von Phil Blumenthal
Ein Filmmusiker, der stets im Schatten der grossen Hollywood-Komponisten blieb und auch bei uns Sammlern und den Labels eher stiefmütterlich behandelt wird und wurde, ist John Morris. Bekannt für seine Arbeiten für Mel Brooks, tauchte Morris nie in die grosse Welt der Boxoffice-Knüller ein.
Biographisches
John Morris wurde 1926 in New Jersey geboren und wuchs in New York auf. Mit 3 Jahren entdeckte er bei einem Besuch ein Klavier und kam sodann nie mehr davon los, auch nicht nachdem die Familie nach Kansas zog. Ende der 1940er Jahre kehrte Morris zurück nach New York, studierte an der renommierten Juilliard School of Music und Klavier bei verschiedenen Lehrern, spielte das Instrument in Orchestern und begann, Morris sagt von sich, er habe nicht wirklich die Geduld für das Üben gehabt, bald mit dem Komponieren von Musik für Broadway und Theater. 1966 schrieb er das zweite Titelthema für die beliebte TV-Kochsendung THE FRENCH CHEF mit der unvergleichlichen Julia Child.
Mit Brooks
Mit Mel Brooks ist Morris seit seinen Arbeiten 1957 und 1962 an den Musicals «Shinbone Alley» und «All-American» auf künstlerischem Wege zusammen gewesen. Das führte schliesslich zu seinem Engagement als Arrangeur des Stücks «Springtime for Hitler» und schliesslich zum Score für THE PRODUCERS (1967), Mel Brooks Erstling im Filmbusiness und eine über 40 Jahre währende Zusammenarbeit mit Brooks (davon 11 Filme als Regisseur) begann. Es entstand eine Komponisten-Regisseur-Kollaboration abseits der populären Duos (Spielberg/Williams, Edwards/Mancini etc.) – Mel Brooks war ein Schlagzeuger, der bei niemand Geringerem als Buddy Rich die Drums gelernt hatte und über Musikverständnis verfügte. Die Zusammenarbeit mit Brooks beschrieb Morris als sehr freundschaftlich, jedoch nicht immer einfach, insbesondere weil Mel Brooks jeweils spät abends bei ihm auftauchte, um Musikschnipsel oder Themen zu hören oder über den Film zu sprechen, während er, Morris, doch ein Morgenmensch gewesen sei. Brooks sei aber immer sehr klug mit Musik umgegangen, sei bei den Aufnahmen oft perfektionistisch gewesen und habe Kommentare und Inputs gegeben. So sei Brooks an den Recording Sessions immer dabei gewesen im Gegensatz zu anderen Filmemachern (wie etwa Arthur Hiller, der Morris bei THE IN-LAWS komplett freie Hand von A – Z liess).
Nach THE PRODUCERS (1967) und einem «düsteren, russisch klingenden Score» zu THE TWELVE CHAIRS (1970) landete die Brooks/Morris Kollaboration mit BLAZING SADDLES (1974, 2008 erschien erstmals eine Veröffentlichung bei La-La Land Records) einen Hit, der in den USA zum Blockbuster wurde und John Morris (gemeinsam mit Mel Brooks) eine Oscar-Nomination für den Song «Blazing Saddles» einbrachte. Im selben Jahr entstand YOUNG FRANKENSTEIN (1974), der hinter BLAZING SADDLES gar Platz 3 in den US-Kinos jenes Jahres erklimmen konnte und für viele Fans – und insbesondere nach Mel Brooks Meinung – als einer der besten Scores von John Morris überhaupt gilt. Leider ist YOUNG RANKENSTEIN nach wie vor nicht über eine kurze ABC-LP und ein paar Schnipsel auf HIGH ANXIETY hinausgekommen. Am auffälligsten dürfte das Hauptthema sein, eine Art Wiegenlied. Brooks sagte zu Morris, er soll dafür das schönste osteuropäische «lullaby» schreiben, das möglich sei.
SILENT MOVIE (1976) beschreibt Morris als eine der schwierigsten Produktionen, an denen er je gearbeitet habe, mit einer Unmenge an Musik, die er, so Morris, ohne Orchestrator nicht hätte stemmen können – eine Tätigkeit die Morris oftmals selbst ausführte. Interessanterweise eröffnet Morris den Film mit einem Marsch und er versuchte das Stummfilm-Klischee Klavier möglichst zu umgehen. Nach dem Hitchcock-Spoof HIGH ANXIETY (1977), bei dem Morris interessanterweise auf Herrmann-Einflüsse, ausser einem Theremin à la SPELLBOUND, verzichten wollte, stand in Sachen Mel Brooks THE ELEPHANT MAN (1980) an, der von David Lynch inszeniert und Brooks produziert wurde und den Morris als einer seinen persönlichen Favoriten beschreibt, trotz der vermaledeiten Einbindung von Samuel Barbers «Adagio for Strings», vor der Morris Lynch warnte und in einem Interview sagte, dass die Musik einfach zu schön sei. Heute würden sie alle nur noch als «das Stück aus PLATOON» in Erinnerung haben. Für THE ELEPHANT MAN, an dessen Hauptthema der Komponist sich fast die Zähne ausgebissen habe, erhielt Morris eine weitere Oscar-Nomination, dieses Mal für die beste Filmmusik – der Film ergatterte insgesamt acht Nominationen, unterlag aber in sämtlichen Kategorien.
Nach THE HISTORY OF THE WORLD: PART I (1981, LP bei Warner Bros. mit knapp 35 Minuten) inszenierte Brooks 1987 eine weitere Parodie auf ein beliebtes Filmgenre, Science Fiction: SPACEBALLS, unvergessen mit Lord Helmchen, Pizza Hut und Yogurth. Wie öfters bei Brooks ging Morris musikalisch voll auf die Gags ein und schrieb einen Score, der im Gegensatz zur viel erfolgreichen Elmer Bernstein Maxime «playing it straight!» stand. Ob es der richtige oder der falsche Weg war, möge jeder selbst entscheiden, sicher ist, dass die La-La Land-Scheibe (19th Anniversary Edition…) von 2006 eine verworrene Hörangelegenheit ist mit den vielen kurzen Tracks (45 Stücke teilen sich 69 Minuten) und dem argen Mickey Mousing, das Morris anwendete. Immerhin hat SPACEBALLS Kultstatus erreicht und brachte den Komponisten auch jüngeren Kinogängern und Filmmusikfans näher.
Zum letzten Mal arbeiteten John Morris und Mel Brooks bei dessen Flop LIFE STINKS (1991) zusammen, ein Album erschien dazu keines. Es gibt zwei Versionen weshalb Morris zu den Mel Brooks Satiren ROBIN HOOD: MEN IN TIGHTS (1993) und DRACULA: DEAD AND LOVING IT (1995) die Musik nicht komponierte: Brooks liess verlauten, er fordere viel von seinem Komponisten und binde diesen früh ein, Morris sei anderweitig beschäftigt und nicht verfügbar gewesen. In Interviews liess Morris manchmal durchblitzen, dass er den Anspruch Brooks nicht mehr habe erfüllen können und sich die beiden inzwischen doch entfremdet hätten. Die Scores zu MEN IN TIGHTS und DRACULA: DEAD AND LOVING IT schrieb schliesslich Hummie Mann.
(Fast) ohne Brooks
Nebst Mel Brooks, arbeitete Morris auch an diversen Filmen für dessen Mitarbeiter und Freunde wie Schauspieler, Autor und Regisseur Gene Wilder: Unter anderen bei THE WORLD’S GREATEST LOVER (1977), HAUNTED HONEYMOON (1986, erschienen bei La-La Land Records) und THE WOMAN IN RED (1984, der vor allem wegen des mit dem Oscar ausgezeichneten Steve Wonder-Songs «I Just Called to Say I Love You» berühmt wurde). Für Marty Feldman schrieb er die Scores zu zwei Filmen, THE LAST REMAKE OF BEAU GESTE, 1977 und IN GOD WE TRU$T, 1980. Morris beschrieb die Zusammenarbeit mit Wilder und Feldmann als äusserst angenehm und förderlich.
Ein bisschen mehr von Morris veröffentlichten Specialty Labels wie La-La Land oder Quartet, so zum Beispiel CLUE (1985), THE IN-LAWS (1979) oder YELLOWBEARD (1983), den Andi rezensierte. Ein Titelthema schrieb Morris für die langlebige Sitcom COACH (1989 – 1997) mit Craig T. Nelson. Für das Teenie-Special THE TAP DANCE KID gewann Morris 1979 einen Emmy. Etwas was sicher so manchem nicht bewusst war: Für DIRTY DANCING (1987) schrieb John Morris tatsächlich den Score, aber wer denkt bei dem Film an die Filmmusik? Immerhin klingelte die Tantiemen-Kasse viele Jahre.
In der letzten Phase seiner Tätigkeit als Filmkomponist war Morris fast ausnahmslos im Fernsehen anzutreffen. 1994 komponierte er die Musik für die Fortsetzung von GONE WITH THE WIND (1939), SCARLETT, die als vierteilige Miniseries mit Timothy Dalton und Joanne Whalley produziert wurde. Auf das weltberühmte Hauptthema von Max Steiner verzichtete Morris allerdings bewusst und schrieb stattdessen einen Walzer. Für den Komponisten war das Fernsehen aber kein Rückschritt, so sagte er, alle drei Gebiete (Kino, Theater, TV) seien für ihn gleichermassen wichtig. Beachtenswert ist auch sein Score zur vierteiligen Mini Series THE SCARLET LETTER (1979) mit Meg Foster, John Heard und Kevin Conway. Eine 37-Minuten-Auskopplung erschien 2019 bei Dragon’s Domain (zusammen mit THE ELECTRIC GRANDMOTHER, 1982).
John Morris war zeitlebens mit Francesca Bosetti verheiratet, mit der er zwei Kinder hatte. Am 25. Januar 2018 verstarb der Komponist zuhause in Red Hook, New York.
15.09.2024