Wer kennt sie wohl nicht, jene dicken Streicherteppiche, mit denen John Barry seine romantischen Sujets stets gerne überzogen hat und die die Sammler in zwei Lager geteilt haben: Die, die sie inzwischen kaum mehr ertragen können, und jene, die ihrem Charme unweigerlich verfallen sind. Barry selbst hat in den letzten Jahren seiner Karriere mit seinen immer langsamer werdenden Tempi und dazuhin ausgelaugter Melodik sein Schema F leider im Grunde selbst zu Grabe getragen und ist daher vor allem in seinen penetrant pseudo-philosophisch angelegten Konzeptalben à la «Beyondness of Things» in steriler Routine erstarrt.
Das von Action-Regisseur Peter Hyams 1979 inszenierte Melodram Hanover Street, in dem der junge Harrison Ford sich als draufgängerischer US-Bomberpilot während des Zweiten Weltkriegs in England in die Frau eines englischen Geheimoffiziers verliebt und dadurch unversehens in eine Dreiecksaffäre gerät, stammt dagegen aus einer Ära, in der Barry noch weitaus frischer und unverbrauchter klang. Inmitten seiner sogenannten «romantic period» entstanden, die etwa 1975 mit Robin and Marian begann und ihre Höhepunkte mit Somewhere in Time und Out of Africa finden sollte, lebt der Score überwiegend von einem exquisiten, sich schwelgerisch entfaltenden Liebesthema, das man wohl ohne Umschweife zu den schönsten melodischen Einfällen in Barrys Oeuvre zählen darf.
Sicher zeigt sich der Komponist auch in dieser Vertonung nicht gerade als Meister sinfonischer Verarbeitung, aber sein lyrisches Thema ist dermaßen bezaubernd und bewegend, dass man sich an ihm trotz mehrerer Wiederholungen nicht so leicht satt hören mag. Gerade in der ersten halben Stunde der mit insgesamt 79 Minuten natürlich viel zu lang geratenen Varese Club-CD gelingt ihm mit interessanten Paraphrasierungen, abwechselnden Instrumental-Soli (wobei Klavier und Violine Hauptparts spielen), einigen Akzentverschiebungen und einschmeichelnden Nebenthemen wie etwa in Track 4 On Hanover Street oder Track 7 Countryside and Courtship ein warmherzig-nostalgisches Klanggemälde, das jedem filmmusikalischen Romantiker als Balsam für die Seele vorkommen muß und ohne jegliches Füllselmaterial an einem Stück genossen werden kann.
Erste Schwächen zeigen sich dann im Mittelteil , wenn wie üblich bei Barry Spannungsmomente und aufkeimende Dramatik mit monotonen Ostinato-Rhythmen des Blechs und der Snare Drums unterlegt werden wie in Track 14 Gestapo Headquarters und Track 15 Cover Blown – vor allem letzterer mit seinen schier endlosen und fast gleichförmig durchrhythmisierten 6 Minuten bildet einen unrühmlichen Tiefpunkt der Scheibe.
Da Regisseur Hyams die letzten 30 Minuten des Films, die im besetzten Frankreich spielen und einige spektakuläre Verfolgungsjagden zu Land und in der Luft enthalten, mehrfach umschnitt, als Barry bereits seine ursprüngliche Version des Scores fertiggestellt hatte, mußten einige Tracks für die endgültige Filmfassung nochmals umgeschrieben werden. Barry, der aufgrund steuerrechtlicher Probleme bereits seit ein paar Jahren seinen Wohnsitz in den USA hatte und den Recording Sessions in England unter dem Dirigat von Harry Rabinowitz ohnehin nicht beiwohnen konnte, schrieb daher insgesamt vier Tracks im letzten Drittel nochmals um, um die Spannung zu steigern und auch um für ein dramatischeres, großorchestraler ausgelegtes Finale zu sorgen. Aus diesem Grund finden sich genau diese vier Stücke nun auch in jeweils zwei Varianten auf der CD wieder:
Zum einen in der von Barry zunächst vorgesehenen Urfassung innerhalb des chronologisch sequenzierten kompletten Scores (Track 14, 15, 16, 18) und zum Anderen in den Filmversionen, die ans Ende der Bonus Tracks gehängt wurden (Track 23-26). Leider waren von diesen zweiten Recording Sessions keine Stereobänder mehr auffindbar, so dass Vareses Toningenieur Mike Matessino auf die einzig noch existierenden Mono-Backups zurückgreifen mußte, die klanglich weitaus dumpfer ausgefallen sind. Dies ist umso bedauerlicher als merkwürdigerweise gerade die Filmfassungen der Actionstücke (wie Motorcycle Chase and Bridge Battle) die kompositorisch schlagkräftigeren darstellen: Das hat durchaus Drive und ist großteils fesselnder und effektvoller in Szene gesetzt denn die eher flügellahmen und simpler gestalteten der Erstfassung.
Viele Jahre lang galten die Masterbänder von Hanover Street als verschollen, so dass mit dieser auf 3000 Stück limitierten Club-CD für viele Barry-Fans nun wohl ein lang gehegter Wunschtraum in Erfüllung gegangen sein dürfte. Aber auch ganz normalen Filmmusiksammlern, die nicht jedem neuen Barry-Album nachjagen, darf diese gelungene CD trotz leichter Abstriche ans Herz gelegt werden.
HANOVER STREET John Barry Varese VCL 0309-1090 79:07 Min. / 26 Tracks Limitiert auf 3000 Stk.
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