Séance on a Wet Afternoon

Dicke Überraschung von Quartet Records: Eine Neueinspielung von fünf wenig bekannten Scores und nicht mehr auffindbaren oder nicht zugängigen Aufnahmen von John Barry unter der Leitung von Fernando Vélazquez mit dem Orquesta de Cordoba. Titelgebend für diese Doppel-CD ist der Film von Bryan Forbes, SÉANCE ON A WET AFTERNOON (1964), für den Barry gesamthaft sechs Filme vertone: Den. Der 27 Minuten dauernde Score beginnt in «Main Title», dieser könnte fast einem Suspensemoment für einen James Bond-Film entstammen, mit Bass, Marimba, Altflöten und mit scharfen Xylophonschlägen versetzt. «Myra Remembers» bildet ein weiteres Thema, hier taucht auch die Celesta auf. «Kidnapped» ist ein eineinhalbminütiger, temporeicher Track für Timpani, Xylophone, Blech, Piccolos, gefolgt vom ruhigeren «The Ransom Letter», der das Titelthema variiert. «The Drop» Part 1, Part 2 und Part 3 sorgen wiederum für Spannung mit Bass, Harfe, Blecheinsätzen, Marimba (später gedoppelt mit Xylophon), Querflöten, später Piccolos sowie Klavier und Timpani. Abgeschlossen wird die Partitur von «Finale», zunächst auf einer pessimistischen Note endend und dann von einer Melodie der Celesta übernommen. SÉANCE ON A WET AFTERNOON ist unverwechselbar John Barry und zumindest teilweise, es wurde angetönt, mit den 007-Musiken jener Phase vergleichbar.

In A DOLL’S HOUSE (1973), nach Henrik Ibsen, spielen Claire Bloom, Anthony Hopkins und Denholm Elliot. Barry schrieb einen knapp vierminütigen Score für Kleinbesetzung mit Mandoline, Cembalo, Celesta, Harfe, Klavier und Vibraphon. «Main Title» öffnet mit einer kleinen, verspielten Melodie für Cembalo, Celesta, Mandoline und Vibraphon, die auch den Track «End Title» bildet. Ganz anders klingt dann die kurze, schwungvolle «Tarantella», zu der im Film getanzt wird, geschrieben für eine kleine Streicherbesetzung.

Die restlichen drei Scores sind für Filme mit Katherine Hepburn: LOVE AMONG RUINS (1975), THE CORN IS GREEN (1979) und THE GLASS MENAGERIE (1973):

LOVE AMONG RUINS ist ein TV-Film von George Cukor mit Hepburn und Laurence Olivier. Barry schrieb 23 Minuten Musik für Cembalo, Celesta, Klavier und Streicher, sogleich in «Main Title» zu hören, während sich im 3:10 minütigen, warmherzig verspielten «There She Is» eine Querflöte dazu gesellt. Das Cembalo zeigt sich fast den gesamten Score hindurch, desöfteren die Hauptmelodie aus dem Titel spielend und nur selten durch die Flöte ersetzt. In «First Time I Saw You» etabliert Barry ein kurzes Motiv für Solo-Querflöte, doch hauptsächlich bemüht Barry das ein und selbe Thema. Dieses Titelmotiv wird danach innig von den Streichern in «Freedom’s Prisoner» gepielt, später übernehmen Violine, Bratsche, Cello und Klavier in «Sauerbraten with Egg and Milk» das Titelthema im mit 5:31 Minuten längsten Track.

THE CORN IS GREEN (1979), ebenfalls eine Produktion fürs Fernsehen, markiert die zehnte Zusammenarbeit zwischen Hepburn und Regisseur Cukor. Hepburn spielt hier, nicht unpassend, eine willensstarke Lehrerin in Wales, die einen ihrer Schüler, in dem sie viel Potential sieht, speziell fördert. Barry schrieb in seinem 25 Minuten Score zwei Themen für Cembalo, Flöte und Streicher. Das erste, recht Ausführliche ist in «Main Title» von den Streichern, einer Solotrompete und Querflöte intoniert in Begleitung vom Cembalo zu hören. Auch dieses Thema wird beinahe durchgehend verwendet, leicht umarrangiert und von anderen Instrumenten(gruppen) gespielt. Das zweite etwas schwermütigere Thema ist in «Morgan Enrolls» und in einer gelungenen Variation in «I Don’t Understand You» zu vernehmen, ehe es in eine spielerisch leichte Version des Hauptthemas mündet. «Morgan Dreams», «Morgan Upset» und «Enraged Morgan» zeigen ein pessimistisch klingendes Motiv für Streicher. THE CORN IS GREEN hat durchaus Ähnlichkeiten zu LOVE AMONG THE RUINS, in der Verwendung und Art des Hauptthemas als auch im instrumentalen Aufbau, erscheint aber ein wenig abwechslungsreicher.

Den Abschluss des Doppelalbums bilden acht Minuten Musik zu THE GLASS MENAGERIE (1973), einem weiteren TV-Film auf dem bekannten Theaterstück von Tennessee Williams beruhend, mit Kathleen Hepburn, die unter der Regie von Albert Harvey (der Barry und Hepburn zuvor in THE LION IN WINTER, 1968, vereinte und dem Komponisten einen Oscar einbrachte) die Hauptrolle spielte mit einem jungen Sam Waterston und Joanna Miles an ihrer Seite. Interessanterweise verwendete Barry für seinen zerbrechlich erscheinenden und nur für das Klavier geschriebenen Kurzscore eine seiner (angedachten) Konzertkompositionen, jedenfalls ein Motiv daraus, das hier abseits des Films doch sehr dominiert.

Leigh Phillips, uns bekannt für seine Arbeiten an den Neueinspielungen von Jerry Goldsmiths THE SALAMANDER, THRILLER oder THE BLACK PATCH/THE MAN, rekonstruierte und arrangierte die Partituren für diese wohl grösste Überraschung des abgelaufenen Filmmusikjahres 2023 – mit komplett unbekannten Scores eines allerdings sehr populären Komponisten wie John Barry. Quartet Records ging damit zweifellos ein grosses Risiko rein, das sich hoffentlich bezahlt macht. Ein 28 Seiten starkes Booklet mit Liner Notes von Jon Burlingame komplettiert das Album. Fünf Punkte gibt es für den Mut und die Produktion dieser besonderen Veröffentlichung, dreieinhalb würde es für die Musik geben, somit also eine gute 4!  

Phil  |  15.01.2024

SÉANCE ON A WET AFTERNOON
John Barry
Quartet Records
CD 1: 31:08 | 20 Tracks
CD 2: 56:46 | 40 Tracks