Platoon (expanded)

Als Oliver Stone 1971 einen ersten Entwurf des Scripts zu PLATOON schrieb, hätte er wohl selber nicht daran gedacht, was 15 Jahre später geschehen würde. Doch zuvor ging Stone durch ein wahres Wechselbad der Gefühle. Nachdem niemand sich zunächst an diesen Film herantrauen wollte, in den USA herrschte eine Zeit lang die Meinung vor keine alten Wunden aufreissen zu wollen ausserdem erfuhren Studios mit APOCALPYSE NOW, wie ein weitaus bekannterer Filmemacher ein Projekt finanziell fast in den Sand gesetzt hätte. Es war zunächst am damaligen Filmgiganten Dino De Laurentis (KING KONG, CONAN THE BARBARIAN), der Stone zum location scouting auf die Philippinen schickte. Doch schnell schmiss der Italiener das Projekt über Bord und Stone stand erneut mit abgesägten Hosenbeinen da. Schliesslich war es Orion Pictures, die sich die Rechte sicherten, doch das mit Köpfen von United Artists besetzte Studio stand damals selber auf der Kippe und nur die Fusion mit Filmways rettete die Produktionsfirma für eine beschränkte Zeit. Endlich stand auch PLATOON auf festen Füssen, jedoch wurden Oliver Stone die Grenzen klar gesetzt: 45 Drehtage auf den Philippinen, keinen einzigen Tag mehr. Er schaffte das kaum machbare, besetzte die Hauptrolle, ein Altersego des Regisseurs selber, der den Horror des Vietnamkriegs am eigenen Leib erfuhr, mit dem jungen Charlie Sheen und in unvergessenen Parts Tom Berenger und Willem Dafoe. Der Film kostete 6 Mio. Dollar und spielte alleine in den USA 140 Millionen ein. Dazu gab es 1986 fünf Oscars, u.a. für Regie, bester Film und Schnitt.

Kurz vor PLATOON war Stone mit SALVADOR beschäftigt und arbeitete zum ersten Mal mit Georges Delerue zusammen, der froh war abseits von mittelmässigen US-Romanzen und Komödien auch mal handfeste Filme vertonen zu können. Für Stone war klar, Delerue würde auch bei PLATOON für die Musik besorgt sein. Dann kam die Sache mit dem Temp Track. Cutterin Claire Simpson unterlegte Stellen des Films mit Samuel Barbers „Adagio for Strings“ und Delerue sah sich alsbald mit der Aufgabe betraut nebst seinem eigenen Material auch den Barber neu einzuspielen. Es folgte was oft geschah, der Regisseur verliebte sich in den Temp Track und dem Delerue blieb nichts übrig als die Faust im Sack zu machen. Wie Tim Greiving in seinen hervorragenden, 14 seitigen Liner Notes (für einmal keine Track-by-Track Analysen sondern spannende Hintergrundinfos zu Film und Filmmusik) schrieb, verhielt sich Delerue zwar „wie ein Profi“, doch dass nur so wenig seiner Musik in den fertigen Film einfloss, blieb bei ihm lange hängen. Natürlich ist es Spekulation, dennoch sind sich viele Fans sicher, dass Delerues Musik, wäre da nicht die Barber-Geschichte gewesen, zumindest eine Oscar-Nominierung geschafft hätte. So aber hatte der Franzose keine Chance – ausserdem bestand er darauf im Haupttitelspann nicht genannt zu werden, erst in den Schlusscredits wird sein Name aufgeführt.

Zu PLATOON erschien damals eine LP/CD mit vielen Songs und Delerues Adaption des „Adagio for Strings“ (inklusive Charlie Sheens Text) während die 1995er CD des belgischen Labels Prometheus die Musik zu SALVADOR und sieben nicht im Film verwendete Delerue Stücke zu PLATOON präsentierte. Die kürzlich erschiene Quartet Records Scheibe enthält zusätzlich acht bisher unveröffentlichte Delerue Tracks (und somit alles was er für den Film schrieb), dazu noch einige Alternates und die drei orchestralen Stücke des ersten Albums.

Was mir hier zum ersten Mal so richtig aufgefallen ist, wie nah Gabriel Yareds Musik zu THE ENGLISH PATIENT an einem Thema Delerues aus PLATOON ist. Das ist umso bemerkenswerter, als dass Delerues Musik ein Jahr vor THE ENGLISH PATIENT erschienen ist. Wie sehr hier Kommissar Zufall eine Rolle gespielt hat, oder nicht, ist hypothetisch und Yared ist ohnehin ein bodenständig origineller Komponist .

Die CD jedenfalls beginnt mit dem Barber Stück ehe wir zu Delerues „Main Title“ gelangen, geschrieben für Streicher und durchaus ein vollwertiger filmmusikalischer Ersatz für das „Adagio“ (ah ja, und hier ist sie wieder, ganz zu Beginn in den ersten 30 Sekunden diese Nähe zu THE ENGLISH PATIENT, bzw. umgekehrt). Im Gegensatz zu Barbers Stück kann Delerue weit mehr mit Emotionen spielen, lässt die Musik anschwellen, entlässt sie wieder ohne aber ganz loszulassen. Dieses Titelthema und seine Weiterentwicklungen sind auch in „Rejoice in the Youth“, „Charlie’s Sorrow“ und weiteren Stücken hören. Zunächst düsterer, weil spannend-dramatisch wird es in „Grunts in the Rain“, nur kurz ein Flöteneinsatz und das Thema als Variation, so verfährt Delerue auch in „Maybe I Found It/Ambush“. „Bunker to Village“ ist das erste Stück in dem Delerue seinem Orchester einen asiatischen Anstrich (Flöte, Woodblocks) entlockt, recht sachte und nicht übermässig aufdringlich, wenn auch laut abgemischt – wir hören es später in ähnlicher Art, aber mehr mit Flötenklängen durchsetzt in „Barnes Shoots Elias“ wieder, ehe die herzzerreissenden Violinen übernehmen (alleine die letzten 45 Sekunden dieses Tracks sind fantastische, packende Filmmusik). „Carrying the Children/Time We Got Ourselves Kicked/Sun and Rain“ zeigt eine wunderschöne Variation des Hauptstücks, getragener, emotioneller, in „The Enemy Was in Us“, beendet von Tremolo Streichern und einer nur kurz einsetzenden Shakuhachi (?) übergehend.

Beendet wird die Abteilung „The Film Score“ mit dem unvergleichlichen „Finale and End Title“, völlig Barber-frei so möchte man sagen und sich gleichzeitig fragend, tja, hätte, wäre, wenn…!

Wer dennoch nicht auf „Adagio for Strings“ verzichten möchte, erhält in den additional music Stücken mit Track 18 die Gelegenheit Delerues Einspielung ohne Charlie Sheens voice over zu hören.

Eine von A-Z tolle Veröffentlichung eines bemerkenswerten Delerues, ohne Zweifel eines seiner besten Spätwerke, wenngleich PLATOON für immer und ewig mit Samuel Barber in Verbindung gebracht werden wird. Diese CD immerhin hält die Erinnerung am Leben, dass für Oliver Stones Film der Franzose etwas ganz Grossartiges geschrieben hat – wer weiss wo die Reise mit Stone und Delerue danach hingegangen wäre, hätte Stone nicht auf seinem Temp Track beharrt.

Phil, 1.4.2018

 

PLATOON

Georges Delerue

Quartet Records

63 Min. / 26 Tracks

Limitiert auf 1000 Stück

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