The Piper

Ein Glück finden Filmemacher immer noch den Weg zu Christopher Young, längst ein Veteran der Filmmusik, wenn es auch meist für Horrorfilme ist. So auch der 40jährige Isländer Erlingur Thoroddsen (CHILD EATER, RIFT), der für THE PIPER (2023) auf die Dienste Youngs zählen konnte. In diesem Gruselstreifen spielen Charlotte Hope und in einer seiner letzten Rollen Julian Sands. Alles dreht sich um ein Stück Musik für Flöte und Orchester, das unheimliche Auswirkungen und die Erweckung des Bösen zur Folge hat, wie beim Rattenfänger von Hameln versucht ein Dämon durch verführerisches Flötenspiel Kinder anzulocken.

Somit sind wir bei der Ausgangslage für Young, der also nicht «nur» einen Score, sondern auch die Musik zu schreiben hatte, die Obiges vollführen konnte – und Young wäre nicht Young, würde er sich in diesem Gefilde nicht wohl führen.

Aufgenommen wurde THE PIPER in Sofia, Bulgarien, mit vollem Orchester und Chor, Männerstimmen, aber hauptsächlich Kinderstimmen. In erster Linie schrieb Young ein 30minütiges «Concerto for Flute, Children’s Choir and Orchestra» das in drei Teilen («Movement I, II, II») zu hören ist. In «Movement I» ist das kokette vereinnahmende Hauptthema zu hören, das anfänglich einen Lied- und Tanzcharakter bereithält, doch bald weist Young u.a. mit flüsternden Stimmen, hin- und herwogenden orchestralen Strukturen, Tutti, monotonem Chorgesang auf die schauerliche Natur von Film und Score hin, ehe das Thema wieder die Führung übernimmt.

In «Movement II» wird das Flötenspiel noch verführerischer, ehe Hörner und Posaunen übernehmen. So dann nimmt die Dramatik zu und Young steigert nach und nach Intensität und Lautstärke bis hin zum finalen Crescendo für Blech, Streicher, Chor und der omnipräsenten Flöte, wieder in diversen Spielarten zu hören. Und nochmals gelingt Young eine Steigerung der Dramatik, zu Beginn von «Movement III» mit dissonanten Streichern und nun vermehrt Schlagwerk, tosenden Blecheinwürfe. Ein präsenter Rhythmus setzt immer wieder ein, nur unterbrochen von temporeichen, dämonischen Flöten/Streicher Tänzen, in die nun nach und nach auch der Chor miteinsteigt, bis hin zur vollständigen Chorversion des Themas.

Eine 21minütige «Suite», die unter «The Score» läuft, bildet den Abschluss der CD. Der Track beginnt mit einem tiefen Basssynthesizer, waberndem Männerchor, Celesta. Die Flöte setzt ein und variiert Youngs Piper Theme nun nach und nach vom Chor kontrapunktiert, ehe die Kinderstimmen das Thema übernehmen und in ein klares Flötenstatement leiten.

Das zweite Viertel des Scoreteils erklingt dissonant mit elektronischen Klangeffekten, Flötenspiel und Klaviersprenkeln. Dann übernehmen Blechbläser und Streicher einen langsamen Marsch, steigernd und mit schneidenden Xylophon- und Holzbläser-Einwürfen versehen. Düster und bleischwer geht es in ein temporeicheres Crescendo, ehe die Dissonanz ab der zweiten Hälfte des Stücks kurz übernimmt.

Jetzt ist das Hauptthema von Soloflöte/Blockflöte zu hören, bedächtig fügt Young weitere Flöten bei. Doch diese kurze Zeit der Ruhe ist schnell vorüber und die wie zu Beginn des Tracks zu hörenden tiefen Basseffekte, Klavier, elektronisch veränderter Flötenklang und experimentelle Elektronikspielereien übernehmen wieder das Ruder. Bald erklingen auch wieder zaghaft monotone Kinderstimmen. Donnernde Attacken und Flötenklänge leiten in das Abschlussviertel des Tracks. Die im «Movement III» zu hörenden Wörter des Chors ertönen, ehe die Soloflöte über zunächst leisen Streichern das Thema intoniert, nun von wohlklingenden Harmonien für Blech, Holz und den Streichern umgeben, wortloser Kinderchor führt das Orchester schliesslich zum Höhepunkt – und doch endet der Score auf einer fragil offenen «Note».

Die Intrada CD hält 51 grossartige Minuten Musik bereit, mit das Feinste, was das Jahr 2024 bisher zu bieten hatte; Freunde orchestraler Horrormusik werden sicher begeistert sein, ich jedenfalls bin es. Natürlich und zum Glück hebt sich die Musik auch vom Gros moderner Genremusiken im Mystery- und Gruselbereich ab.

Beigelegt wurde ein 24 Seiten starkes, interessant geschriebenes Booklet mit Notes von Jeff Bond. Hier ist unter anderem die Aussage Youngs zu lesen, dass John Coriglianos «Pied Piper Fantasy» (1982) für ihn stets wie ein Elefant im Raum stand und er nicht wusste, wie er dies toppen könnte. Ein wegweisender Teil für Young war, dass er den Kinderchor früh in Spiel bringen wollen würde. Zusätzlich brachte er den Soloflötisten dazu, auf verschiedenste Arten und Weisen sein Instrument zu spielen. THE PIPER (auch als CURSE OF THE PIPER- MELODIE DES TODES betitelt) lief lediglich in wenigen europäischen Kinos und sammelte so knapp eine halbe Million $ an. Zu lesen war, ich habe den Film allerdings nicht gesehen, dass die Musik um Längen besser gewesen sein soll als der Film. Auf Prime und AppleTV+ kann der Film gestreamed werden, allerdings nicht kostenlos.

Phil  |  27.09.2024

THE PIPER
Christopher Young
Intrada
51:13 | 4 Tracks