
Mit dem Animationsfilm THE WILD ROBOT (2024) gelang Regisseur Chris Sanders ein Überraschungshit. Hier treffen eine einzigartige Geschichte auf eine Mischung aus traditioneller Animationstechnik und einen «althergebrachten» handgemalten, zweidimensionalen Look. Damit unterscheidet sich THE WILD ROBOT visuell von aktuellen Mainstream-Animationsfilmen, doch dieser Bilderbuch-Animation-Mix tat dem Erfolg keinen Abbruch.
Im Film strandet der weibliche Roboter Roz (gesprochen von Lupita Nyong’o) auf einer unbewohnten Insel. Roz ist darauf trainiert, Menschen zu helfen. Doch hier gibt es nur Tiere und diese fürchten sich vor ihr. Erst als Roz das verwaiste Gänseküken Brightbill findet, bekommt ihr Dasein eine neue Bedeutung. Roz wird zur Ziehmutter von Brightbill, wodurch auch ihre Akzeptanz bei den anderen Tieren zu wachsen beginnt. Doch zur Erziehung einer Zwerggans gehört auch deren Vorbereitung auf den bevorstehenden Vogelzug in den Süden, denn Brightbill würde den harten Winter auf der Insel nicht überstehen können. Und so steuert die neu gefundene Aufgabe und die entstehende innige Freundschaft auf einen unausweichlichen, zwischenzeitlichen Abschied zu.
Mit dieser Geschichte und dem Look-and-Feel des Films treffen futuristische, moderne Elemente auf «ursprüngliche» Werte. Mit dem Roboter Roz landet ein futuristischer «Fremdkörper» in einer natürlichen Umgebung. Es wirkt, als treffe WALL·E (2008) auf eine traditionelle Bambi-Welt und Mowgli-Erzählung. Diese Mischung charakterisiert auch die hervorragende Filmmusik von Kris Bowers. Hier vermischen sich grossangelegte, sinfonische Orchesterklänge mit ausgefallenen Perkussions- und Synthi-Ideen, die eine maschinelle Präsenz nachahmen.
Tatsächlich klingt das wie eine Fusion aus John Powells deftiger Orchestermusik für HOW TO TRAIN YOUR DRAGON (2003) und ROBOTS (2005) sowie Thomas Newmans verspielten Perkussionsideen (u.a. für WALL·E). Letzteres rührt sicherlich auch daher, da Kris Bowers für die Aufnahmen nicht nur ein grosses Orchester heranzog, sondern auch das 4-köpfige Ensemble Sandbox Percussion. Dieses steuerte allerlei rhythmische Figuren und Klangfarben mit dem Spiel auf Glasflaschen, Teetassen, Holzbretter, Metallrohre, Sauerstoffflaschen, Fasstrommeln und Kuhglocken bei. All diese Elemente – eine Orchestermusik mit zwei markanten Hauptthemen und diversen Nebenthemen, Synthi-Effekte und Sandbox-Perkussionsspiel – verschmelzen mühelos zu einer überaus originellen, mitreissenden, berührenden Filmmusik.
Die Filmmusik zu THE WILD ROBOT steht vielgepriesenen Arbeiten wie HOW TO TRAIN YOUR DRAGON nur dahingehend geringfügig nach, als dass Bowers mit zahlreichen kurzen Stücken insbesondere zu Beginn des Films auch viele Mickeymousing-Momente nachzeichnen muss. Das ist lustig und niedlich im Filmkontext, aber abseits der Bilder vermisst man bisschen dramatische «Bodenhaftung». Aber das ist Geschmackssache. Spätestens ab dem fulminanten Stück «I Could Use a Boost» holt Bowers mit THE WILD ROBOT zu einem Filmmusikgenuss-Rundumschlag aus. Die Themen erhalten heroische Darbietungen, mit den Stücken «Robots vs. The Wild», «Back Online» und «I Have Everything I Need» zündet Bowers ein 11-minütiges Action-Feuerwerk und Stücke wie «Return», «You Don’t Have to» und «Roz’s Story» gehen ans Herz. THE WILD ROBOT zählt für mich zu den schönsten Filmmusikarbeiten 2024.
Basil | 08.03.2025
THE WILD ROBOT
Kris Bowers
Back Lot Music
75:17 | 41 Tracks