Das Soundtrackalbum zu Slipstream lag bereits pfannenfertig in Elmer Bernsteins Schublade, als der Film trotz bekannter Namen wie Mark Hamill, Bill Paxton, Ben Kingsley, Robbie Coltrane und F. Murray Abraham an den Kinokassen abstürzte und damit die Veröffentlichungspläne der Filmmusik begraben wurden. Das war das letzte unrühmliche Kapitel einer von Beginn weg problembeladenen Produktion, die in ihrem Ursprungskonzept zwar einiges hergegeben hätte, ‒ es geht um Kopfgeldjäger und künstliche Intelligenz in einer postapokalyptischen, öden und windgepeitschten Welt ‒ in letzter Minute jedoch familienfreundlicher gestaltet werden musste und damit viel an Härte und Plausibilität einbüsste.
Obwohl inzwischen 22 Jahre ins Land gezogen sind, kommt es nun trotzdem ein wenig überraschend, dass Slipstream plötzlich das Licht der Welt erblickt, hiess es doch noch vor kurzem, die Rechteinhaber seien nicht daran interessiert, die Musik zur Veröffentlichung freizugeben. Sammler, die sich eine solche innigst wünschten und von einem Holy Grail sprachen, gab es schon lange, und auch wenn man darauf nicht immer viel geben sollte, so ist der Enthusiasmus im Zusammenhang mit diesem Score durchaus gerechtfertigt.
Elmer Bernsteins engagierte, thematisch hübsch aufbereitete und vom London Symphony Orchestra wie gewohnt souverän eingespielte Partitur erinnert einen an die besonders bei Jerry Goldsmith oft angewendete Bemerkung, der Komponist habe beim Schreiben einen besseren Film als den tatsächlichen im Kopf gehabt. Die Musik enthält ein gerüttelt Mass an lieb gewonnenen, typischen Bernstein-Markenzeichen, sei es das heroische, rhythmusbetonte und westernhaften Hauptthema, Klavierspiel in verschiedenen Härtegraden und auch ruhigere und verzauberte Passagen.
Mit viel Fantasie kreiert Bernstein eine ungewisse, teils archaische, teils mechanische Welt, in der es aber auch Platz hat für Schönheit, Trost und Hoffnung. Er zeichnet wundervolle Stimmungsbilder wie das von entrückter Romantik und machtvoller Energie beherrschte Travel to Dance, das dramatisch schwergewichtige Sacrifice, das pastoral angehauchte Android Love oder die dank leicht exotischer Glöckchenklänge zum Teil spirituellen Slipstream People, Avatar und Museum Society.
Nebst ein wenig fast putzig anmutender Elektronik taucht ‒ bezeichnend für die damalige Schaffensphase Bernsteins ‒ natürlich auch das Ondes Martenot von Cynthia Millar wieder auf. Obwohl ich mit diesem Instrument oftmals auf Kriegsfuss stehe, da mir dessen Gebrauch nicht in jedem Bernstein-Score allzu sinnvoll erscheint, wird hier seine spezielle Klangfarbe äusserst geschickt und vortrefflich eingesetzt. Sehr wirkungsvoll kommt es etwa im sehnsuchtsvollen Dreams im Dialog mit dem Sopransaxophon oder gemeinsam mit einem Counter Tenor zur Geltung.
Ich weiss nicht, wie komplett der Score in dieser Präsentation ist, aber Perseverance hat gut daran getan, sich auf das vom Komponisten persönlich zusammengestellte Programm zu berufen. Der wusste schon, was er tat, denn die CD hat eine angenehme Länge ohne nennenswerte Durststrecken, und auch optisch kann man sich daran sehr erfreuen. Damit ist dieser Bernstein eine echte Entdeckung und rundum zu empfehlen.
Nachtrag: Wie ich leider erst kurz nach Veröffentlichung dieser Rezension erfahren habe, ist Lukas Kendall offenbar auf rechtliche Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit dieser CD gestossen. Perseverance habe sich zwar die Rechte für die Partitur und das Master Tape aus Bernsteins Nachlass gesichert, nicht aber die Genehmigung des Filmstudios für die Veröffentlichung der Aufnahmen sowie der Produktion eines Soundtrackalbums. Damit wäre Slipstream ein Bootleg, und obwohl Produzent Robin Esterhammer dies bestreitet, hat er die Scheibe bereits zurückgezogen, so wie übrigens die allermeisten übrigen Anbieter auch.
Wer diese CD glücklicherweise frühzeitig erworben hat, ist nun also ‒ je nachdem, wie viele Exemplare schon verkauft wurden ‒ im Besitz einer ziemlichen Rarität, die übrigen Interessenten können nur hoffen, dass es bei einem anderen Label irgendwann zu einer Wiederveröffentlichung kommt. Zu wünschen wäre dies auf jeden Fall.
SLIPSTREAM Elmer Bernstein Perseverance Records 039 49:27 Min. / 11 Tracks Limitiert auf 3000 Stk.
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