
Die 8-teilige TV-Serie A GENTLEMAN IN MOSCOW (2024) vom Regie-Duo Sam Miller und Sara O’Gorman entführt ins Russland während der bolschewistischen Revolution. Als Vorlage diente der vielbeachtete gleichnamige Roman von Amor Towles aus dem Jahr 2017. Er erzählt die Geschichte des 30-jährigen Grafen Rostov, der in der Serie von Ewan McGregor gespielt wird. Als russischer Aristokrat und manierlicher Lebemann wird Rostov während den Revolutionsjahren unter lebenslangen Hausarrest gestellt, untergebracht im Hotel Metropol – mit Blick auf das Bolschoi-Theater und die Mauern des Kremls. Während sich draussen stürmische Dekaden abspielen, lebt Rostov über Jahre hinweg genügsam in einem kleinen Dachstockzimmer im Hotel und versucht, auch mit guten Kleinsttaten dem chaotischen Dasein einen Sinn zu verleihen. Als eine alte Freundin ihm ihre kleine Tochter anvertraut, ändert sich sein Leben indes von Grund auf.
Für die Filmmusik zeichnet der argentinische Komponist Federico Jusid verantwortlich, wobei ihm eine ideenreiche Musik für Orchester und Chor gelungen ist. Entsprechend der erzählten Geschichte sind in seiner Komposition Anleihen an russische klassische Musik – von der Romantik bis hin zu orthodoxer Kirchenmusik – und an Volksmusik zu hören. Zudem erweitert die Balalaika mit ihren charakteristischen Klangfarben das Ensemble. So wie sich der anständige, meist humorvolle Rostov durch den altehrwürdigen aristokratischen Prunk im Hotel Metropol bewegt, so fällt auch sein Musikporträt überwiegend anständig, elegant, unaufgeregt und stellenweise gar humoristisch und leichtfüssig aus.
Mit den eingeflochtenen Stilismen – von Walzer-Klängen über russische Folklore bis hin zu Anleihen an Mozarts Requiem – glaubt man stellenweise gar einer Filmmusik von Charlie Chaplin zu lauschen, der sich für sein Filmmusikschaffen ebenfalls gerne an populären Werken verschiedenster Genres orientiert hatte. Auch Jusid setzt auf ein schönes, feines Hauptthema für Rostov und flicht gekonnt zahlreiche Ideen ein, die an Source-Musik erinnert, ohne dass diese vom Grundton der Musik und von Rostovs Thema zu weit weg zu liegen kommen; die hier präsentierten 54 Minuten Filmmusik wirken trotz der vielen unterschiedlichen Ideen einheitlich. Das ist beachtlich.
Neben dem Thema für den Grafen Rostov komponierte Jusid auch ein Thema für Sofia, die Tochter der alten Freundin von Rostov, um die sich dieser zu kümmern beginnt. Dieses Musikthema ist oft als Klaviersolo zu hören und wirkt enorm zerbrechlich. Es erinnert in seiner melancholischen Schlichtheit an das Armstrong-Thema in Patrick Doyles Musik zu MURDER ON THE ORIENT EXPRESS (2017). Beide Themen sind eher unscheinbar und bedürfen wohl mehrfachem Hören. Daher wirkt diese Musik anfangs allenfalls eher etwas blass und einige düstere, schwermütige Stücke resultieren in einer bedrückenden Grundstimmung, die indes immer wieder gekonnt von klangschönen Klavierpassagen und verspielteren Stücken aufgehellt wird.
Damit ist die Filmmusik zu A GENTLEMAN IN MOSCOW nicht auf Anhieb ein Show-Stopper wie etwa seine ebenso eindrückliche, etwas mitreissendere Musik zu THE ENGLISH (2022), aber ein Hörerlebnis, auf das man sich gerne mehrmals einlässt.
Basil | 05.03.2025
A GENTLEMAN IN MOSCOW
Federico Jusid
Lakeshore Records
54:36 | 33 Tracks