‒ zuweilen ein wenig Verspieltheit mit einfliessen. Dass ‒ wie im Märchen üblich ‒ das Gute über das Böse obsiegt, kristallisiert sich während «Queen Clara» heraus, auch wenn der Track letztlich nicht überschwänglich endet, sondern ruhig ausklingt.

In «The Nutcracker Suite», mit der wahrscheinlich die Schlusstitel unterlegt sind, präsentieren Lang Lang, Chor und Orchester, die übrigens mit Gustavo Dudamel von einem der zurzeit angesagtesten jungen Dirigenten geleitet werden, nochmals einige Themen aus dem Ballett; dass an deren Schluss die «Ouvertüre» steht, macht zwar nicht unbedingt Sinn, aber immerhin schliesst sich damit der musikalische Kreis.

Danach folgt mit «Fall On Me» noch ein von Andrea und Matteo Bocelli interpretierter Schmachtfetzen. Der hat zwar thematisch rein gar nichts mit dem Score zu tun, aber ein Disney-Film ohne einen einzigen Song geht natürlich nicht. Die ganz Tapferen mögen zur deutschen Veröffentlichung des Soundtracks greifen, denn darauf ist das Lied in gleich drei Sprachversionen enthalten.

THE NUTCRACKER AND THE FOUR REALMS ist ein mehr als ordentlicher Howard, der vor allem im märchenhaften Bereich mit viel Liebenswertem zu überzeugen vermag. Die Tschaikowsky-Stücke sind zumeist originell verarbeitet und wirken weder deplatziert noch aufgesetzt. Insbesondere zur musikalischen Einstimmung auf die nun nahende Vorweihnachtszeit bietet sich die CD geradezu an.

Andi

THE NUTCRACKER AND THE FOUR REALMS

James Newton Howard

Walt Disney Records D002864802

66:46 Min. / 17 Tracks