John Ottman war zwar als Editor, also für den Schnitt, bei Filmen wie THE USUALS SUPSECTS (1995) oder auch SUPERMAN RETURNS (2006, den er ebenfalls musikalisch betreute) tätig, hat aber deutlich mehr Projekte als Komponist hingelegt. INCOGNITO (1997, hier geht’s zur Rezi von Steve aus dem Jahr 1998) von John Badham ist ein Beispiel, bei dem er nicht zur Schere, sondern zum Notenpapier griff und für Badhams romantischen Thriller einen in vielen Momenten überraschend starken, vollorchestralen Score schrieb. Es war eine Phase in der Ottmans Aufstieg nach dem oben benannten Quentin Tarantino Film, dem Horrorstreifen SNOW WHITE: A TALE OF TERROR (1997) und der nervig überdrehten Jim Carrey Posse CABLE GUY (1995) begann. Heute ist es um Ottman leider ruhiger geworden, seine letzte filmmusikalische Phase stammt aus 2016 mit THE NICE GUYS und X-MEN: APOCALYPSE – er ist wie viele andere Komponisten ein Opfer der Streamingwelle geworden, die viele unbekannte Filmmusiker kurz emporschleudert und gleich wieder verschlingt. Hauptsache es kostet nichts.
Die «eher klassisch filmmusikalische», romantisch gehaltene und vollorchestrale Komposition zu INCOGNITO überzeugt mit gut gemachten Spannungscues, schönen Streicher- und Holzbläsereinsätzen, Gitarrenklänge («Peasent’s Return/Final Kiss» und «End Credits» zum Beispiel) und einem Hauch Christopher Young im Startstück «Opening Titles/Harry’s Arrest». Es ist dies einer von John Ottmans persönlichen Favoriten, der 1998 eine Veröffentlichung bei RCA Victor mit einer Lauflänge von knapp 50 Minuten erfuhr, allerdings mit harschen Eingriffen am Equalizer, um die Fehler einer defekten Dolbykarte zu minimieren, wie dem knappen Booklet zu entnehmen ist. Die Dragon Domain CD präsentiert 57einhalb Minuten Musik und klingt nach den Wünschen des Komponisten crisp und vollumfänglich ohne Einschnitte an der Klangqualität. Der Film kam nie in die Kinos, umso überraschender die Tatsache, dass sich damals überhaupt ein Label dessen annahm und umso gelungener nun diese leicht erweiterte, rundum gelungene Veröffentlichung.
Auf CD Zwo finden wir die Scores zu LONELY PLACE (2004) und MY BROTHER’S KEEPER (oder BROTHER’S KEEPER, 2002). Ersterer ist ein Kurzfilm, letzterer ist ein TV-Film von John Badham mit Jeanne Tripplehorn.
Für LONELY PLACE schrieb einen 30minütigen Score für ein kleines Ensemble, hauptsächlich aus Streichern, Holz- und Blechbläsern plus Synthesizern bestehend. Ottman schrieb ein ergreifendes Hauptthema in («Main Theme») mit leichtem Americanatouch versehen. Der Rest der Musik zielt eher etwas auf die mysteriöse Spannungsebene («Dessert/Arguments», «Get»), bis zum abschliessenden «The Truth/Reprise».
Für Badhams Fernsehfilm BROTHER’S KEEPER waren Zeit und Budget äusserst knapp und so blieb es bei einem Score mit orchestralen Samples (die anno 2002 auch eher mau klangen) bei knapp zweieinhalb Wochen Zeit für Ottman die Musik abzuliefern. Samples aus dieser Zeit klingen entsprechend obschon Ottman Klavier und zusätzliche Effekte aus den Synthies und perkussive Samples verwendet, um von den MIDI-Streichern etwas abzulenken. Das gelingt Ottman hier manchmal besser, manchmal weniger gut («Sibling Bonds»).
Wie kurz erwähnt, enthält die Doppel-CD ein Falt-Booklet mit 4 Seiten Liner Notes vom Komponisten selbst, wobei zwei Seiten INCOGNITO gewidmet sind. Und so sind wir gespannt, was das Label in Sachen Volume 2 aus dem Hut zaubern wird.
Zur Bewertung: Für INCOGNITO gibt es eine 4, für CD 2 eine 3…
Phil | 25.06.2024
THE JOHN OTTMAN COLLECTION Vol. 1
John Ottman
Dragon Domain
CD 1: 57:34 | 18 Tracks
CD 2: 63:20 | 14 Tracks