Alte Bekannte, hier vereint per hübsch aufgemachter Sony Classical, erschienen 1991. Eingespielt vom Boston Pops Orchestra am 18., 19. und 25. Mai 1990 – bei solchen Daten versuche ich stets zu rekonstruieren, wo man selbst zur „Tatzeit“ weilte. Jedenfalls waren es die famosen 90er: Wenn meine Junggesellenbude von ungebetenen Überraschungsgästen heimgesucht wurde, legte ich Soundtracks auf – in den meisten Fällen half das auch rasch. Diese Spielberg / Williams-Scheibe rotierte nahezu ständig – wohl vertraute Klänge schaffen doch überall ein Zuhause. Der Sampler (eventuell waren Tracks 4 und 7 noch Ausnahmen?), beherbergte Meilensteine (damals schon, `91). Auch heute ist es immer noch schön, wieder reinzuhören, für jeden Soundtrack-Liebhaber sowieso. Und zum fröhlichen Gebrauch von Musik-Interessierten, „die auf der Kippe stehen“: Ob nun Rondo Veneziano, Enya, Blue Men Group oder doch Filmmusik?
Track 1, „The Raiders March“. Kann es denn Mitmenschen geben (ausgenommen: Tatooine-Bewohner), die nie davon hörten: Raiders Of The Lost Ark? Da war dieser Abenteuerfilm mit kernig-leger gewandetem Archäologen (leidend unter Schlangenphobie, ansonsten echt fit), Riesengeröllkugel-Szene, geheimnisvoller Bundeslade, Comic-Nazis, umherschwirrenden Geistern, mächtiger Lagerhalle und politisch-komisch-unkorrektem Säbel-gegen-Colt-Duell! Natürlich auch: Grandiose Musik. Doch ein Rätsel seither: Wieso drapierte der letzte Student, beim Verlassen des Unterrichtsraums, seinen Apfel auf Indys Lehrerpult? Was man jedenfalls wusste: Marcus Brody (Denholm Elliott) mochte Früchte. Williams’ Marsch tönte 1981 erstmalig durch die Kinos, angeführt vom legendären Intro. Fast schon zum Mitschunkeln geeignet: Das Raiders-Theme. Im Mittelteil wurde es ruhig und romantisch, dann übernahm, eingangs munter flötend, das fetzige Outro – und die Bullenpeitsche knallte.
Track 2, „Theme From Always“. Beim TV-Zapping bleibe ich definitiv an Alwayshängen. Kein Spielberg-Kassen-Kracher, aber gut für bekennende Nostalgiker, welche besonderen Hang zur Pre-Kaminski-Zeitrechnung hegen. Audrey Hepburns letzter Film. Eine Ehre, sicher auch für den Regisseur. „Theme From Always“, unglaublich viel Sehnsucht, Träumerei und Streicherhimmel sind darin zuhause. In der Szene, wo Pete (Richard Dreyfuss) Dorinda (Holly Hunter) kurz vor dem Start seine Liebe gesteht, dröhnen schon die Löschflugzeug-Propeller – Dorinda kann Pete nicht hören, hat ihm auch den Rücken zugewandt, Pete ruft seinem Mädchen also „lautlos“ hinterher. Für uns Zuschauer birgt Williams’ Musik echte Rettung dabei. Es ist gut so, auch wenn Dorinda die drei Worte niemals aus Petes Mund hört.
Track 3, „Adventures On Earth“ – jeder, der Anfang 80er beherzt BMX-Rad fuhr, müsste sich heute noch in die E.T.-Ära hinein träumen können. Rasselnde Pedalen, vorn im Plastikkorb ruckelte tapfer die festgeschnallte E.T.-Puppe – so waren wir einst durchs Dorf unterwegs. Ein Klassenkamerad, ansonsten eher der Typ, den besser keiner zum Feind haben wollte, hatte seine Kinderzimmertapete überpflastert: Selbst gemalte Motive aus E.T. – unter Verwendung seiner buntesten Filzstifte. Eigentlich war dieser Junge gar nicht so gefährlich. „Adventure On Earth“, für unsere BMX-Bike-vs.-Gouverment-Schlitten-Verfolgungs-Szene könnte kaum ein treffenderer Cue-Titel passen – und die Erwachsenen sehen heute noch ganz schön alt aus, gegen diese flinken Kids. Nicht verpassen: Track 9.
Track 4, „Theme“, aus dem Roadmovie-Frühwerk Sugarland Express. Mir passierte eben ein furioser Tippfehler – anstelle vom kleinen „u“ drückte ich die Taste rechts davon: „Mindharmonika“ steht jetzt da. Keine Bange, ein Blick ins Booklet hilft: Solist Toots Thielemans spielt hier die Harmonica. Vereinigt mit dem Boston Pops, klingt das einfach gut. Baby Langstons zum Scheitern verurteilte Eltern – 1974, Beginn der Spielberg-Williams-Collaboration, ein ganz glückliches Filmmusik-Jahr.
Tracks 5 und 6, „Title Theme“ / „Out To Sea“ / „The Shark Cage Fugue“ – JAWS! Welch zeitloser Film! Diese Gesichter: Quint (Robert Shaw), Hooper (Richard Dreyfuss), Brody (Roy Scheider) – so ein Ensemble ist leider selten geworden. Spielberg, der beim Dreh nicht mal dreißig war, würde heute sicher das eine oder andere völlig anders machen. Was er aber „mindestens“ schaffte: Ein Freund offener Gewässer werde ich kaum mehr werden.
Track 7, „Exsultate Justi“, erster Teil der Empire Of The Sun-Musik, hier in der Kollektion. Ich war nie für Chorgesang zu begeistern, es gibt aber Sonderfälle… Bei Filmen wie diesem. Am Ende ist Jim kein Teenie mehr, nur eben äußerlich – wenn er nicht wie versteinert wirkt, als seine Eltern ihn nicht erkennen. Drastisch. Jim hat die Welt der Großen erfahren, den Krieg überlebt. Ohne Vater und Mutter. Eine Umarmung. Und kein Waise mehr.
Track 8, „Parade Of The Slave Children“, 10 Jahre nach dem ersten Spielberg-Williams-Film: Indiana Jones And The Temple Of Doom. Visuell stellenweise harter Tobak. Indy goes Splatter wäre zuviel gesagt, doch unverfängliche Family-Action war’s auch nicht, was da im Tempel vor sich ging. Ich schummelte mich `84 ins Kino rein. Die Freude war groß: Endlich, Onkel Indy ist wieder zurück! Und Schlauchboote können fliegen! Bald danach legte ich mir in der Westernstadt eines Freizeitparks meine, nun ja, „Peitsche“ zu (fransig, geflochten, nicht ganz mit dem Original zu verwechseln). Damit malträtierte ich stundenlang unsere einzige Straßenlaterne, blieb aber immer hängen. Trommelwirbel wie im Track 8 hier zu Beginn, war ganz und gar nicht zu erwarten. Kinder an die Macht – gesprengte Ketten im Tempel des Todes. Typisches Williams’-Outro, nicht die Filmversion, dennoch schmissig.
Track 9, „Over The Moon“ – nochmals unser liebster Außerirdischer! Musik, wie nachhause zu kommen! Erdling Elliott (Henry Thomas) und E.T. (himself) – wie gut, dass es nie ein Sequel gab. Die Magie, als Unikat zu überdauern, bleibt der 1982er-E.T.-Urfassung erhalten – auch wenn 20 Jahre später digital aufgerüstet wurde und der Film mit recht merkwürdigen Änderungen „neu“ raus kam. (E.T.-Google-Tipps: Tamara De Treaux, Michael Patrick „Little Pat“ Bilon, Debra Winger.)
Track 10, „March“, 1979: Vorhang auf und Badestrand frei für 1941! Bombastische Paranoia-Klatsche, einst Kassengift, heute ultimativer Lehrfilm folgender Disziplinen: Komik-Timing, Handmade-Flugshots, Unterwegs mit Panzer durch Farbenfabrik, Pressekonferenz mal anders, Tanzsaal-Saloonprügelei-Choreographie, Bürgerwehr-Zielschiessen, Modellbauten, Typen-Casting! Vorliegende „March“-Version kommt etwas seichter rüber als im Alhambra-Album – ohne Explosions-Soundeffects und Wild Bill’s gebrülltem Rausschmiss-Ratschlag. Dialoge auf Soundtrack-CDs – das ist so eine Sache, viele mögen es ja nicht, zu Recht, denn teilweise wirkt’s auch unpassend. Doch Wild Bill Kelso (James Belushi) verzeiht man gern – auf Alhambra jedenfalls.
Track 11, „Cadillac Of The Skies“, wieder Empire Of The Sun, Wahnsinns-Szene mit dem dreizehnjährigen Jim („Bruce Wayne-Archivmaterial“: Christian Bale) und P 51 Mustang-Pilot (der per SlowMo aus seinem Cockpit winkt)! Makellose Musik, auch frei, wuchtig, überall. Träumt der kleine Jim? Oder ist dieser Himmel wirklich voller Cadillacs, die ihre SFX-Zerstörungskräfte am Internierungslager weitflächig zelebrieren?
Track 12, „Scherzo For Motorcycle And Orchestra“, launiger Track-Titel, wie gemacht für Last Crusade – wenn der Vater mit dem Sohne (bei diesen Zwei könnte man sagen, eher umgekehrt)! Schön zu sehen, wie Ford/Connery hier agieren, sitzend, auf/im Flucht-Kratt/Beiwagen: Indy heizt, um seinen Vater und sich zu retten, wie ein Irrer, schaltet motorisierte Verfolger aus (Mitleid für Stuntmen darf man hier nicht haben), prescht weiter – Jones sen. guckt mürrisch zum Filius rüber und zieht seine, offenbar stehen gebliebene, Taschenuhr wieder auf. Diese Szene bebildert das Verhältnis beider Figuren zueinander sehr treffend: Actionhero und Bücherwurm. Williams lässt hierbei sein Raiders-Theme völlig ungenutzt, mutig. Der „Ersatz“, also dieses „Scherzo“, bietet jedoch breite Rasanz und auch echte Klasse.
Track 13, „Excerpts (When You Wish Upon A Star-Medley)“, Close Encounters – besser kann man es nicht machen (Film-Opening: Spannendes Schwarz und mächtiger Orchesterschlag, zum harten Schnitt auf das erste, verwehte Wüsten-Bild!). Später sollte kaum mehr viel Tolles folgen? Hören sie selbst.
Jahre nach der CD-Veröffentlichung hat Spielberg geäußert: „Ich will nicht Erfolg. Ich will Wirkung.“ Man könnte das eigentlich stehen lassen – auf seinem Level braucht keiner mehr etwas, was mit Erfolg bezeichnet wird. Die Wirkung der Filme ist zum Großteil Williams’ Können zu verdanken – nicht, dass Spielberg in seinem Statement genau den Aspekt wohl meinte (dessen er sich bewusst ist). Ein wahrer Oneliner ist es allemal. Drei Punkte dieser Meilenstein-Parade sind schade: Zum einen wäre die tatsächliche Chronologie aller Tracks interessant, eben geordnet nach Film-Erscheinungsjahr (hier ist sie durchgemischt). Zum anderen könnte man problemlos viel mehr „Hörproben“ aus Spielbergs / Williams erster, gemeinsamer Schaffensperiode geballt vertragen. Und als Schmankerl darf doch die von Spielberg im Booklet angesprochene, eigenhändige Performance seines 1941-Klarinetten-Marsches nicht fehlen…
Booklet: Kinoplakat im Längsformat mit Maestro Williams uva., schön gezeichnet. Innen ein S/W-Foto beider Kollaborateure am Mischpult und kurzweilige Notes von Spielberg (englisch, deutsch, französisch, italienisch). Ganz hinten drauf: „For this recording 20-bit-technology was used for high-definition-sound“ – ich wusste schon damals, `91, nicht wirklich, was das bedeutete, aber es klang irgendwie beruhigend.
THE SPIELBERG/WILLIAMS COLLABORATION John Williams Sony Classical 509970459972 65:23 / 13 Tracks
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