Was hier vorliegt, ist die vermeintlich vollständige Special Edition. Wie vollständig sie aber wirklich ist, wird sich zeigen, wenn der bereits von Peter Jackson angesprochene Extended Cut kommt.
Schon bei den ersten Klängen ist klar: wir sind wieder in Mittelerde! Und es erwartet uns gleich ein beeindruckendes Intro als Begleitung der Geschichte vom Drachen Smaug und wie er die Zwerge aus Erebor vertrieb. Shore knüpft hierfür musikalisch an die dramatischen Action-Passagen aus Lord Of The Rings an, die sich durch treibendes Schlagwerk, markante Bläser und Chor auszeichnen.
Gleich darauf folgen sehr vertraute Klänge, denn zum Shire gehört das Hobbit-Thema, was hier wieder erklingt, wenn auch behutsam variiert.
Man könnte daher befürchten, dass Shore im folgenden umfangreiches Themenrecycling aus Lord Of The Rings betriebt, aber diese Sorge erweist sich als mehr oder weniger unbegründet. Natürlich werden bekannte Themen wieder aufgegriffen. Aber das hält sich zum einen in Grenzen und zum anderen ist dies an vielen Stellen im Sinne des Gesamtwerkes unvermeidlich. Vor allem dann, wenn auf Bekanntes aus Lord Of The Rings Bezug genommen wird, wie eben den Hobbits und dem Shire, ist dieses Vorgehen nur konsequent. Andere Beispiele hierfür wären das Elben-Thema, wenn diese unverhofft zu Hilfe eilen oder das Rivendell-Thema, wenn die Reisenden bei Elrond eintreffen.
Für Gänsehaut sorgt „Misty Mountains“, das sonor-melancholische Zwergenlied kurz vor Aufbruch aus dem Shire, wenngleich dies nicht aus Shores Feder stammt, sondern von Donaldson, Long, Roche und Roddick. Ironischerweise ist gerade dies, dessen Melodie sich auch im „Song Of The Lonely Mountain“ (von den eben genannten Komponist sowie Neil Finn) wiederfindet, eines der eingängigsten neuen Themen. Shore selbst schafft es leider nicht, ähnlich markante, neue Themen, wie seinerzeit für Lord Of The Rings, beizusteuern.
Er war scheinbar redlich bemüht, das Themenrecycling so gering wie möglich zu halten, klanglich aber nahtlos an die Lord Of The Rings -Filme anzuknüpfen, was angesichts deren Themenvielfalt sehr schwer gewesen sein dürfte. Aber Shore schafft diesen Spagat, wenn auch zu Lasten neuer, eingängiger Themen, die die Klasse und Komplexität der Lord Of The Rings -Musik ausmachten.
Es sind zwar auch hier neue Themenansätze vorhanden – „Radagast The Brown“bietet beispielsweise mit seiner zigeunerhaften Solovioline und der aufgeregten Melodieführung einen markanten neuen Ansatz – aber insgesamt ist The Hobbitdeutlich weniger themenbasiert. Dadurch erscheint die Musik oft eher als klassisches Underscoring.
Was allerdings auffällt: Martin Scorseses Hugo war offensichtlich eine sehr positive Erfahrung und Weiterentwicklung für Shore. Denn gerade jene Elemente dieser grandiosen Komposition, die dessen für Shore-Verhältnisse neuen Klang definieren, nämlich die melodie- und rhythmusbildenden Streicher- und Bläserpulse, finden an vielen Stellen auf mehr oder weniger subtile Art Eingang nach Mittelerde und erweitern so deren Klangspektrum.
Die düsteren Klänge hingegen, wenn unsere Helden mal wieder unterirdischen Gefahren trotzen, lehnt Shore mit markantem Schlagwerk und tiefem Männerchor relativ eng an die aus Fellowship Of The Ring bekannten Moria-Klänge an, ohne diese zu imitieren. Und immer dann, wenn es actionreich und dramatisch wird, wie bei „A Thunder Battle“, „Under Hill“, oder dem herausstechenden „Out Of The Frying-Pan“, ist The Hobbit musikalisch am besten, da Shore mit den schnellen Tempi dieser Stücke die meiste Abwechslung hinein bringt.
Beendet wird die Geschichte schließlich mit dem „Song Of The Lonely Mountain“, der sich mit abgewandelten Folk-Einflüssen musikalisch abzuheben und den Zwergen anzupassen versucht. Trotz der schönen Melodie hebt er sich durch sein Arrangement aber so stark ab, dass er nicht recht in den Fluss des Scores passt. Allerdings muss man ihm zu Gute halten, dass er nicht so klingt, als wäre er unter kommerziellen Gesichtspunkten entstanden.
Insgesamt wirkt The Hobbit weniger griffig, weniger mitreißend und langatmiger, als beispielsweise Fellowship Of The Ring. Vielleicht ist dieser Vergleich aber auch nicht ganz fair, weil Lord Of The Rings schon als Geschichte komplexer ist und somit musikalisch wie filmisch mehr hergibt. Dennoch liegt dieser Vergleich wohl auf der Hand angesichts der gleichen beteiligten Kreativen und deren hehrer Absicht, Tolkiens Mittelerde-Gesamtwerk zu verfilmen.
The Hobbit ist eine sehr gute und durchdachte Filmmusik, die sich nahtlos in das Mittelerde-Klangbild einfügt. Aber sie spielt nicht in der selben Liga, wie Lord Of The Rings.
Doch wie es im Booklet mit ausführlichen Liner Notes von Doug Adams so schön heißt: Die Reise des Hobbit ist noch nicht zu Ende. Warten wir also mal ab, wie sich die Musik über die nächsten beiden Teile weiter entwickelt.
THE HOBBIT: AN UNEXPECTED JOURNEY Howard Shore Water Tower Music WTM39373 CD 1: 58:45 / 15 Tracks CD 2: 69:01 / 17 Tracks
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