In medias res heisst die Devise, mit welcher John Williams uns hier gleich mit «Dartmoor, 1912″ in seinen neuesten Score entführt. Copelandesque, mit grossen, schwingenden Zügen überzeugt die Musik gleich von Beginn weg mit seinem tiefen, voluminösen Gefühl. Das Orchester unter dem Baton des Meisters selber entfaltet sich immer wieder mit einer Klarheit, die das Alter Williams mehr als in Vergessenheit rücken lässt. Jeder Moment ist erfüllt mit einer klaren Linie, welche mich insbesondere an frühere Werke wie The River, Far and Away oder auch Saving Private Ryan erinnerte. Anders als bei Tintin, der für mich musikalisch ähnlich Indiana Jones and the Crystal Skull und Catch me if you can gestrickt war, ist War Horseeine Rückkehr zum Grossen Kino, wenn man das mal so salopp ausdrücken darf.
Das Orchester, dessen Anteil an Streichern (Violinen, Violas, Celli und Bass) überwiegt, bewegt sich mit einer spielerischen Leichtfüssigkeit. Die Bläser (Flöten, Oboe, Bassoon und Klarinetten, dazu ein paar Trompeten mit Trombonen und Tuba) verleihen das extra Mass an Tiefe und tragen die Melodie wie beispielsweise in » Joey Home, and Bonding». Dieses «alte Welt» Gefühl, welches brilliant die Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts ausdrückt, baut die Beziehung zwischen Pferd und Reiter weiter aus.
Im Booklet schreibt Spielberg von einer Schönheit und ruhigen Mäjestätik, welche scheinbar Williams beseelt und dass durch ihn die Landschaft Dartmoors spricht. Ich kann dies hier nur bestätigen und unterstreichen. In den über 40 Jahren Zusammenarbeit zwischen den beiden haben mich immer wieder Scores angesprochen, aber noch selten so spontan und tief wie War Horse.
Die poetische Sprache, welche Williams hier in Musik fasst, ist „Gänsehaut hervorrufend“ (ist das ein Wort? Wenn nicht, dann lassen wir es einfach mal so stehen), erwachsen, melodisch und dramatisch. Es scheint als ob der Komponist die zeitliche Barriere durchbrochen und uns an seiner Freude teilhaben lässt.
«Seeding, and Horse vs. Car» beschwört die ländliche Gegend herauf, kulminiert in einem überragenden Wettstreit zwischen Fleisch, Blut und Knochen gegenüber Maschine, setzt sich mit «Plowing» gleich weiter in Szene.
Anders als verschiedene Scores der letzten Jahre verzichtet Williams hier auf eine Reprise des Hauptthemas. Es ist nicht nötig, erfüllt die beseelte Tiefe des Leitmotifs doch einen Grossteil der Tracks. Es wächst in die Geschichte hinein – und man kann sich nur auf einen bildgewaltigen Film freuen, der diese Musik sich eigen zu machen sucht.
Der Titel verrät es aber schon, die Schönheit des Landes kann nicht ewig dauern, und das «War Horse» taucht in die Wirren des ersten Weltkrieges ein. Dem Krieg, der vor mittlerweile 93 Jahren am 11. November 1918 um 11.00 Uhr zu Ende ging. Dieser zweite, düsterere und dramatische Teil des Scores beginnt ab Track 7 mit «Ruined Crop, and Going to War». Elegische Bläser schwingen sich über die Perkussion auf, welche mit das Bild bestimmen. Die Verwandschaft der Musik zu Saving Private Ryan wird hier offenbar und doch ist es eine andere Welt, eine andere Zeit. Das vibrierende Gefühl der Attacke (Track 8: „The Charge and Capture“) fängt die Nervosität der Situation, der Menschen und nicht zuletzt der Tiere ein.
«Remembering Emilie, and Finale» beginnt verhalten und bedrückend, bis die Erinnerung in der Form des Pianosolos das Bild bestimmt, kurz darauf ergänzt mit Streichern und achso wehmütig, dass man einfach nur noch dasitzen und zuhören kann. Das Trompetensolo übernimmt und lässt das ausklingen, was der Krieg war – es bringt uns zurück nach Dartmoor, wo alles begann. Die Freude am Land erwächst mit einer Leichtigkeit, die Streicher tragen uns weiter und weiter, erinnernd an die Pastoralen des anderen Williams, an Vince Vaughan Williams. Das Finale ist eingeläutet und es ist klar, dass wir uns weit ab von Krieg und Vernichtung befinden, wieder dem Leben zugewandt, an einem Morgen, wo der Nebel über dem Land zwar noch hängt aber sich bald auflösen wird. Ein paar Takte erinnern hier an The River. «The Homecoming» schliesst die CD, eine wehmütige Reise durch all die Gefühle, welche Williams in mir während den vorangegangenen Tracks immer wieder hervorgerufen hat. Es ist ein Triumph, den ich hier miterleben konnte und dem Zuhörer all das vermittelt, was Filmmusik sein kann.
War Horse von John Williams ist ein (um nicht zusagen DAS) Highlight des Jahres 2011 in Sachen Filmmusik. Die CD ist rundum gelungen, mit 65 Minuten weder zu kurz noch überlang, genau richtig.
WAR HORSE John Williams Sony Classical 65 Min./16 Tracks
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