Rio Bravo bildet den Schlusspunkt der quantitativ zwar nicht allzu ergiebigen, dafür qualitativ umso bemerkenswerteren Zusammenarbeit von Howard Hawks und Dimitri Tiomkin. Es handelt sich zudem um einen der letzten wichtigen, bislang unveröffentlichten Westernscores von Tiomkin, wobei sich darüber streiten liesse, ob es überhaupt einen unwichtigen Westernscore vom russischen Komponisten gibt.
Rio Bravo ist Hawks Antwort auf High Noon, dessen von Gary Cooper verkörperter Sheriff ihm zu weinerlich, zu feige war; Attribute, die man bei seinem Gesetzeshüter, John Wayne, selbstverständlich vergebens sucht. Der Film, der sich viel Zeit lässt bei Aufbau und Charakterzeichnung, geniesst aber nicht nur wegen des «Dukes» einen ausgezeichneten Ruf unter Westernfans, sondern insbesondere auch dank dessen grossartig aufspielenden Deputys. Der eine ‒ Dude (Dean Martin) ‒ im steten Kampf mit seinem Alkoholproblem, der andere ‒ ein knorriger Alter namens Stumpy (Walter Brennan) ‒ mit träfen Sprüchen stets die Lacher auf seiner Seite.
Das gemächliche Tempo des Films wird von Tiomkin im Wesentlichen übernommen, und der gelegentlich als zu protzig gescholtene Komponist betreibt, was das Klangvolumen betrifft, hier eher Understatement. Zunächst einmal verzichtet er auf die hohen Streicher und betont damit das Maskuline, die kumpelhaften Beziehungen zwischen den Protagonisten, aber auch die düstere Atmosphäre der Bedrohung, die sich immer wieder einschleicht, profitiert davon.
Die wichtigsten Themen haben volksmusikhaften Charakter (dafür sorgen Instrumente wie Gitarre, Banjo, Mandoline und Mundharmonika) und sind dies- und jenseits der Grenze zum südlichen Nachbarn der USA angesiedelt. Zwei von ihnen ‒ Rio Bravo und My Rifle, My Pony And Me ‒ wurden auch zu Songs für Dean Martin und Teenieschwarm Ricky Nelson, der sich hier als Schauspieler versucht, verarbeitet. Bei My Rifle, My Pony And Me wird das Hauptthema aus Red River (ebenfalls ein Western mit Wayne und von Hawks) wiederverwendet.
Genau andersrum verhält es sich bei De Guella, dem wohl bekanntesten Thema aus Rio Bravo; diesem kommt im kurz darauf gedrehten The Alamo (wiederum mit Wayne) erneut eine wichtige Rolle zu. Abgeleitet vom mexikanischen Militärmarsch El Degüello, von Trompetern während der Alamo-Belagerung gespielt, um «keine Gnade» zu signalisieren und die Amerikaner zu zermürben, handelt es sich bei De Guella um eine Eigenkomposition Tiomkins, die heutzutage bekannter sein dürfte als das Original (und Ennio Morricone als Vorlage für Per un pugno di dollari gedient haben soll), die in Rio Bravo den selben Zweck erfüllt und mal als Source Music, mal im dramatischen Kontext in Erscheinung tritt.
Ein weiteres, wichtiges Leitmotiv untermalt die etwas aufgesetzt wirkende Liebesgeschichte zwischen John Wayne und Angie Dickinson. Dafür schuf Tiomkin ein behutsames Thema, das mit seinem schwermütigen, jazzig-bluesigen Saxophon für einen Western sehr «modern» daherkommt.
Vielleicht ist Rio Bravo eine Idee zu spannungslastig, aber Tiomkin bringt genug thematische Abwechslung und Variationen ein, um den Score auf die ganze Länge gesehen interessant zu gestalten. Der belegt in kompletter Form das Hauptprogramm dieser Doppel-CD, wobei ich es etwas störend finde, dass von einigen Cues nicht die Filmversionen verwendet wurden, so findet sich beispielsweise der End Title mit Dean Martin in den Extras.
Aber das ist Meckern auf hohem Niveau, denn man bekommt ansonsten so ziemlich alles, was musikalisch für und um den Film herum produziert wurde, wie etwa die 1959er-Cover-Singles von Dean Martin und zwei Trailer-Versionen, bei denen die hohen Streicher noch mit von der Partie sind.
Intrada bietet mit seiner 300. Special-Collection-Veröffentlichung also ein überzeugendes Gesamtpaket, das mit diesem ebenso klasse wie klassischen Westernscore eine grosse Lücke in der Tiomkin-Diskografie endlich schliesst. Ganz nach dem Motto «Gut Ding will Weile haben».
RIO BRAVO Dimitri Tiomkin Intrada Special Collection Volume ISC 300 CD1: 53:21/27 Tracks CD2: 57:07/34 Tracks