THE FLASH
Benjamin Wallfisch | Watertower
DC hat es nicht leicht. Nach dem durch und durch völlig misslungenen SHAZAM Sequel FURY OF THE GODS (2023) war auch THE FLASH (2023) nicht sonderlich erfolgreich, obwohl eigentlich ganz unterhaltsam gemacht und mit alten Bekannten in altbekannten Kostümen. So oder so, eine gewisse Superheldenmüdigkeit macht sich breit und man fragt sich einmal mehr: Wie lange das Genre wohl noch Bestand hat?
Benjamin Wallfisch hat die Musik beigesteuert und lieferte einen im Film durchaus sympathischen Score, der schliesslich bei Watertower als Doppelalbum erschienen ist, allerdings ist die Fassung mit 2 CDs und über 2 Stunden Musik des Guten zu viel. Andererseits, wären es nur 40 Minuten, würden wir auch wieder unken. Immerhin gibt es die Musik auf Tonträger, was bei Marvel ja längst nicht mehr selbstverständlich ist. So klagen wir halt auf relativ hohem Niveau. Allerdings: Am spannendsten ist der Score dann, wenn er an Elfmans BATMAN (1989) erinnert («I am Batman»), das ist von Wallfisch wirklich toll gemacht, plus wenn die manchmal pausenlos hämmernde Perkussion, bekanntes Phänomen fast aller Superheldenscores heutzutage, etwas zur Ruhe kommt (immerhin musizieren hier die Londoner Musiker plus Chor). Wallfisch könnte definitiv auch ohne das Schlagwerk auskommen, das haben andere Filmmusiken aus seiner Feder gezeigt.
| Phil
THE KILLER
Trent Reznor & Atticus Ross | Amazon
Ehrlich gesagt war ich zuerst dazu geneigt, einen Verriss zum vorliegenden Score zu schreiben. Aber je öfter man die surrealen Klänge hört, umso eher kann man der Vertonung etwas abgewinnen. Es handelt sich um eine musikalische Psychografie, welche die Gleichgültigkeit und Zwänge des entwurzelten Killers abbilden. Mit vielen Cues assoziiert man beim Hören körperliche Vorgänge: Herzklopfen, Atmen oder Blutflussgeräusche. Die Musik ist den Abgründen des Killers immer auf den Fersen.
Das Highlight des Albums ist «The Expert»: Eine atonale, ja bizarre Mischung aus fremdartigem Bassteppich und den eben skizzierten organischen Vorgängen. Mit diesem Cue darf man gerne anfangen. Er lief bei mir tagelang in Schleife und hat Freude bereitet.
Letztlich entscheidet die individuelle Musikneurose, ob man einen Zugang zum Scoring findet. So hat sich meine Sicht von «nerviges Sounddesign» bis hin zu «wirklich faszinierend» gedreht. Wer Klangexperimente wie Gil Mellés ANDROMEDA STRAIN oder Michael Kamens EVENT HORIZON mag, sollte ein Ohr riskieren. Für alle anderen gilt: Hören auf eigene Gefahr. Ein kleiner Geheimtipp zum Jahreswechsel!
| Oliver
SOCIETY OF THE SNOW
Michael Giacchino | Quartet Records
Eindrucksvoll, packend und tief emotional ist SOCIETY OF THE SNOW (2023), die Verfilmung von Überlebenden des Absturzes eines Flugzeugs anfangs der 70er Jahre in den Anden auf dem Weg von Uruguay nach Chile. Bekannt wurde der Unfall da 17 Menschen drei Monate lang am Leben blieben und dies nur, da sie das Fleisch der Verstorbenen essen mussten. Gleiches Thema: ALIVE von Frank Marshall 1993 mit toller Musik von James Newton Howard.
Für die bestechende, empfehlenswerte spanische Produktion nun konnte Michael Giacchino gewonnen werden und sein Zugang ist ein anderer als bei JNH. Die Musik beginnt kantig, eckig, unbequem. Eine tonale Ebene zu finden (zerbrechliches Klaviermotiv in «Leaving Home», das später von der Gitarre gespielt gar etwas ALIVE versprüht, ein zweites Motiv, leise von den Violinen gespielt taucht in «Barren» auf) ist zunächst nicht einfach, diese öffnet sich im Verlaufe («Susy Pases» mit Streichern, Harfe, Chor) mehr und mehr und findet zu einem emotionalen Abschluss in «Found» und «Home». Der Zugang zur Musik geschieht sicher einfacher und nachvollziehbarer nachdem man den Film gesehen hat: Themen wie eisige Kälte, Hoffnungslosigkeit, Hunger, Tod zeigen sich musikalisch erfassbarer, man verbindet Klänge und Stücke mit Szenen; Giacchino hat einen rücksichtsvollen, klugen und nicht effekthascherischen Score geschrieben.
| Phil
TOPAZ
Maurice Jarre | La-La Land Records
Weder für Alfred Hitchcock noch für Maurice Jarre gehört TOPAZ zu den erinnerungswürdigsten Arbeiten. Aber zumindest fiel Jarres Musik bei Hitch nicht in Ungnade, was während der Spätphase des Altmeisters keine Selbstverständlichkeit war. Für die Leon-Uris-Verfilmung um einen sowjetischen Spionage-Ring, der während der Kubakrise die französische Regierung infiltriert, bedient Jarre in erster Linie die zwei Bereiche, die Hitchcock stets am meisten am Herzen lagen: Spannung und Romantik.
TOPAZ wird während des Vorspanns von einem wuchtigen, russischen Marsch begleitet, der fast wie ein Fremdkörper innerhalb des ansonsten eher zurückhaltenden Scores wirkt. Nebst einem konventionellen Orchester kommen bunte Perkussion, Gitarren, Akkordeon, Mundharmonika, Zither und frühe Elektronik wie Ondes Martenot und Moog-Synthesizer zum Einsatz. Während Jarres Musik im Film, da teilweise dem endgültigen Schnitt zum Opfer gefallen und leise abgemischt, eher unscheinbar wirkt, macht sie auf Tonträger dank reizvoller Instrumentierung, gut integrierter Themen (Topaz-Thema, russisches Thema und ein geschmackvolles Liebesthema), kompetentem Spannungsaufbau sowie der heiteren und tänzerischen Klänge (und ein wenig Action), wenn die Szenerie im zweiten Teil nach Kuba wechselt, eine recht gute Falle.
Nachdem Universal Music France 2012 erstmals eine gute dreiviertel Stunde von TOPAZ veröffentlichte, folgt nun mit La La-Lands kompletter Fassung plus Bonustracks sowie sehr ausführlicher Liner Notes von Jeff Bond eine hochwertige, limitierte Edition, die diesen soliden Jarre ins bestmögliche Licht rückt.
| Andi
BOÎTE NOIRE
Philippe Rombi | Music Box Records
Rombi kann Thriller. Normalerweise. BOÎTE NOIRE ist allerdings abseits des Films nicht gerade der einfachste Score. Den Film über einen mysteriösen Absturz eines Fluges von Dubaï nach Paris untermalte Rombi mit elektronischen Klängen (ein kurzes 2-Noten- und ein 4-Noten-Motiv sind zum Beispiel in «Manipulation/Les documents secrets» erkennbar) und akustischen Elementen (vor allen Dingen Streicher, aber auch effektvolle Instrumenten wie die Glasharmonika oder das Cristal Baschet, dessen Glasstäbe mit feuchten Fingern angespielt werden) sind zu hören. Die Hauptperson des Films ist ein Akustiker, der versucht herauszufinden, was zum Absturz geführt hat, Rombi scort in und um diese Welt des exakten Hinhörens. Zumindest eine musikalische Auflösung gibt es im abschliessenden und eindeutig besten Track «Scène final et Générique de fin». Mit dem Film dürfte die Musik zweifellos in einem anderen Licht erscheinen, als CD aber ist BOÎTE NOIRE ganz schön herausfordernd – auch für Fans des französischen Komponisten.
| Phil
PLEASANTVILLE
Randy Newman | Varèse Sarabande Club
1998 war eine durchaus erfolgreiche Phase für Randy Newman: A BUG’S LIFE (1998), TOY STORY 2 (1999), MEET THE PARENTS (2000) waren Hits. PLEASANTVILLE (1998) von Gary Ross allerdings floppte. Die Geschichte eines Geschwisterpaars, das sich plötzlich in der vom Bruder geliebten 50er Jahre Sitcom in jener Welt, schwarzweiss notabene, wiederfindet, vertonte Newman mit einem sympathischen kleinen Score (Americana in «School and Basketball» oder «Bud’s a Hero»), dessen «Pleasantville Theme» passenderweise für die 1950er TV-Serie geschrieben wurde. Sonst mischt Newman auch gerne Swingjazz mit komödiantischen Elementen («We’re Stuck (The Breakfast Scene)» zum Beispiel für Klarinette und Klavier). Ein weiteres wichtiges Motiv ertönt in «Real Rain», reizend und verzaubernd. Was mir persönlich an PLEASANTVILLE fehlt ist ein roter Faden, an dem man sich orientieren kann. So springt Newman in seinem für einen Oscar nominierten Score doch gerne von einer Gefühlsebene unversehens in eine völlig andere. Nebst mehr Musik (inklusive «additional music» 66 Minuten) gibt es ein Booklet mit Liner Notes von Tim Grieving.
Eine Rezi zur CD (mit typischer Varèse Länge von 31 Minuten) von 1998 ist hier zu lesen.
| Phil
LA CONTADORA DE PELÍCULAS
Fernando Velázquez | Quartet Records
Nach wie vor ein sicherer Wert aus Spanien bleibt Fernando Velázquez. Für den Film der Dänin Lone Scherfig, LA CONTADORA DE PELÍCULAS, über eine Familie eines Minenorts in Chile, die jeden Sonntag gemeinsam ins Kino geht, um dem Alltag zu entfliehen, hat Velázquez einen bezaubernden, thematischen Score für Orchester und Gitarre geschrieben. Vorwiegend sind es die Streicher und Harfe, die vom Orchester erklingen und ihren reichen Klang über die Komposition legen, da und dort unterstützt durch Soli der Holzbläser, aber auch Mandolinen sind zu vernehmen. Die fast omnipräsente Gitarre gibt PELÍCULAS Halt, das Hauptthema zeigt sich melancholisch. Der Score ist warm und freundlich, unkompliziert, wirklich hübsch gemacht und eine erfreuliche Erscheinung in einem nicht allzu starken Filmmusikjahr 2023. Erstaunlich, dass der 1976 geborene Velázquez sein Niveau nach wie vor halten kann und immer wieder zu überraschen versteht. Einer der wenigen Komponisten, bei dem man sich auf eine kommende Musik stets freuen darf.
| Phil
KANDAHAR
David Buckley | Lakeshore
Buckleys Vertonung besteht aus nur zwei Negativ-Highlights: Zum einen Klavierakkorde, die uninspiriert im Hall absaufen, wie zum Beispiel in «Confessional Bonding». Und zum Anderen ethnischer Partikelgesang, welcher zwar das Lokalkolorit abbildet, ohne dabei allerdings den Hörer stimmungsmäßig mitzunehmen. Positive Aspekte dürfen im Hörverlauf nicht erwartet werden. Öder Klangbrei! Insgesamt mal wieder eine misslungene Vertonung von Buckley, zu einem wortkargen und langatmigen Spielfilm. Gott sei Dank hat das Album nur knappe 33 Minuten Spielzeit. Da der Komponist seine schranzige E-Gitarre im Koffer gelassen hat, gibts ‘nen halben Punkt obendrauf.
| Oliver
CUTTHROAT ISLAND
John Debney | Quartet Records
Erneute Auflage von John Debneys Fanfavoriten, CUTTHROAT ISLAND, eine der Musiken, die unter Beweis stellen, dass Scores bei schlechten Filmen oft das Beste am Ganzen darstellen. Debney war 1995 weitestgehend ein noch unbeschriebenes Blatt und platzte mit seinem währschaften, sinfonischen Werk und nach Arbeiten wie HOCUS POCUS (1993) und SUDDEN DEATH (1995) urplötzlich in die Gruppe der Aspiranten für bessere Aufträge. Während Renny Harlins und Geena Davis’ (die hier einen argen Anflug von Selbstüberschätzung erlitt) Piratenfilm an den Kinokassen absoff und Carolco, das damals bereits Auflösungserscheinungen durchlief, endgültig den Garaus machte, strahlt Debneys vom London Symphony Orchestra und den London Voices dargebotene, fesche und von einem brillanten Hauptthema angetriebene Musik noch heute wie ein Leuchtturm. Auf zwei CDs verteilt, erklingen die zwei Stunden nach wie vor mitreissend, frisch wie eh und je und besser als jede Arbeit zu den PIRATES OF THE CARIBBEAN Filmen (sorry Fans). Wer bisher die Langversion von CUTTHROAT ISLAND ausgelassen hat, kann jetzt also erneut zuschlagen – die Alben von Prometheus und La-La Land Records sind lange ausverkauft. Kurzeweilig sind auch die Liner Notes von Jeff Bond im 16-Seiten Booklet.
| Phil
PLANE
Marco Beltrami, Marcus Trumpp | Rambling
Eher unter dem allgemeinen Kinogänger-Radar blieb dieser Actioner mit Gerard Butler von ASSAULT ON PRECINT 13 (2005) Regisseur Jean-François Richet – gelungenes Nachleben bei den Streamingdiensten dürfte aber wohl garantiert sein. Die Musik steuerten Beltrami und Trumpp bei. Diese ist hauptsächlich elektronisch gehalten mit analog anmutenden Synthieklängen, explosiv tiefen Bassbeats, Schlagzeug und Streicherteppichen sowie da und dort ethnisch klingender Perkussion. Actiontracks wie «Bumpy Take-Off» führen uns das vor Ohren, womit wir, sagen wir diee etwas gesetzteren Hörer unter uns, eher etwas Mühe haben: Techno-Rhythmen über fieberhaft arbeitenden Streichern. Im Abspann wird ein Dirigent, Johannes Vogel, aufgeführt, somit könnten Teile der Streicher und des Blechs in wenigen Tracks wohl tatsächlich von Musikern dargeboten worden sein. Erst gegen Ende der CD kommt die Musik zu etwas Ruhe mit «Goodbye Plane» und «Better Layover». Die in Japan gepresste CD enthält zwar ein kleines Booklet, da ich aber des Japanischen nicht mächtig bin, bleibt es beim rein visuellen begutachten. Alles in allem ein nicht gerade einfach anzuhörender Genrescore, der gleichzeitig auch kaum mehrere Runden im Player drehen dürfte.
| Phil
07.02.2024